Nach vier Parlamentswahlen innerhalb von zwei Jahren ist in Israel die Bildung einer Koalition ohne Netanjahu gelungen. Die Instabilität im politischen System bleibt. Die Regierung ist voller Widersprüche. Eine unheilige Allianz aus acht Parteien, von den Rechtsextremen um Bennett und Lieberman bis zur liberalen Meretz, mit der Unterstützung der islamischen „Vereinigten Arabischen Liste“.
Von Ben Wallach, Hamburg
60 Stimmen in der Knesset (Parlament) sind notwendig für die Bildung einer Regierung. Diese Koalition hat 60 Für- und 59 Gegenstimmen bekommen. Das Amt des Premiers soll rotieren, nach zwei Jahren soll Yair Lapid Naftali Bennett ablösen. Ob das wirklich passiert, bleibt offen. In der letzten Regierungskoalition gab es auch eine Rotationsregelung zwischen Netanjahu und Benny Gantz, aber Netanjahu brach den Koalitionsvertrag und verursachte damit die letzte Neuwahl.
Die neue Regierung wurde im Kontext der massiven Anti-Netanjahu Bewegung gebildet. So konnte Bennett, dessen Partei „Neue Rechte“ nur 7 Sitze in der Knesset hat, Premierminister werden. Die Instabilität der Regierung war schon in der ersten Woche klar. Bennett versucht, das rassistische Verbot des Familiennachzugs für palästinensische Bürger*innen Israels zu verlängern. Das geht nicht ohne die Stimmen der Opposition und hat schon zum Streit innerhalb der Koalition geführt. Manche Abgeordnete der Meretz haben angedeutet, dass sie für das rassistische Gesetz stimmen könnten, um die Koalition am Leben zu halten.
Anders als Netanjahu?
Netanjahu ist zwar nicht mehr Premier, aber eine ähnliche Politik wird fortgesetzt. Schon in den ersten Tagen hat die Regierung den ultra-nationalistischen „Marsch der Fahnen“ in Jerusalem zugelassen. Als Netanjahu fast den gleichen Marsch autorisiert hatte, kritisierten Mitglieder der jetzigen Regierung das als unverantwortlich und gefährlich. Jetzt, da sie an der Macht sind, ist diese rechtsextreme Provokation plötzlich ganz okay und verständlich.
Die Hamas drohte mit Eskalation, falls der Marsch stattfindet. Die Eskalation blieb glücklicherweise begrenzt, aber die Regierung spielt mit dem Feuer. Dutzende Brandluftballons wurden von Gaza gestartet und Felder in Israel sind abgebrannt. Die neue Regierung befahl zwei Tage nach ihrem Amtsantritt ihre ersten Luftangriffe auf Gaza.
Naftali Bennett und seine rechten Freund*innen sind kriegsfreudige, rassistische Ultranationalist*innen, die klar für die Besatzung und Kolonisierung stehen. Wirtschaftlich bezieht er sich auf Thatcher und Reagan. Durch die sozialen Kämpfe der letzten Jahre war er gezwungen, den Bau neuer Krankenhäuser und die Einstellung von mehr Lehrer*innen und Sozialarbeiter*innen zu versprechen. In denselben Reden und Texten verspricht er Steuersenkungen für Reiche und große Unternehmen. Ein offener Kampf gegen die Gewerkschaften ist auch geplant, unter anderem durch das Verbot von Streiks, die vom Staat nicht autorisiert wurden. Wegen der Widersprüche innerhalb der Regierung und der Angst vor einer Massenbewegung gegen Angriffe werden diese wahrscheinlich begrenzt bleiben.
Es ist schwer zu sagen, wie lang dieser schmutzige Deal hält, aber eins ist klar: es wird für Arbeiter*innen – Jüd*innen und Palästinenser*innen – schlecht sein.
Die Alternative muss im Kampf entstehen
Die Parteien, die sich als links verstehen, haben im Wahlkampf und danach keine klare Alternative angeboten und tragen jetzt die brutale Politik mit. Die letzten Jahre waren voll mit Kämpfen: Klima- und feministische Kämpfe, die Bewegung gegen den Krieg mit dem erfolgreichen Streik palästinensischer Arbeiter*innen und die massive Bewegung gegen Netanjahu.
Eins der größten Probleme der Anti-Netanjahu-Bewegung war der Versuch, auf eigene politische Inhalte zu verzichten, um ihn loszuwerden, egal was danach kommt. Diese falsche Strategie ermöglicht es Bennetts Rechten, den Ton im Parlament zu setzen. Die politische Diskussion muss in Bewegungen stattfinden und von linken Kräften offen aufgegriffen werden. Es braucht eine demokratisch organisierte, kämpferische linke Partei, die Widerstand gegen die antisozialen Angriffe und die Besatzung organisiert, auf der Straße und im Parlament.