Im September schrieb die taz von einem „der größten Polizeiskandale, die es je in Deutschland gab“. Sie hatte gerade aufgedeckt, dass Drohschreiben vom „NSU 2.0“ von Polizist*innen oder mit ihrer Hilfe verschickt worden waren. Eine WhatsApp-Gruppe wurde aufgedeckt, in der Polizeibeamt*innen rechtsradikale Inhalte austauschten. Tatsächlich war all das nur die Spitze des Eisbergs.
Von Sebastian Rave, Bremen
Nach einer ganzen Kette von rassistischen Chats fällt das Saubermann-Image der Polizei in sich zusammen wie ein Kartenhaus. Mittlerweile ist klar: Über alle Ebenen, vom Polizeianwärter bis zum Regierungsdirektor des Verteidigungsministeriums und weiter, zieht sich ein braunes Netzwerk durch die Staatsgewalt.
Weder Linke noch Migrant*innen werden davon überrascht sein. Fast jede*r aktive Antifaschist*in kann eine Geschichte davon erzählen, wie deutsche Polizist*innen dann am Ende doch die Faschisten schützen, fast jede*r Mensch mit dunkler Haut ist schon Opfer von rassistischen Polizeikontrollen oder Gewalt geworden.
Dass „Polizei“ und „Rechts“ so gut zusammenpasst, ist kein Zufall. Natürlich hat es damit zu tun, dass die Herstellung von „Recht und Ordnung“ ein rechter Schlüsselwert ist und rechte Propaganda am Weltbild von Polizist*innen anknüpfen kann. Gleichzeitig prägt der Polizeialltag der ständigen Repression von denen, die abgehängt oder wütend sind, das Weltbild. Viel zu viele Polizist*innen verstehen nicht, dass Menschen Straftaten nicht wegen ihrer Herkunft begehen, sondern dass die Herkunft in dieser Gesellschaft dazu führt, dass sie eher von Armut betroffen sind, und deswegen unter Umständen mehr Straftaten begehen.
Das Problem sind aber eigentlich nicht unbedingt die einzelnen Polizist*innen, von denen ja tatsächlich nicht „alle“ Rassist*innen sind. Das Problem ist der Staat – und die Verhältnisse, die er schützt: Struktureller Rassismus in Form von sozialer und rassistischer Segregation oder europäischer Grenzpolitik. Absurde Ungleichheit als Ergebnis des gesetzlich geschützten Privateigentums an Produktionsmitteln. Der schreiende Widerspruch zwischen einer glitzernden Warenwelt und wachsender Armut. Der berufsmäßige Schutz dieser zynischen Verhältnisse braucht zynische Menschen.
Es verwundert dementsprechend auch nicht, dass Seehofers „Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat“ sich mit voller Kraft vor die Polizei wirft, um die von vielen geforderte Studie über rechte Einstellungen in der Polizei zu verhindern. „Wer nichts zu verbergen hat, hat nichts zu befürchten“ heißt es, wenn Videoüberwachung und Staatstrojaner durchgesetzt werden sollen. Wenn die interne Verfasstheit der Polizei durchleuchtet werden soll, gelten offenbar andere Regeln. Oder wie es in der Pressemitteilung des Ministeriums heißt: „Es wird keine Studie geben, die sich mit Unterstellungen und Vorwürfen gegen die Polizei richtet. Denn die überwältigende Mehrheit von über 99 Prozent der Polizistinnen und Polizisten steht auf dem Boden unseres Grundgesetzes“ – einen Beleg für die sauberen „99 Prozent“, zum Beispiel durch eine Studie, gibt es freilich nicht.
Drei Wochen „Einzelfälle“
2. Oktober: Sieben Fälle von Rechtsradikalismus unter Polizei-Anwärtern (rbb24.de)
2. Oktober: Ermittlung gegen Thüringer Polizeianwärter wegen Rechtsradikalismus (mdr.de)
4. Oktober: Rechtsextremismus: Dutzende Verdachtsfälle bei Bundespolizei (sueddeutsche.de)
5. Oktober: 29 weitere Fälle rechtsradikaler Gruppenchats in NRW (presseportal.de)
5. Oktober: Dresdner Polizeibeamter wegen Rechtsradikalismus vom Dienst suspendiert (saechsische.de)
5. Oktober: Polizist trägt rechtsradikalen Aufnäher bei Nazi-Aufmarsch (morgenpost.de)
7. Oktober: Rechtsradikalismus in Landesministerien in NRW (rp-online.de)
8. Oktober: Polizist taucht mit Thor-Steinar-T-Shirt auf Gedenkveranstaltung in Halle auf (ksta.de)
12. Oktober: Polizei Berlin fahndet nach Rassisten in ihren eigenen Reihen (berliner-zeitung.de)
12. Oktober: Video von rassistischer Polizeigewalt in Berlin aufgetaucht (taz.de)
13. Oktober: Disziplinarverfahren gegen zwei Polizisten in Ulm (augsburger-allgemeine.de)
14. Oktober: Rechtsextremer Chat: Ermittlungen gegen Polizeischüler (morgenpost.de)
17. Oktober: Weitere Rechtsextreme Chatgruppen in NRW aufgeflogen (tagesschau.de)
Bild: Robert Anders