Interview mit Katarina Peovic, Spitzenkandidatin der sozialistischen Organisation Radnicka Fronta (RF, Arbeiter*innenfront) bei den bevorstehenden Präsidentschafts- und Europawahlen. Sie wird auch auf den Sozialismustagen auftreten.
Wie würdest du die aktuelle politische und soziale Situation in Kroatien beschreiben?
Die offizielle Politik läuft wie gewohnt und die verantwortlichen Politiker*innen ignorieren die Probleme der Arbeiter*innen. In diesem Jahr stehen drei Wahlzyklen an – Wahlen zum EU-Parlament, Präsidentschafts- und Parlamentswahlen.
Gleichzeitig verliert Kroatien gerade eine der letzten Exportindustrien – den Schiffbau. Die Beschäftigten der Uljanik-Werft sind am 21. März in den Streik getreten, einem von vielen Streiks in den letzten Monaten und Jahren zur Verteidigung ihrer Arbeitsplätze (seit dem Februar 2018, gab mindestens fünf Streiks in der Uljanik-Werft). Etwa 10.000 Arbeiter*innen aus den drei Werften Uljanik, 3. maj und Brodotrogir sind betroffen. Sie bekommen seit sieben Monaten nur noch den Mindestlohn. Die Beschäftigten haben jetzt aus Protest die Tore zur Werft zugeschweißt und lassen niemanden ohne Erlaubnis hinein.
Die entrechtete Mehrheit in Kroatien steht vor einer weiteren Verschlechterung ihrer sozialen Rechte. IWF, Weltbank und Brüsseler Verwaltung fordern zusätzliche Kürzungen und Sparmaßnahmen. Fast 28 Prozent der Menschen in Kroatien leben am Rande der Armut; Kroatien ist führend in der EU-Statistik der auf drei Monate befristeten Arbeitsverträge, 14% der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter sind ausgewandert, die Löhne der Lohnabhängigen in Kroatien betragen nur 37% der Löhne verglichen mit reichen EU-Ländern.
Ihr seid eine relativ neue linke Partei in Kroatien, was sind eure wichtigsten Arbeitsfelder?
RF ist eine 2014 initiierte radikale linke Partei, die sich 2015 offiziell registriert hat. Die letzten zwei Jahre waren sehr wichtig für uns. Seit Mai 2017 hat die Arbeiter*innenfront einen Vertreter im Stadtrat von Zagreb als Teil des breiteren linken Blocks.
Letztes Jahr waren wir damit beschäftigt, den Kampf der Werftarbeiter*innen zu unterstützen. Wir haben uns den öffentlichen Protesten angeschlossen und ihnen geholfen, sich mit der EU-Linken (GUE/NGL) zu vernetzen, und ihnen Analysen zur Verfügung gestellt, die die Bedeutung der Werftindustrie in Kroatien unterstreichen.
Du wirst die Spitzenkandidatin von RF bei den Präsidentschafts- und Europawahlen sein. Warum tretet ihr an und was ist das Ziel eures Wahlkampfes?
Wir mussten in nur zwölf Tagen 10.000 Unterschriften sammeln, nachdem Präsidentin Kolinda Grabar-Kitarović Wahlen ankündigt hatte. Trotzdem haben wir uns entschieden, an dieser Kampagne teilzunehmen. Es ist eine großartige Gelegenheit, die Idee des demokratischen Sozialismus zu verbreiten. Kroatien (wie auch andere Länder der Region) befindet sich in einer schmerzhaften Stagnation. Die Mehrheit der Menschen erlebt einen Abbau aller sozialen Rechte. Wir können uns unter diesem kapitalistischen Rahmen der EU nicht entwickeln. Wir brauchen einen grundlegenden Wandel.
Unser Ziel ist das gesellschaftliche Eigentum an Produktionsmitteln, eine von Arbeiter*innen organisierte Produktion zur Befriedigung unserer Bedürfnisse als Alternative zur Produktion der Eliten für Profit. Der demokratische Sozialismus stellt eine Alternative zum bestehenden politischen und wirtschaftlichen System dar.
Wie steht die RF zur Europäischen Union und welche Auswirkungen hatte der EU-Beitritt auf Kroatien?
Die EU ist eine zutiefst undemokratische Union – sie ist eine neoliberale Schöpfung, die die Interessen der Eliten schützt. RF befürwortet ausreichend Autonomie für heimische Industrien (Autonomie vom ausländischen Kapital) und die Verteidigung des langfristigen Interesses der lokalen Wirtschaft. Die Schiffbauindustrie ist aktuell ein Hauptziel unseres politischen Programms.
Die RF weist auf das Ungleichgewicht zwischen armer Peripherie und reichem Zentrum der EU hin – ein Ungleichgewicht, das in der gegenwärtigen kapitalistischen Struktur der EU nicht zu beheben ist; wir sind gegen die Integration in die Eurozone; für die autonome Währungs- und Finanzpolitik; für Subventionen und staatliche Interventionen in grundlegende Wirtschaftszweige wie Schiffbau und Landwirtschaft; wir verweisen auf systematische Korruption innerhalb der EU und fordern die Demokratisierung der EU.
Alle statistischen Daten belegen, dass die Mitgliedschaft in der EU uns nicht geholfen hat. Nur 36% der Menschen in Kroatien sind heute der Meinung, dass die EU-Mitgliedschaft gut für Kroatien ist.
Aus den europäischen Struktur und Investitionsfonds 2014 bis 2020 (ESIF) wurden Kroatien nur 2,8 Milliarden zugewiesen (nur 743,25 Millionen Euro wurden bezahlt) und in den ersten fünf Jahren konnten von 10,7 Milliarden an EU-Fonds nur 11,4 Prozent genutzt werden. In den Beitrittsverhandlungen verlor Kroatien seine Autonomie und akzeptierte Bedingungen, die Nachteile für die heimische Industrie hatten. Die Vernichtung der Schiffbauindustrie ist das Ergebnis dieses Prozesses.
Was ist eure Alternative zur EU und zum Kapitalismus und wie kann sie aufgebaut werden?
Die RF ist nicht gegen eine Form der internationalen Gemeinschaft gleichberechtigter Länder. Die EU ist jedoch in erster Linie eine Wirtschaftsunion, die die Reichen, Eliten und das Kapital stärkt und unterstützt. Die sozialistische Alternative ist der einzige Weg, um die gegenwärtige Situation zu bekämpfen. Wir sehen das sozialistische Europa als politische Zukunftsvision.