Als einzige Partei von gesellschaftlicher Relevanz tritt DIE LINKE mit einem Programm zur Bundestagswahl an, das über den Kapitalismus hinausweist. Aus marxistischer Sicht ist dieses Programm zu unkonkret und vorsichtig in Bezug auf eine sozialistische Ökonomie und was die offensive Forderung nach Enteignungen von Kapitalist*innen angeht. Wenn die Ideen der Partei umgesetzt würden, wäre das aber eine deutliche Verbesserung. Nur: Mit SPD und Grünen wird eine solche Umsetzung nicht stattfinden.
Von Sebastian Rave, Bremen
DIE LINKE beschreibt die Folgen des Pandemie-Kapitalismus auf den Punkt: „Die Corona-Krise hat die Ungerechtigkeiten des Kapitalismus deutlich zu Tage treten lassen: während die einen um ihren Arbeitsplatz, die Bildung ihrer Kinder und die Gesundheit bangen mussten, steigerten große Konzerne ihre Gewinne.“
Das Programm verurteilt den Impfnationalismus der großen Industrienationen, der dazu führt, dass ökonomisch benachteiligte Länder ein nachsehen haben. Das habe auch mit der privaten Verfügung über Pharma-Patente zu tun. Die Macht der Pharmaindustrie solle gebrochen werden – aber leider nicht durch Enteignung, sondern mit besserer Kontrolle.
Zentrale Forderungen im Gesundheitsbereich sind:
- Bessere Gehälter in der Pflege (500 Euro mehr pro Monat)
- Gesetzliche Personalbemessung
- Krankenhäuser in Gemeineigentum
- Fallpauschalen abschaffen, stattdessen bedarfsgerechte Finanzierung
- Pflegeversicherung ohne Eigenanteile
- Pharmaforschung öffentlich, Corona-Impfstofflizenzen freigeben
Der deutsche Niedriglohnsektor soll abgeschafft werden. Dafür werden höhere Mindestlöhne, gestärkte Tarifverträge und verkürzte Arbeitszeiten gefordert. Besonders „systemrelevante“ Angestellte (in Einzelhandel, Gastro, Kitas, Sozialarbeit, Reinigung, Zustellung), würden von der Erhöhung des Mindeslohns auf 13 Euro profitieren.
DIE LINKE setzt sich auch für die Verkürzung der Arbeitzeit ein. Die Aufgabe wird aber den Gewerkschaften überlassen: „Wir unterstützen die Gewerkschaften in ihrem Kampf für deutliche Arbeitszeitverkürzung in Richtung eines neuen Normalarbeitsverhältnissesmit 30 Stunden pro Woche“. Leider fehlt hier der volle Lohn- und Personalausgleich, ohne den eine Arbeitszeitverkürzung für viele eine Verschlechterung wäre oder zu mehr Arbeitsdruck führen würde.
Für die nicht-lohnarbeitenden Teile der Klasse fordert DIE LINKE eine Mindestsicherung von 1200 Euro. Rentenkürzungen sollen zurückgenommen werden und das Rentenniveau von 53 % wiederhergestellt werden.
DIE LINKE fordert für Beschäftigte:
- 13 Euro Mindestlohn
- Befristungen stoppen
- mindestens sechs Wochen Urlaub
- 1200 Euro sanktionsfreie Mindestsicherung
Millionen Menschen ächzen unter zu hohen Mietkosten, während Immobilienkonzerne Milliardenprofite machen. DIE LINKE nimmt Forderungen der Mieter*innenbewegung wie Mietendeckel, mehr Sozialwohnungsbau und Ausweitung des Milieuschutzes auf. Sie stellt fest, dass sie Teil der Kampagne „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ ist, fordert selber aber nur Gewinnabschöpfungen und ein Gesetz zur Vergesellschaftung. Nötig wäre die Enteignung von Großgrundbesitzer*innen statt ihnen mit Rückkaufmöglichkeiten auch noch profitable Deals zu ermöglichen. Statt der Betonung auf Sozialwohnungen, bei denen privater Wohnungsbau staatlich gefördert wird, sollte die Partei stärker auf öffentlichen Wohnungsbau setzen.
DIE LINKE fordert für Mieter*innen:
- bundesweiter Mietendeckel
- Immobilienkonzerne von der Börse
- 250.000 neue Sozialwohnungen
Zur Rettung des Klimas schlägt DIE LINKE ein Zukunftsinvestitionsprogramm vor. Mit Investitionen in klimafreundliche Produktion soll die Konversion gelingen. Unter anderem soll es ein Förderprogramm für die Autozulieferindustrie geben, wenn die Arbeitgeber Arbeitsplätze sichern, gute Löhne und flächendeckende Tarifverträge haben. Über die Förderung sollen regionale „Wirtschafts- und Transformationsräte“ entscheiden, in denen Politik, Unternehmen und Gewerkschaften sitzen sollen. Zwar wird richtigerweise festgestellt, dass „die Umweltzerstörung von den sozialen Verhältnissen im Kapitalismus nicht zu trennen ist“, und dass es Zeit ist, „den Profitmechanismus prinzipiell in Frage zu stellen“. Dafür reichen aber auch massive öffentliche Investitionen nicht aus, wenn nicht in das Privateigentum von klimaschädlicher Produktion eingegriffen wird und die Profitwirtschaft durch eine ökologische und demokratische Planwirtschaft ersetzt wird.
Zur Bewältigung der Klimakrise fordert DIE LINKE:
- 120 Milliarden Euro Investitionsprogramm für öffentlichen Daseinsvorsorge und Infrastruktur
- Kohleausstieg bis 2030
- Klimaneutralität bis 2035
- Vergesellschaftung von Energiekonzernen
- solidarisch finanzierter Nulltarif im ÖPNV, Ausbau des Schienenverkehrs
DIE LINKE hat als einzige relevante bundesweite Partei die Vorstellung einer gänzlich anderen Gesellschaft als den Kapitalismus: „Unsere Alternative ist der ökologische und demokratische Sozialismus.“ Leider bleibt sie unkonkret, wenn es darum geht, zu erklären, was damit gemeint ist.
Ein bisschen konkreter wird es im Programm, wenn es heißt: „Wir stehen für eine gesellschaftliche Entwicklung, in der die Vorherrschaft des Kapitals durch demokratische, soziale und ökologische Kräfte überwunden wird und die Gesellschaft des demokratischen Sozialismus entsteht.“
Grün-Rot-Rote Sackgasse
Aber „entsteht“ eine sozialistische Gesellschaft „in“ der kapitalistischen? Wenn DIE LINKE zum Beispiel die besondere Förderung von Unternehmen fordert, die im kollektiven Belegschaftseigentum sind, wird klar, dass sich zwar die Eigentumsformen ändern sollen, nicht aber das Eigentum selbst aufgehoben – und damit auch nicht die Marktwirtschaft, in der Unternehmen gegeneinander konkurrieren. Die Arbeiter*innen würden in einer solchen Konkurrenz der Genossenschaften dazu gezwungen „sich selbst gegenüber die Rolle des kapitalistischen Unternehmers zu spielen“ (Rosa Luxemburg).
Die Vorschläge der LINKEN unterscheiden sich grundsätzlich von denen aller anderen großen Parteien. Sie durchzusetzen, würde enorme gesamtgesellschaftliche Auseinandersetzungen, Klassenkämpfe und Streiks voraussetzen. Eine starke LINKE macht einen großen Unterschied in den gesellschaftlichen Diskussionen: Eine Alternative zum Kapitalismus wird sichtbar. Der Weg dahin bleibt aber unklar. Eins ist klar: Die Orientierung auf eine Regierungsbeteiligung mit SPD und Grünen wird nicht zur Umsetzung der dringend nötigen Forderungen der LINKEN führen. Wenn DIE LINKE sich an SPD und Grüne anpasst, um „bündnisfähig“ zu werden, wird ihre Existenz als eigenständige, sozialistische politische Kraft infrage gestellt. Deswegen wird es nötig sein, nicht nur ein Kreuzchen bei der LINKEN zu machen, sondern den Kampf um eine LINKE zu führen, die den Kapitalismus nicht nur in wolkigen Worten ablehnt, sondern zu dessen bewusster Abschaffung beiträgt.