Am 29. April wurde in Wien-Brigittenau eine Frau von ihrem Ex-Partner ermordet – der neunte Femizid 2021. Seitdem wurden fünf weitere Frauen in Österreich umgebracht. Gewalt an Frauen hat während der Corona-Krise, genauso wie in Deutschland und anderen Ländern, aufgrund der Lockdowns und der Wirtschaftskrise massiv zugenommen. Frauenhelplines haben in der Pandemie über 40% mehr Anrufe verzeichnet und sind gleichzeitig an ihre Kapazitätsgrenzen gekommen: Fehlendes Personal, mangelnde Schutzeinrichtungen, immer wieder müssen Frauenhäuser wegen der Überlastung Frauen abweisen.
Von Sarah Moayeri, Wien
In Deutschland sind die Zahlen ähnlich hoch, jeden dritten Tag wird eine Frau vom Ehemann/(Ex)Partner umgebracht, 2020 waren es 134 Frauen. Femizide sind die Spitze eines sexistischen Eisbergs in der kapitalistischen Gesellschaft. In Deutschland ist jede vierte Frau von Partnerschaftsgewalt betroffen, in Österreich hat jede fünfte Frau ab ihrem 15. Lebensjahr schon einmal physische und/oder sexualisierte Gewalt erfahren, jede dritte wurde schon einmal sexuell belästigt, jede siebte ist von Stalking betroffen.
„Nehmt ihr uns eine …“
Der Mord vom 29. April wurde von einem Mann begangen, der vor einigen Jahren übergriffige Nachrichten an die Grünen-Politikerin Sigi Maurer geschickt hatte. Deshalb war eine Botschaft der Proteste „Frauenfeindlichkeit beginnt mit Beleidigung und endet mit Mord“. Seit einigen Monaten organisieren feministische Gruppen nach jedem Femizid in Österreich symbolische Proteste unter dem Motto „Nehmt ihr uns eine, dann antworten wir alle“. Diese Proteste drücken eine zunehmende Wut und Radikalisierung an der Frage von Gewalt gegen Frauen aus. Die Zunahme von Femiziden hat eine Welle der Empörung ausgelöst, ganz besonders unter jungen Frauen.
Diese Stimmung, die sich noch nicht zu einer größere Bewegung entwickelt hat, ist so allgegenwärtig, dass sogar die österreichische Regierung sich gezwungen sah, die Debatte aufzugreifen. Sebastian Kurz sprach davon, dass es im Kampf gegen Gewalt an Frauen „nicht am Geld scheitern wird“. Leere Versprechungen: Nach „Gewaltschutzgipfeln“ und Runden Tischen verkündete die Regierung, 25 Millionen Euro für Gewaltschutz zur Verfügung zu stellen. Gerade einmal ein Neuntel von dem, was autonome Frauenhäuser und andere als notwendige Investitionen berechnet hatten.
„… dann antworten wir alle“
Die sozialistisch-feministische Gruppe ROSA hat die Stimmung und die Notwendigkeit, die Proteste auszuweiten, erkannt und entschieden, unmittelbar nach dem Mord einen Protest direkt im Bezirk Brigittenau zu organisieren, wenige Straßen von dem Gemeindebau entfernt, wo die Tat stattgefunden hatte. Die Anti-Femizid-Proteste, die im Regierungsviertel stattfinden, haben zwar eine symbolische Kraft, aber um Gewalt gegen Frauen zurückzudrängen, braucht es mehr: Kampagnen und konkrete Organisierung in den Nachbarschaften, Betrieben und Schulen. Nur die Arbeiter*innenklasse selbst ist in der Lage, diese Gewalt und den Frauenhass wirklich zu bekämpfen.
Wir haben Flugblätter und Plakate in der Nachbarschaft verteilt, ausschließlich positive Reaktionen von Anwohner*innen erhalten und bei der Kundgebung haben Menschen aus dem Bezirk geredet, die selbst aktiv werden wollen. Die Brigittenau ist einer der ärmsten Bezirke in Österreich; gerade dort ist es für sehr viele Frauen aufgrund von (finanziellen) Abhängigkeiten kaum möglich, aus Gewaltbeziehungen auszubrechen. Eine Wegweisung durch die Polizei bringt nicht viel, wenn Frauen sich allein keine Wohnung leisten können.
Daher war die Kundgebung von sozialen Forderungen geprägt: Mehr Geld für Gewaltschutz, aber auch bezahlbarer Wohnraum, gleicher Lohn für gleiche Arbeit und Kampf gegen Arbeitslosigkeit und Niedriglöhne für ein unabhängiges Leben. ROSA ist der Überzeugung, dass durch Proteste und Mobilisierungen, getragen und geprägt von der Arbeiter*innenklasse, mit konkreten Forderungen und einem Programm, das das Übel an der Wurzel packt und die sozialen Ursachen für Gewalt an Frauen bekämpft, sexistische und frauenfeindliche Ideen zurückgedrängt werden können.