Amazon ist einer der Konzerne, die wegen der Corona-Krise richtig Kasse machen. Den Beschäftigten nützt das nichts. Im Gegenteil. Im Amazon-Lager in Winsen bei Hamburg wurde den Kolleg*innen das Tragen von FFP-2 Masken verboten, weil sie damit, anders als mit einfachen OP-Masken, zu einer Extra-Pause alle zwei bis drei Stunden berechtigt wären.
Von Ianka Pigors, Hamburg
Im Lager in Leipzig sind FFP-2 Masken zwar erlaubt, die dafür vorgeschriebenen Pausen werden aber nicht bezahlt. Der Profit ist wichtiger als die Gesundheit der Beschäftigten. Amazon ist keine Ausnahme. Viele Betriebe handeln ähnlich. Denn es ist legal: Die Arbeitsschutzverordnung sieht eine Maskenpflicht ohnehin nur vor, wenn am Arbeitsplatz der Mindestabstand von 1,5 Metern nicht eingehalten werden kann und weniger als zehn Quadratmeter Arbeitsfläche pro Person zur Verfügung stehen. Einfache OP-Masken gelten als völlig ausreichend.
Insgesamt ist der gesetzliche Infektionsschutz am Arbeitsplatz gering: Selbst zur Verpflichtung der Betriebe, Schnelltests zur Verfügung zu stellen, konnte sich die Regierung nur mit Mühe durchringen. Betriebliche Mitbestimmung ist bei der Einführung und Umsetzung von Anti-Corona-Maßnahmen eher die Ausnahme als die Regel. Die Ansteckungsgefahr auf der Arbeit bleibt unter diesen Umständen hoch. Teile des Einzelhandels, die Kultur-und Gastronomiebetriebe sind geschlossen, aber im Großteil der Wirtschaft wird munter weiter geschafft. Die Hälfte aller Beschäftigten muss nach wie vor täglich zum Arbeiten aus dem Haus, vor Allem die mit niedrigem Einkommen.
Damit das funktioniert, müssen auch die Schulen und Kitas offen bleiben, Busse und Bahnen sind voll. Die Folgen zeigen die Infektionszahlen in den Großstädten: In den Stadtteilen, wo Menschen mit den geringen Einkommen wohnen, gibt es die meisten Corona-Fälle. In Köln variierte Ende April die Inzidenz zwischen reichen und armen Stadtteilen zwischen 30 und 700. Die Arbeitgeber*innen setzen ihre Interessen in der Pandemie rücksichtslos durch, nach Kräften unterstützt durch die etablierten Parteien.
Was wäre wenn?
Wenn wir unsere Bedürfnisse als Beschäftigte, Schüler*innen und Student*innen durchsetzen wollen, können wir uns also nicht auf diese Parteien verlassen. Wir müssen unsere Interessen selbst vertreten.
Das effektivste Mittel hierzu ist der Streik. Viele Kolleg*innen auf der ganzen Welt haben seit Beginn der Pandemie zu diesem Mittel gegriffen, um ihr Recht auf Gesundheit zu schützen – manchmal gegen den Willen der zögerlichen Gewerkschaftsführung. Im April 2020 verweigerten Busfahrer*innen und Mechniker*innen in Toronto (Kanada) die Arbeit, nachdem sich viele Kolleg*innen mit Corona infiziert hatten. Sie forderten bessere Schutzmaßnahmen wie Plexiglasscheiben und Masken und die Schließung von Wartungsstationen, in denen vermehrt Corona-Fälle aufgetreten waren.
In mehreren mexikanischen Städten kam es zu wilden Streiks, weil sich die Unternehmen, darunter die deutsche Norma-Gruppe, weigerten, die nicht-essenzielle Produktion in ihren Fabriken zur Eindämmung der Pandemie einzustellen. In Kalifornien legten die Kolleg*innen bei „One World Beef“ die Arbeit nieder, um angesichts der Corona-Fälle im Betrieb Tests und Sicherheitsmaßnahmen zu erzwingen. Im November 2020 streikten in Essen die Schüler*innen eines Berufskollegs für die Halbierung der Klassengröße, mehr Abstand in den Unterrichtsräumen und geringere Auslastung des Nahverkehrs.
Mit Streiks in Betrieben und Schulen könnten wir den Arbeitsbetrieb lahmlegen. Auf Streikversammlungen online oder mit Abstand draußen könnten wir selbst entscheiden, welche Bereiche essenziell sind und wie wir dort größtmögliche Arbeitssicherheit gewährleisten.
Die in systemrelevanten Betrieben beschäftigten Kolleg*innen würden durch eine Umorganisation des öffentlichen Nahverkehrs unterstützt werden, die ihnen die Fahrt zur Arbeit in gering besetzten Bussen und Bahnen ermöglichen würde. Die streikenden Kolleg*innen bei Amazon könnten einen Lieferdienst für die Einkäufe der essenziell Beschäfigten einrichten. Wir könnten in den Wohnquartieren feste Bezugsgruppen einrichten, die kleine Gruppen von Kindern im Freien, in leeren Sportanlagen, Festzelten und großen Restaurant-Räumen betreuen, um Eltern und Kinder zeitweilig zu entlasten.
Es wäre die Aufgabe der Gewerkschaften, solche Initiativen anzustoßen. Doch deren Führung scheint in der Pandemie noch stärker gelähmt als der Rest der Bevölkerung. Sie trauen sich und den Beschäftigten offensichtlich nicht zu, Verbesserungen durchzusetzen und fordern lediglich zaghaft Maßnahmen seitens der Regierenden. Daher ist Initiative von unten gefragt. Dies ist angesichts von Abstand und Kontaktbeschränkungen noch schwerer als ohnehin schon. Aber schon ein einzelnes Beispiel in einem Betrieb kann Wellen schlagen und Kolleg*innen ermutigen.