Smells like Revolution

In der Westküstenstadt Seattle hat die Bewegung gegen Polizeigewalt in kurzer Zeit viel erreicht. Auf Antrag der sozialistischen Stadträtin Kshama Sawant hat der Rat der Stadt die Abrüstung der Polizei beschlossen. Die „Polizeigewerkschaft“ SPOG ist aus dem lokalen Gewerkschaftsverband ausgeschlossen werden. In der Innenstadt gibt es seit dem 10. Juni eine selbstverwaltete Zone, die CHAZ (Capitol Hill Autonomous Zone), zu der die Polizei keinen Zutritt hat und in der die Menschen ihren Alltag selbst organisieren.

von Claus Ludwig, Köln

Eine friedliche Demonstration nach dem Mord an George Floyd wurde über Stunden mit Tränengas beschossen. Doch die Menschen hielten dagegen. Die Polizei entschied sich, ihr Revier im Osten der Innenstadt aufzugeben. Demonstrierende errichten Barrikaden und erklärten die Straßenzüge rund um die verlassene Polizeiwache zu einer befreiten Zone.

Der rechte TV-Sender Fox News verbreitete Berichte über „Bewaffnete“, Gewalt und Willkür, fälschte Bilder. Trump tweetete, er werde für „Ordnung“ sorgen und Truppen schicken, wenn die Bürgermeisterin nicht selbst gegen CHAZ vorgehen würde. Die bei Socialist Alternative organisierte Stadträtin Kshama Sawant bezeichnete Trump in einem CNN-Interview als „Feigling“ und berichtete über die erlebte Polizeigewalt. Sie stellte klar, dass CHAZ der derzeit friedlichste Ort wäre. Dort gibt es kulturelle und soziale Projekte, für Bedürftige werden Lebensmittel kostenlos bereitgestellt. Sicherheit organisieren die Menschen selbst, gewaltfrei.

Erfolg im Stadtrat

Sawant führte aus CHAZ heraus eine Demonstration von Tausend Menschen zum Rathaus und schloss ihnen die Tür auf. Bei der Rathaus-Besetzung wurden der Rücktritt von Bürgermeisterin Durkan, die Entwaffnung der Polizei und die Freilassung aller bei den Protesten Inhaftierten gefordert. Der Druck der Bewegung führte dazu, dass der Antrag von Kshama Sawant, der Polizei den Einsatz von Würgegriffen, Gummigeschossen, Tränengas und Pfefferspray zu verbieten, im Stadtrat eine Mehrheit fand. Ohne diesen Druck, so Sawant, hätten andere Ratsmitglieder „LKW-große Schlupflöcher“ in den Gesetzentwurf geschrieben oder die Maßnahmen verschoben.

Aktive Gewerkschafter*innen trugen die Proteste in die Gewerkschaften hinein. Knapp drei Wochen nach dem Mord an George Floyd wurde die Seattle Police Officers Guild (SPOG) aus dem lokalen Gewerkschaftsdachverband, dem Martin Luther King Labour County Council, ausgeschlossen. Die Auseinandersetzung ist noch nicht vorbei. Sawant und Socialist Alternative kämpfen dafür, der Polizei mindestens 50 % der Gelder zu kürzen. Auch der Kampf gegen den alles beherrschenden Konzern der Region, Amazon, mit dem reichsten Menschen der Welt an der Spitze, läuft weiter. „Tax Amazon“ („Besteuert Amazon“) heißt die Kampagne, mit der die Finanzierung des öffentlichen Wohnungsbaus erstritten werden soll.

Wie das ganze Land hat Seattle eine schnelle Politisierung erlebt. Die Jugend in den USA bewegt sich nach links, Schwarze, Hispano und weiße Jugendliche und Arbeiter*innen sind gemeinsam auf der Straße. In Seattle war die Bewegung bisher am Erfolgreichsten. Das liegt auch an der Rolle, die Sawant und Socialist Alternative spielen. Sie haben über Jahre eine Basis für sozialistische Politik aufgebaut und sind in der Lage, Kampagnen zuzuspitzen und unterschiedliche Schichten zu vereinigen.

Ein langer Weg

Es riecht nach Revolution. Aber auch in Seattle wird der Sturz des Kapitalismus noch etwas dauern. Die permanente Einrichtung von CHAZ (oder CHOP, Capitol Hill Organized Protest, wie es inzwischen auch genannt wird), ist ein Fortschritt gegenüber den Platzbesetzungen der Occupy-Bewegung 2011, die vor allem in den USA, Spanien und Griechenland stark war. Das zeigt im Kleinen, wie eine solidarische Gesellschaft funktionieren kann.

Aber in Seattle existiert keine Räterepublik. Das Gebiet ist klein und kann nicht unabhängig funktionieren. Es bleibt eine strategische Aufgabe, soziale Kämpfe wie den Kampf um Mieten und Löhne mit den Bewegungen gegen Rassismus zu verbinden und eine neue Massenpartei der Arbeiter*innen aufzubauen, um dem ewigen „kleineren Übel“ Demokraten zu entkommen.

Es ist jedoch kein Zufall, dass CHAZ/CHOP ein Medienthema geworden ist und Fox News mit einem Bericht nach dem anderen versuchte, die Empörung über angebliche „Anarchie“ und Gesetzlosigkeit anzuheizen. Die herrschende Klasse in den USA und die politische Rechte fürchten die multiethnische Massenbewegung und deren Verbindung mit sozialistischen Ideen und Organisationen.


Foto: Derek Simeone (CC BY 2.0)