Interview mit Ulla Hedemann, Mitglied der ver.di-Bundestarifkommission und Kinderkrankenpflegerin an der Charité, über die anstehende Tarifrunde Öffentlicher Dienst Bund und Kommunen.
Ulla, als Beschäftigte im Krankenhaus wurdet ihr während der Corona-Epidemie beklatscht und als systemrelevante Held*innen gefeiert, aber an euren Löhnen und Arbeitsbedingungen hat sich nichts geändert. Was bedeutet das für die anstehende Tarifrunde in Bezug auf eure Forderungen?
Erstmal geht es uns um alle Bereiche im öffentlichen Dienst, nicht nur um die Pflege. Alle sind systemrelevant, das hat man ja während der Pandemie gesehen. Nachdem geklatscht wurde, muss jetzt ordentlich was rumkommen. Auf der Gehaltsebene würde ich mir selbst 20 Prozent wünschen. Zeitarbeiter*innen in der Kinderkrankenpflege bekommen teilweise das doppelte meines Stundenlohns und haben einen flexiblen Dienstplan.
Was hältst du von der politischen Forderung der LINKEN von 500 Euro mehr Gehalt für die Pflege?
500 Euro wären eine gute Hausnummer, die man in dieser Tarifrunde für alle Beschäftigten in den Krankenhäuser fordern könnte. Wichtig ist, sich in dieser Tarifrunde nicht spalten zu lassen durch die Arbeitgeber. In allen Bereichen sind Verbesserungen nötig, nicht nur in den Krankenhäusern. Im Krankenhausbereich könnten zudem krankenhausspezifische Forderungen dazu kommen. Bei Befragungen auf Stationen sagen viele Kolleg*innen, es gehe nicht nur um mehr Geld, sondern um Entlastung durch mehr Personal, bessere Arbeitsbedingungen, früheren Renteneintritt, Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Bei uns kommt auch die Forderung nach einer Arbeitszeitverkürzung auf 35 Stunden in der Woche bei vollem Lohnausgleich gut an, denn viele schaffen es nicht mehr, Vollzeit zu arbeiten oder wechseln zu Leasingfirmen, die besser bezahlen.
ver.di organisiert derzeit eine breite Forderungsdiskussion, zum ersten Mal ohne einen eigenen Vorschlag zu unterbreiten.
ver.di hört gerade mehr rein, was den Kolleg*innen wirklich wichtig ist und beteiligt die Kolleg*innen mehr bei der Forderungsfindung. Auch Nicht-Gewerkschaftsmitglieder werden befragt. Das ist auch als Organizingprojekt zu verstehen. Diesmal soll es flächendeckend Tarifbotschafter*innen aus allen Bereichen von Gewerkschaftsmitgliedern geben, die eine Scharnierfunktion zwischen Bundestarifkommission (BTK) und Betrieben einnehmen. Mit den bisherigen gewerkschaftlichen Strukturen erreichen wir nicht alle. Nach jeder Verhandlung wollen die Verhandler*innen Videoformate mit den Tarifbotschafter*innen durchführen.
Beim Streik an der Charité 2015 gab es eine ähnliche Struktur, die Tarifberater*innen. Diese haben Verhandlungsstände mit Kolleg*innen auf den Stationen rückgekoppelt, die Verhandlungskommission beraten und auch Abstimmungen und Meinungsbilder durchgeführt und Entscheidungen getroffen, auch wenn diese formal bei der Tarifkommission lagen. Wie soll das mit den Tarifbotschafter*innen laufen?
Nach den Verhandlungsrunden soll es Videokonferenzen mit den Tarifbotschafter*innen geben, dabei wird der aktuelle Stand berichtet und über das weitere Vorgehen diskutiert. Die letztendliche Entscheidung liegt bei der BTK. Aber das Feedback von den Tarifbotschafter*innen wird in die Entscheidungen einfließen.
Die Arbeitgeber machen bereits jetzt deutlich, dass sie hart bleiben und nur in einzelnen Bereichen bereit sind zu Lohnerhöhungen, alles in allem wollen sie eine Nullrunde und in manchen Bereichen sogar Verschlechterungen.
Die Arbeitgeber haben aus dem Grund ja den von ver.di angebotenenKurzläufer-Tarifvertrag abgelehnt. Sie hoffen, dass die Kolleg*innen während Corona nicht aktions- und streikfähig sind. Eine Spaltung der Beschäftigten muss zurückgewiesen werden. Nur weil jetzt eine Wirtschaftskrise droht, kann es nicht sein, dass wir noch Geld zurückgeben.
Was sollte die Antwort von ver.di sein?
Einmal brauchen wir eine betriebliche Antwort mit Streiks. Diesmal könnten wir als Krankenhaus-Beschäftigte das Zugpferd sein, denn es gibt jetzt ein Zeitfenster mit viel Sympathie in der Öffentlichkeit, das wir nutzen müssen. Gleichzeitig muss man den Konflikt auf die politische Ebene holen. Wir sind systemrelevant und müssten qualitativ besser bezahlt werden, einige fordern Einstiegslöhne von 4000 Euro brutto für Pflegefachkräfte. Politisch müsste man das Finanzierungsmodell ändern, also eine Bürgerversicherung einführen und die Fallpauschalen abschaffen, um das zu ermöglichen. Überall wird gesagt, die Kassen seien leer, aber der Staat hat eine Verantwortung. Es ist gut, dass der Staat versucht, die Beschäftigten bei Karstadt zu retten, aber in Wirklichkeit gehen die Gelder bei Karstadt wie bei Lufthansa an private Konzerne. Warum sollen wir also nicht einfordern, dass der Öffentliche Dienst qualitativ besser finanziert wird?
Parallel finden Tarifrunden im Nahverkehr und der Post statt und auch die Erzieher*innen sind betroffen, also ganz schön viel systemrelevante Bereiche. Wie kann man in Pandemie-Zeiten diese Bereiche zusammenbringen?
Ich denke, die Tarifkämpfe kann man gut synchronisieren. Gemeinsame Demos und Großkundgebungen mit Abstand und unter Einhaltung von Hygienemaßnahmen sind gut möglich. Im Krankenhaus hat Corona zudem gezeigt: Ohne Probleme konnte man das Elektiv-Programm, also die planbaren OPs, auf 50 Prozent runterfahren. Früher wurde uns bei Streiks immer gesagt, das ginge nicht. Jetzt wissen wir: Was in der Pandemie geht, geht auch im Streik.
Was kann man tun, um euch zu unterstützen?
Das wird ein langer Kampf. Ich kann mir gut vorstellen, dass die Arbeitgeber die Schlichtung anrufen und es danach zu Streiks kommt. Wir werden viel Durchhaltevermögen und Solidarität benötigen. Jede*r kann helfen, die Öffentlichkeit, seine Mitmenschen, zu informieren. Linke Organisationen und Parteien sowie Solikomitees können den politischen Druck mit aufrecht erhalten. Auch betriebsnahe Unterstützung und Solibotschaften sind immer gern gesehen und für die Kolleg*innen sehr wertschätzend, hilfreich und motivierend.
Das Interview führte Lucy Redler.
Foto: Arnim Thomaß, ath-pictures