Hektisch und ziemlich chaotisch wurden „Lockerungen“ von Maßnahmen gegen das Corona-Virus beschlossen. Was ist der richtige Weg? Welche Alternativen gibt es?
von Georg Kümmel, Köln
Die ersten “Lockerungen” traten am 20. April in Kraft. Geschäfte mit einer Verkaufsfläche von bis zu 800 Quadratmetern konnten wieder öffnen. Eine Maskenpflicht beim Einkaufen sowie in Bussen und Bahnen wurde aber in den meisten Bundesländern erst ab dem 27. April eingeführt.
Geschäfte zu öffnen und erst danach eine Maskenpflicht einzuführen, ist ungefähr so, als ob Ärzt*innen nicht am Beginn, sondern erst irgendwann im Verlauf einer Operation ihren Mundschutz aufsetzen würden. In NRW durften selbst große Möbelhäuser wieder öffnen, aber politische Proteste mit über 20 Teilnehmer*innen bleiben verboten.
Experten-Team?
Die NRW-Landesregierung unter Armin Laschet (CDU) hat sich früh für schnelle „Lockerungen“ für die Wirtschaft ausgesprochen. Laschet lässt sich dabei von einem „Expert*innen“-Team beraten. Darunter ist zum Beispiel Nicola Leibinger-Kammüller aus Baden Württemberg, Chefin des Maschinenbauers Trumpf. Laut WDR spendete die Firma Trumpf im Wahljahr 2017 100.000 Euro an die CDU und 50.000 Euro an die FDP.
Unter den jetzigen Umständen wird es wieder mehr Infektionen geben, offen ist nur, wie viele. Wenn es schief geht, wird bestimmt versucht, die Schuld dafür auf irgendwelche „unvernünftigen Bürger*innen“ zu schieben.
Auf den Intensivstationen sei noch Platz, lautet ein Argument für die eiligen Lockerungen, als ob eine schwere Erkrankung an Covid-19 kein Problem sei. Es müssen alle Maßnahmen ergriffen werden, damit sich Menschen erst gar nicht infizieren, dazu gehört, Masken und Tests in ausreichender Zahl zur Verfügung zu stellen.
Die Lockerungsmaßnahmen werden von den Interessen der Kapitalbesitzer diktiert. Sie wollen möglichst schnell und möglichst uneingeschränkt wieder Profit machen. Gleichzeitig gibt es in deren Lager Uneinigkeit darüber, welches Risiko sie eingehen können, ohne dass die Kuh stirbt, die sie melken wollen.
Was ist die Alternative?
Maßstab für Lockerungen darf nicht das private Profitinteresse einer kleinen Minderheit sein, sondern müssen Leben und Gesundheit von Millionen Menschen sein. Die Kapitalist*innen sind unfähig, die Gesellschaft auf kürzestem Wege aus der Krise zu führen. Das gilt sowohl gesundheitlich wie ökonomisch. Das Profitprinzip hat schließlich erst dazu geführt, dass im Gesundheitswesen und bei der Pandemie-Vorsorge gespart nicht rechtzeitig gehandelt wurde.
Demokratische Diskussion
Über alle Maßnahmen muss demokratisch diskutiert und entschieden werden. Eine Konzernchefin, die selber niemals mit Bus oder Straßenbahn fährt, weiß nicht und kümmert es nicht, wie es morgens um 7 Uhr in einem voll besetzen Bus aussieht. Eine Parteispende macht sie auch noch nicht zur Expertin für Maßnahmen gegen das Virus. Die Beschäftigten, die Pflegekräfte, Busfahrer*innen, Lehrer*innen, Bandarbeiter*innen, Schüler*innen, Studierende, zusammen mit Ärzt*innen und Wissenschaftler*innen, sofern diese keine eigenen wirtschaftlichen Interessen haben, das sind die Expert*innen. Wir brauchen eine breite Debatte, am Arbeitsplatz und in der Gesellschaft, welche Maßnahmen sinnvoll sind und welche nicht.
Diese Diskussionen und diesen Erfahrungsaustausch zu organisieren, eigene Vorschläge zu entwickeln, ist Aufgabe der Gewerkschaften, der LINKEN und anderer linker Organisationen und Bewegungen. Die SAV möchte ihren Teil dazu beitragen, diese Debatte gemeinsam mit den Betroffen anzustoßen.
Vorschläge und Forderungen der SAV
- Demokratische Debatte am Arbeitsplatz und in der Gesellschaft über mögliche „Lockerungen“ und andere Maßnahmen
- Entscheidung durch die Belegschaften, in welchen Bereichen, wie und zu welchen Bedingungen gearbeitet werden soll. Kontrolle des Gesundheitsschutzes durch Belegschaften und Gewerkschaften.
- Entscheidung durch demokratische Beteiligung der Lehrenden, Kita-Beschäftigten, Eltern, Schüler*innen wie Schulen, Kitas, Spielplätze wieder geöffnet werden können
- Ausreichend und kostenlose Masken für Alle
- Keine Ausnutzung der Ausnahmesituation zur ungerechtfertigten Einschränkungen demokratischer Rechte: Politischer Protest unter Einhaltung der allgemeinen Schutzmaßnahmen muss erlaubt sein.
- Für ein Wirtschafts- und Gesellschaftssystem, in dem demokratisch entschieden wird nach dem Prinzip: maximaler Gesundheitsschutz für Alle statt maximaler Profit für Wenige.
Bild: Quelle: Dirk Vorderstraße (CC BY 2.0) https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/deed.en