Interview mit Taro Tatura, Mitglied im Betriebsrat bei Lufthansa Technik Hamburg*
Die Lufthansa wurde vom Staat mit neun Milliarden Euro gerettet – jetzt sollen bis zu 26.000 Arbeitsplätze abgebaut werden. Ist dieser Stellenabbau wirtschaftlich unvermeidbar?
Aus meiner Sicht nicht. Es stimmt zwar, dass die Luftfahrt wahrscheinlich nicht so schnell auf das Niveau von Ende 2019, also vor Corona, zurückkehren wird, aber ob das tatsächlich 26.000 Arbeitsplätze bzw. 22.000 Vollzeitstellen betreffen würde ist fraglich. Zum Beispiel gab es vorher in manchen Bereichen Überlastung oder zu wenig Personal für die vorhandene Arbeit, daher ist es keine seriöse Rechnung, per Dreisatz die Flottenreduzierung aufs Personal umzurechnen. Generell wäre es eigentlich ein Ansatzpunkt für eine radikale Arbeitszeitreduzierung. Das beantwortet aber natürlich nicht deine Frage nach der wirtschaftlichen Notwendigkeit. Wenn der Personalbedarf tatsächlich geringer als der Bestand ist, was wohl so ist, gäbe es trotzdem die Möglichkeit, mit Modellen wie Altersteilzeit den Personalbestand zu reduzieren.
Wie genau will die Lufthansa die Kolleg*innen loswerden – wird es betriebsbedingte Massenkündigungen geben?
Laut Arbeitgeber sollen betriebsbedingte Kündigungen vermieden werden. Bei der Lufthansa Technik wurden bereits rund 900 Leiharbeitnehmer abbestellt und im Juni gab es den ersten Vorstoß zur Massenkündigung bei Lufthansa Technik. Im Speziellen will sich der Konzern hier der Kolleg*innen mit einer Beschäftigungsdauer unter sechs Monaten oder in der Probezeit entledigen. Begründet wird das mit der Arbeitsleistung der Kolleg*innen, aber eigentlich ist jedem klar dass es sich um betriebsbedingte Kündigungen handelt. Der nächste Schritt wird vermutlich sein, dass befristete Verträge nicht entfristet werden, sondern auslaufen. Ob es nach diesen Maßnahmen zu „richtigen“ betriebsbedingten Kündigungen kommen wird ist derzeit schwer zu sagen.
Welche Forderungen stellt ver.di, was macht die Gewerkschaft zur Zeit?
Auf Bundesebene befindet ver.di sich in Gesprächen mit Lufthansa und fordert eine Absicherung von Arbeitsplätzen und –bedingungen. Des Weiteren gilt es, die tariflich vereinbarte Aufstockung des Kurzarbeitergeldes zu verteidigen. Vor Ort in den Betrieben ist das Bild diverser. Hier ist ver.di an den direkten Problemen der Beschäftigten dran, das geht von Rechtsberatung bis hin zur Organisation von Demonstrationen.
Bernd Riexinger hat vorgeschlagen, die Lufthansa wieder zu verstaatlichen und mit der Bahn zu einem Mobilitätskonzern in öffentlichem Eigentum zusammenzulegen. Was halten die Kolleg*innen von dieser Idee?
Ich persönlich habe seinen Vorschlag noch nicht breit in der Belegschaft diskutieren können, allerdings ist die grundsätzliche Frage von Lufthansa in staatlicher Hand ja nicht neu. Wir hatten in der Dezember 2019-Ausgabe unserer ver.di Betriebszeitung zone210 ein Interview mit dem Kollegen Riexinger zur Thematik der Verstaatlichung von Lufthansa. Damals war der Auslöser zwar die Umweltdebatte, aber auch in diesem Interview ging es um die konkreten Arbeitsbedingungen. Die Reaktion auf dieses Interview war keineswegs negativ. Viele kennen noch die staatliche Lufthansa aus dem eigenen Arbeitsleben, und diese Kolleginnen und Kollegen haben mehrheitlich erlebt dass sich die eigene Situation durch die Privatisierung eher verschlechtert als verbessert hat. Ich selber finde, dass Riexinger Recht hat, dass eine Verknüpfung mit der Bahn sinnvoll ist. Vor einiger Zeit habe ich mit einer Flugbegleiterin über eine ähnliche Thematik gesprochen in Bezug auf die Umwandlung von Arbeitsplätzen, wenn es perspektivisch weniger Kurzstreckenflüge gibt. Ich glaube man kann mit den betroffenen Kolleg*innen sehr gut über die Frage der Verstaatlichung diskutieren.
Sind konkrete Kampfmaßnahmen geplant?
Wir haben am 19. Juni an mehreren Standorten deutschlandweit gemeinsam mit den Beschäftigten den Flughäfen demonstriert. Über weitere konkrete Maßnahmen kann ich derzeit nichts sagen, da zu befürchten ist, dass mein Arbeitgeber zur Abwechslung mal eine gute Zeitschrift und damit dieses Interview liest.
Wie können Kolleg*innen aus anderen Betrieben und politisch Aktive die Lufthansa-Kolleg*innen unterstützen?
Naja, die Klassiker halt, also natürlich freuen wir uns über Solidaritätsbotschaften oder Unterstützung unserer Aktionen, aber natürlich ist auch einfach Öffentlichkeit wichtig. Sowohl Lufthansa als auch die Regierung müssen unter Druck gesetzt werden, dass neun Milliarden Euro und Massenentlassungen nicht zusammenpassen.
*Funktionsangabe dient nur zur Kenntlichmachung der Person