Ferhat Ünver, Mercedes Kierpacz, Sedat Gürbüz, Gökhan Gültekin, Hamza Kurtović, Kalojan Velkov, Vili Viorel Păun, Said Nesar Hashemi, Fatih Saraçoğlu. Sie wurden am 19. Februar in Hanau ermordet. Anschließend tötete der Attentäter seine Mutter und sich selbst. Er hat wahrscheinlich alleine gehandelt. Seine Texte deuten auf Psychosen hin. Doch die rassistische Ideologie, auf der seine Tat basiert, ist nicht in seinem verwirrten Kopf entstanden. Die AfD verbreitet sie über die Parlamente, Nazi-Aufmärsche und PEGIDA verbreiten sie auf der Straße.
Von Jeanine Thümmig, Berlin und Ianka Pigors, Hamburg
„Shisha-Bars sind Orte, die vielen missfallen, mir übrigens auch. Wenn jemand permanent von so einer Einrichtung gestört wird, könnte das irgendwie auch zu einer solchen Tat beitragen“, so Rainer Rahn von der AfD Hessen. 60 % halten nach Umfragen die AfD für mitverantwortlich. Die Rechtspopulist*innen liefern die Verschwörungstheorie, Geflüchtete würden gezielt ins Land geholt, um eine „Umvolkung“ zu bewirken.
Die AfD ist nicht vom Himmel gefallen. Sie ist auch das Produkt von fremdenfeindlicher und rassistischer Stimmungsmache der etablierten Parteien und der Medien. BILD beschrieb Shisha-Bars mehrfach als Hort des Verbrechens. Thilo Sarrazin konnte seinen pseudo-wissenschaftlich verbrämten Rassismus viele Jahre als SPD-Mitglied verbreiten. Die CSU, die sich jetzt als Bollwerk gegen Rechts aufspielt, führte 2015 eine Kampagne gegen die Aufnahme von Geflüchteten und bereitete damit der AfD den Boden.
Immer wieder haben sämtliche Parteien in der Regierung, inklusive der SPD und der Grünen, die Asylgesetze eingeschränkt und die Rechte von Migrant*innen beschnitten. Die deutsche Gesetzgebung diskriminiert Zuwander*innen. Nach fast sechzig Jahren Arbeitsmigration werden viele Zugewanderte noch immer täglich als „Fremde“ behandelt. Diese Spaltung nützt auch den etablierten Parteien und den wirtschaftlich Herrschenden, denn sie erschwert den gemeinsamen Kampf für soziale Verbesserungen, indem die Lohnabhängigen und die Armen die Schuld für ihre Misere nicht im System, sondern bei „den Anderen“ suchen.
Nazis morden, der Staat schaut zu
In den Tagen nach Hanau wurden weitere Anschläge auf Shisha-Bars durchgeführt. In Stuttgart fielen Schüsse, im sächsischen Döbeln wurde Feuer gelegt.
Über 200 Menschen sind seit 1990 durch Faschisten oder Rassisten ermordet worden. Offiziell gehen die Behörden von 13.000 gewaltbereiten Rechtsextremisten aus. Nach 482 untergetauchten Rechten wird mit Haftbefehlen gefahndet – oder eher nicht. In den 1970er Jahren waren die Fahndungsplakate der RAF überall. Für die Nazi-Terroristen wurde kein einziges aufgehängt.
Die rechte Gewalt wird seitens der Behörden systematisch verharmlost. Staatliche Organe haben sich bemüht, die Aufklärung der NSU-Affäre zu verhindern. Teile der Akten sind für 120 Jahre gesperrt. Verfassungsschutzämter haben Akten geschreddert. Andreas Temme vom Hessischen Landesamt für Verfassungsschutz war an mehreren Tatorten anwesend bzw. in der Nähe. Der NSU war mehr als ein Trio. Lediglich eine Zelle ist aufgeflogen. Der NSU wurde von Teilen der staatlichen Behörden unterstützt oder dabei gedeckt, zehn Menschen zu ermorden und 22 beim Nagelbombenanschlag in der Kölner Keupstraße zu verletzen. Der mutmaßliche Mörder von Walter Lübcke, der durch diverse Vorstrafen und Ermittlungsverfahren seit 1989 als rechtsradikaler Intensivtäter bekannt war, wurde von den Behörden nicht für gefährlich gehalten. Der Mörder von Hanau war den Behörden als Anhänger von Verschwörungstheorien und Betreiber einer rassistischen Website bekannt. Er war Sportschütze und Besitzer mehrerer Waffen.
Rechte Netzwerke reichen tief in den Staatsapparat hinein. Im Zuge der Aufdeckung des rechten Terrornetzwerks um Oberleutnant Franco Albrecht sowie bei Anschlagsplanungen von Gruppen wie der „Revolution Chemnitz“ oder dem „Nordkreuz Netzwerk“ wurden enge Verbindungen zwischen Nazis, Polizist*innen, Bundeswehrsoldat*innen und der AfD bekannt.
Innenminister Seehofer will die rechte Gewalt durch mehr Polizeipräsenz vor Moscheen, Flughäfen, Bahnhöfen und im grenznahen Raum einschränken. Das hätte keinen der Morde der letzten Jahre verhindert. Die Kölner Oberbürgermeisterin Reker forderte auf einer Kundgebung die Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz – durch die Behörde, welche seit Jahrzehnten Verbindungen in die rechte Szene hat. Noch bis vor einem Jahr war der Rechtsextreme Hans-Georg Maaßen Chef des Verfassungsschutzes.
Alle zusammen!?
Anders als bei früheren Attentaten erwähnten führende Politiker*innen und viele Medien sofort die rassistische Gesinnung des Täters und distanzierten sich von der AfD. Gut, dass es endlich Terror und Rassismus genannt wird. Den etablierten bürgerlichen Parteien, selbst nicht unschuldig an dieser Entwicklung, geht die rechte Gewalt aktuell zu weit. Die CDU fürchtet um Wähler*innen, falls sie zu nah an der AfD verortet wird. Zu viel rechter Terror wirkt aus Sicht der Herrschenden und ihrer politischen Parteien destabilisierend. Schreckensmeldungen über rassistische Morde verunsichern ausländische Geschäftspartner und Investoren.
Trotz dieser verbalen Abgrenzung nach rechts zweifeln viele Menschen zu Recht an der Verlässlichkeit der bürgerlichen Parteien im Kampf gegen den rechten Terror. Am Tag nach dem Attentat war die Demonstration zum Gedenken der Opfer im Berliner Stadtteil Neukölln größer als das parteiübergreifend organisierte Gedenken am Brandenburger Tor, bei der sich Spitzenpolitiker bei den Händen hielten.
Ferat Kocak von der LINKEN sagte: „Warum nicht am Brandenburger Tor? Dort versammeln sich die Politiker die ihre Trauer und ihr Beileid bekunden werden und dann mit derselben Migrationspolitik fortfahren werden auf der die AfD aufbaut, […] Wir gehen dahin wo die Menschen sind, die Betroffen sind und die Betroffen sein können, wo die Shisha-Bars sind, wo Muslime und Migrant*innen leben um ihnen Solidarität zu zeigen“. Die Demonstrant*innen in Neukölln riefen „Alle zusammen gegen den Faschismus“, und meinten damit vor allem „Ich und meine Nachbar*Innen und Kolleg*innen, egal welcher Religion oder Herkunft“, nicht unbedingt CDU, SPD und Co.
Rechten den Boden entziehen
Die meisten Nazi-Angriffe sind noch immer Gewalttaten auf offener Straße und Attacken auf Einrichtungen oder Privatwohnungen. Wir müssen Netzwerke aufbauen, um den Selbstschutz zu organisieren und uns in die Lage versetzen, schnell viele Leute zur Hilfe rufen zu können.
Es ist weiterhin wichtig, rechte Aufmärsche Veranstaltungen zu blockieren und zu versuchen, ihnen jeden öffentlichen Raum zu nehmen. Dabei müsste vor allem die organisierte Arbeiter*innenbewegung in Form der Gewerkschaften mehr Verantwortung übernehmen.
Rassismus, Sexismus, Homophobie und andere Formen der Ausgrenzung haben in einer Gesellschaft, in der eine kleine Minderheit den Großteil des Reichtums besitzt und Politik und Wirtschaft im Sinne ihrer Profitinteressen bestimmt, eine klare Funktion: Teile und herrsche. Nur wenn es den Herrschenden gelingt, die Mehrheit der Bevölkerung untereinander zu spalten, kann die Macht dieser Minderheit aufrecht erhalten bleiben. Deshalb werden Migrant*innen als Sündenböcke für soziale Probleme wie Arbeitslosigkeit, Wohnungsnot und Kriminalität missbraucht.
Wo es keine glaubwürdige, linke Bewegung gibt, die einen Weg aufzeigt, wie eine gerechte und demokratische Gesellschaft ohne Ausbeutung, Verteilungskämpfe, Armut und Diskriminierung möglich ist, können sich die Rechten als Alternative präsentieren.
Daher sind die solidarischen Kämpfe von deutschen und migrantischen Kolleg*innen in den Betrieben und Gewerkschaften um bessere Löhne und Arbeitsbedingungen oder die Kämpfe in den Nachbarschaften für Mietendeckel und bezahlbaren Wohnraum wichtige und nachhaltige Beiträge im Kampf gegen rechts. Wenn wir zeigen können, dass diese Gesellschaft reich genug ist, um uns allen unabhängig von Herkunft, Geschlecht und sexueller Orientierung ein gutes Leben zu ermöglichen, wenn die Bedürfnisse der Mehrheit und nicht die Profitinteressen einer kleinen Minderheit die wirtschaftlichen und politischen Entscheidungen bestimmen, können wir den Faschisten den Boden entziehen.