In welchen Verhältnis wirtschaftlicher Wachstum und Klimakrise zu einander stehen, wird verstärkt diskutiert. Mit dem folgenden Beitrag zur Debatte in der Umweltbewegung möchten wir einen marxistischen Blick auf diese wichtige Frage darlegen.
Von Conor Payne und Chris Stewart (Socialist Party, Sektion der ISA in Irland)
Viele Umweltaktivist*innen und Wissenschaftler*innen sind der Auffassung, dass die Besessenheit von wirtschaftlichem Wachstum der Grund für unsere derzeitige Umweltkrise ist und die Lösung darin besteht, die Wirtschaft „schrumpfen“ zu lassen.
Allerdings fehlen in dieser Diskussion allzu oft die entscheidenden, antikapitalistischen Inhalte – oder es mangelt an der Erkenntnis, dass die Gesellschaft in Klassen aufgeteilt ist. Wir Arbeiter*innen werden dann dafür angeklagt, dass wir angeblich zerstörerisches „Konsumverhalten“ an den Tag legen. Sozialist*innen sollten sich stattdessen darüber bewusst sein, dass das kapitalistische System und die dazugehörende unstillbare Gier nach mehr Profiten der Grund für die Klimakrise ist. Uns muss klar sein, dass die einzige Möglichkeit, diese Krise zu lösen, darin besteht, für eine sozialistische Welt zu kämpfen, in der die Bedürfnisse der Menschen – das nachhaltige Verhältnis zur Natur eingeschlossen – vor individueller Gier stehen.
Der Kreislauf von Auf- und Abschwung im Kapitalismus
Im Kapitalismus ist die treibende wirtschaftliche Kraft die Gier nach Gewinn. Der Wettbewerb zwischen Unternehmen und sogar zwischen verschiedenen kapitalistischen Ländern um Märkte und Ressourcen erzwingt, dass dieser Wettkampf ohne Rücksicht auf Verluste und expansiv ausgetragen wird. Deshalb gehört zum Kapitalismus auch ein ständiger Drang nach ökonomischem Wachstum.
Parallel dazu sind diese Unternehmen darauf aus, die Kosten ihrer Aktivitäten „auszulagern“, damit sie von jemand anderem getragen werden. Die kapitalistische geführte Firma kümmert es nicht, auf welcher Grundlage ihr Wachstum aufbaut. Ob ihre Produkte nützlich sind oder Schäden verursachen, schert sie nicht. Auch ist es belanglos, ob ihr Handeln nachhaltig für die Umwelt ist.
Der Kapitalismus ist ein System der Widersprüche. Die Kapitalist*innen machen Profite, indem sie Arbeitskräfte ausbeuten. Dasselbe gilt für die notwendigen Ressourcen, die der Natur im Zuge des Herstellungsprozesses entnommen werden. Die konstante Notwendigkeit, immer mehr an Profiten anzuhäufen, bedeutet, dass der Kapitalismus auf immer zerstörerischere Weise immer mehr an Ressourcen abbaut. Das führt zur Auszehrung der Böden, der Dezimierung der Wälder, zum Mangel an Mineralien, zu Schäden im Lebensraum Ozean, usw. Letztlich werden somit die Quellen des Reichtums selbst, auf die das System zurückgreifen kann, immer weiter vernichtet.
Der Kapitalismus stößt vermehrt auf die ökologischen Barrieren, die seiner ungezügelten Fortentwicklung im Weg stehen. Das äußert sich in den zahlenmäßig zunehmenden Naturkatastrophen, dem jüngsten Zusammenbruch des Stromnetzes in Texas und einer weltweit grassierenden Pandemie, was alles – zumindest in Teilen – auf die unaufhörlichen Eingriffe der Menschheit in die Natur zurückzuführen ist.
Hinzu kommt, dass es sich beim Kapitalismus um ein System handelt, das Investitionen zu allererst über das Chaos organisiert, welches an den Börsen regiert und wo Investment allein an der Höhe des zu erzielenden Profits ausgerichtet ist. Kapitalist*innen entscheiden sich heute in zunehmendem Maße dafür, mit ihrem Reichtum Spekulation mittels komplexer Finanzprodukte zu betreiben, die kaum noch einen Bezug zu tatsächlich existierenden Werten in der Gesellschaft haben. Marx nannte es das „fiktive Kapital“. Der Grund dafür ist, dass sie damit höhere kurzfristige Profite machen können, als wenn sie tatsächlich produktiven Investitionen tätigen würden.
Gleichzeitig bedeutet die Zielsetzung der Kapitalist*innen, den Anteil der Arbeiter*innen am Reichtum immer niedriger ausfallen zu lassen, wodurch die Arbeitskräfte in ihrer Gesamtheit nicht mehr in der Lage sind, all die Produkte überhaupt kaufen zu können, die die Kapitalist*innen auf den Markt werfen. Auf diese Art stößt das kapitalistische Wachstum schließlich an seine Grenzen, und das System stürzt in Krisen und Rezession. Momentan erleben wir diesen Krisen-Prozess in Irland und auf internationaler Ebene zum zweiten Mal in gut zehn Jahren.
Auch wenn die Vorteile des Wachstums für die Arbeiter*innen neben denen für die Konzerne und Reichen üblicherweise verblassen, so hat es oft auch zu einer Verbesserung des Lebensstandards in der Arbeiter*innenklasse geführt, wenn das Wachstum auf produktive Investitionen zurückzuführen war. Phasen ökonomischen Wachstums (wie beispielsweise in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg) sind von kapitalistischen Regierungen manchmal auch genutzt worden, um im Interesse der Arbeiter*innenklasse soziale Reformen zu gewähren: So etwa beim Thema Renten, der Gesundheitsversorgung und in der Bildung, auf dem Feld der sozialen Absicherung u.ä. Dies geschah nicht aus irgendeiner Art von Freundlichkeit sondern damit sollten mögliche revolutionäre Situationen abgewendet werden, die entstehen wenn die Arbeiter*innenklasse das System grundsätzlich in Frage stellt.
In den vorherigen Jahrzehnten des neoliberalen Kapitalismus bestand die Grundlage für Wachstum dann allerdings nur noch darin, den Anteil des Reichtums zu verringern, der an die Arbeiter*innenklasse geht. Der Kapitalismus drückte die Löhne, weidete die öffentliche Daseinsfürsorge aus und untergrub die ökonomische Sicherheit. Demgegenüber ist die Ungleichheit förmlich explodiert, weil die positiven Begleiterscheinungen des Wirtschaftswachstums ausblieben. Dennoch haben die Kapitalist*innen versucht, den Konsum immer weiter zu steigern, der dann zum großen Teil auf privater Kreditaufnahme basierte. Unterm Strich bedeutet dies, dass kapitalistisches Wirtschaftswachstum heute oft nur wenige echte Vorteile für die Menschen aus der Arbeiter*innenklasse mit sich bringt.
Die Erholung von der Großen Rezession des Jahres 2008 war im Großen und Ganzen „freudlos“. Dies ließ sich in Irland bei den Wahlen 2020 sozusagen grafisch ablesen, als das Establishment keinerlei Nutzen aus dem ansonsten viel zitierten „Wohlfühl-Faktor“ ziehen konnte. Stattdessen erlebte man eine historische Wahlniederlage, trotz nominell beeindruckender Wachstumsraten in den vorangegangenen Jahren. Die wirtschaftliche Erholung hat die Realität aus Niedriglöhnen, prekärer Beschäftigung und Wohnungsmangel nicht geändert. In Großbritannien kam die Statistikbehörde „Office of National Statistics“ zu dem Ergebnis, dass die Reallöhne Ende 2019 trotz einer Dekade des Wachstums nur auf dem Niveau von 2008 lagen – „just in time“ für die nächste Krise! Zeitgleich stieg die Anzahl der „zero hours contracts“ (Lohn wird nicht fest, sondern nur nach Auftragslage bezahlt) mit fast einer Milllion betroffener Arbeiter*innen auf ein Rekordhoch1.
Unterdessen wird die steigende Last, die der Klimawandel verursacht, nicht gerecht verteilt, da die Wohlhabenden sich von den Folgen des Wirtschaftssystems absondern, von dem sie zuvor profitiert haben. Als beispiellos niedrige Temperaturen zum katastrophalen Stromausfall in Texas führten, trugen die Wohngebiete der Arbeiter*innenklasse, Armen und Minderheiten während der Reduzierung der Stromleistung die Hauptlast. Die leerstehenden Wolkenkratzer der Stadt brachten hingegen weiterhin die Skyline zum Leuchten.
Karl Marx hat festgestellt: Im Kapitalismus ist „die Akkumulation von Reichtum auf dem einen Pol […] also zugleich Akkumulation von Elend, Arbeitsqual, Sklaverei, Unwissenheit, Brutalisierung und moralischer Degradation auf dem Gegenpol, d.h. auf Seite der Klasse, die ihr eignes Produkt als Kapital produziert“2. Das fasst auch die kapitalistische Wirtschaftsweise von heute zusammen. Dazu kommt natürlich noch, dass die Arbeiter*innen weiterhin verpflichtet werden, für die Kosten aufzukommen, wenn das System in die Rezession übergeht. Die Realität ist, dass die kapitalistische Wirtschaft zu keinem Zeitpunkt im Kreislauf aus Ab- und Aufschwung im Interesse der Arbeiter*innenklasse funktioniert.
Eine Wirtschaft im Sinne der Bedürfnisse, nicht im Sinne der Gier
Auch wenn das wirtschaftliche Wachstum zweifelsohne die CO2-Emissionen nach oben schraubt und sämtliche Formen der Umweltzerstörung vorantreibt, so führt ein ökonomischer Abschwung im Kapitalismus nicht zu einer gleichermaßen starken Verringerung der Umweltbelastung. In einer Untersuchung, bei der 150 Länder über den Zeitraum von 1960 bis 2008 herangezogen worden sind, kam man zu dem Ergebnis, dass ein Anstieg des BIP um ein Prozent im Schnitt zu einer Steigerung der CO2-Emissionen um 0,73 Prozent führt. Einer einprozentigen Verminderung des BIP stand hingegen nur ein Rückgang des CO2-Ausstoßes um 0,4 Prozent gegenüber3. Der Grund dafür ist, dass die Güter und Infrastrukturmaßnahmen, die während einer Aufschwungphase produziert bzw. durchgeführt worden und mit Blick auf die Umwelt als ineffizient zu bezeichnen sind, im Allgemeinen auch in einer Abschwungphase weiterhin zur Anwendung kommen. Eine Verringerung des Konsums kann für sich genommen niemals zur notwendigen Verringerung der CO2-Emissionen führen. Was wir stattdessen brauchen, ist ein fundamentaler Richtungswechsel hinsichtlich der Art und Weise, was und wie produziert wird.
Das heißt, dass es tendenziell zu immer mehr Emissionen kommen wird, wenn nicht vorher der planmäßige Übergang hin zu einem nachhaltigen Produktionsweise durchgeführt wird. Von daher ist die Debatte über die Folgen von Wachstum und die Auswirkungen eines wirtschaftlichen Rückgangs sinnlos, so lange sie nicht zu der Erkenntnis führt, dass das Chaos der kapitalistischen Marktwirtschaft beendet werden muss.
Das Ziel der kapitalistischen Wirtschaft besteht darin, bei den Arbeitgeber*innen für steigenden Profit zu sorgen. Im Sozialismus würde der Zweck der Wirtschaft darin bestehen, die menschlichen Bedürfnisse auf nachhaltige Weise und im Einklang mit der Natur zu befriedigen. Dazu müssen die Schlüsselsektoren der Wirtschaft den großen Konzernen aus der Hand genommen und unter demokratischer Kontrolle in öffentliches Eigentum überführt werden. So sind wir in der Lage, den Energiesektor, das Verkehrswesen, den Bereich der industriellen Landwirtschaft und die Produktion insgesamt neu und auf planvoller Grundlage zu organisieren. Dieser Plan muss sowohl an den Interessen der Menschen wie auch der Natur ausgerichtet sein.
Sozialist*innen wollen ein besseres Leben für die breite Mehrheit der Bevölkerung auf der Erde. Wir wissen, dass selbst in den reicheren Ländern viele in Armut leben oder es gerade so hinbekommen, den Kopf über Wasser zu halten. Sie haben keinen Zugang zu angemessenem Wohnraum oder adäquater Gesundheitsversorgung. Ökonomische Sicherheit für die Zukunft kennen sie nicht. Wir meinen, dass dieser Zustand in einer Welt des unfassbaren Überflusses in keiner Weise zu rechtfertigen ist. Deshalb wehren wir uns gegen alle Angriffe auf den Lebensstandard der Arbeiter*innenklasse – selbst gegen solche, die (wie Steuern auf Wasser oder CO2) unter dem Deckmantel des Umweltschutzes eingeführt werden.
Die übergroße Mehrheit der Weltbevölkerung ist nur für einen kleinen Anteil der CO2-Emissionen verantwortlich. Ein kürzlich veröffentlichter Bericht der UNO zeigt, dass das obere eine Prozent der Topverdiener*innen dieser Welt pro Kopf für eine jährliche durchschnittliche CO2-Erzeugung von 74 Tonnen verantwortlich ist. Demgegenüber stehen lediglich 0,7 Tonnen, die von den 50 Prozent der Weltbevölkerung kommen, die am wenigsten verdienen4. In großen Teilen der Welt müsste ein sozialistisches System die Produktion auf nachhaltige Basis umstellen und hochfahren sowie den Reichtum umverteilen. Sogar für die wohlhabenderen kapitalistischen Länder gilt, dass viele Sektoren, die heute für kapitalistische Investitionen keine Rolle spielen, in einem sozialistischen System erst noch ausgebaut und nicht abgebaut werden müssten: zuallererst die Gesundheitsversorgung, der Wohnungsbau und erneuerbare Energieträger.
Eine Welt voll Müll
Abgesehen davon erzeugt die kapitalistische Produktionsweise enorme Mengen an Müll. Die Ausmaße, die das hat, dürfen wir nicht unterschätzen:
- 690 Millionen Menschen litten 2019 unter Hunger. Die „Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation“ der Vereinten Nationen (FAO) geht davon aus, dass die Folgen der Corona-Pandemie 132 Millionen Menschen zusätzlich in den Hunger treiben werden5. Während der Pandemie wurden durch die Schließung der Restaurants und andere Störungen im Auslieferungsprozess Unmengen an guten Lebensmitteln entsorgt. Sogar in „normalen“ Zeiten wird in einer Welt, in der genug produziert wird, um alle satt zu bekommen, mindestens ein Drittel der Lebensmittel verschwendet oder findet gar nicht erst den Weg zu den Verbraucher*innen. Das hat eine ganze Reihe von Gründen. Doch der Kern des Problems ist, dass Lebensmittel den Status als Ware haben, die für Profit angeboten wird. Die industrielle Landwirtschaft lässt Lebensmittel auf den Feldern verrotten, um den Preis hoch zu halten. Supermärkte vernichten noch genießbare Lebensmittel, von denen sie meinen, sie nicht mehr verkaufen zu können. Gute Lebensmittel werden sogar aussortiert, weil ihre Größe oder Beschaffenheit sie zur „unverkäuflichen Ware“ macht6.
- 569 Milliarden Dollar sind Schätzungen zufolge allein im Jahr 2020 in den Bereich der Werbung geflossen. Dieses Jahr wird sich diese Summe auf 612 Milliarden erhöhen7. Addiert werden können noch die ganzen zusätzlichen Aufwendungen, die für Verkaufsförderung, Produktplatzierung, „Direktvermarktung“ und andere Formen der unternehmerischen Außendarstellung getätigt werden. Beim deutlich größten Teil dieser Gelder handelt es sich um eine reine Verschwendung, da er nicht für Verbraucher*inneninformation verwendet sondern dafür eingesetzt wird, um uns vom Kauf so vieler Produkte wie nur möglich zu überzeugen. Wir werden dazu angehalten, lieber viele Produkte von ein und derselben Marke zu kaufen als uns für andere Hersteller*innen zu entscheiden. Häufig wird dann mit unseren Sorgen und unserer Unsicherheit gespielt, um bei uns die falsche Vorstellung von angeblich bestehenden Bedürfnissen zu schaffen. Diese seien dann einfach durch Konsum zu „befriedigen“.
- Weil die Produktion im Kapitalismus nicht an Bedürfnissen sondern am Profit ausgerichtet ist, werden Werbung und Marketing direkt mit dem Herstellungsprozess verknüpft. Die Verpackungsindustrie macht aktuell den drittgrößten Industriesektor weltweit aus, wobei ein Großteil der Verpackungen kein vornehmlich funktionales Ziel hat sondern eingesetzt wird, um ein Produkt besonders zu vermarkten. Die Kosten für Verpackungen belaufen sich auf zehn bis 40 Prozent der Gesamtkosten eines Produkts8.
- „Geplante Obsoleszenz“ bedeutet, dass Produkte ganz bewusst nicht für den dauerhaften Gebrauch hergestellt sondern so konzipiert werden, dass wir Verbraucher*innen so oft wie möglich eine defekte Ware durch eine neue ersetzen müssen. Zu diesem Bereich zählt auch „fast fashion“ (kurzlebige Mode), die aus Material von minderwertiger Qualität hergestellt wird, oder Elektroartikel, deren Batterien nicht ersetzt werden können. Die „geplante Obsoleszenz“ hat allein im Jahr 2019 500 Millionen Tonnen Elektroschrott verursacht9.
- Es gibt eine ganze Palette weiterer Industriezweige und Produkte, die für Menschen aus der Arbeiter*innenklasse ohne Nutzen sind: Angefangen bei der Rüstungsindustrie, die tödliche Waffen herstellt, bis hin zu Luxusartikeln wie Privatflugzeugen gibt es Branchen, die von der Existenz einer Gruppe neuer und finanzstarker Konsument*innen profitieren, welche z.B. in Zeiten der Pandemie keine Charterflüge buchen wollten. Als Folge einer zusätzlichen kapitalistischen Spekulationsblase wird für die Kryptowährung Bitcoin aktuell mehr Strom benötigt als das Land Argentinien mit seinen 45 Millionen Einwohner*innen verbraucht.
- Weil zwischen den einzelnen Firmen Konkurrenz herrscht, werden Arbeiten in den Bereichen Forschung und Entwicklung oft doppelt und dreifach durchgeführt.
Wie wir sehen, sind die Berge an Müll, die im Kapitalismus produziert werden, nicht in erster Linie das Ergebnis der Verbraucher*innennachfrage sondern dienen dem Profitstreben im Kapitalismus. Zu einem gewissen Teil bedingt auch die Struktur der kapitalistischen Gesellschaft an sich schon, welche Bedürfnisse wir als Verbraucher*innen haben. Diejenigen, die nicht in der Nähe von zuverlässigen Verkehrsnetzen leben, haben das „Bedürfnis“ Autos zu kaufen. Menschen mit niedrigem Einkommen werden sich dafür „entscheiden“, auf kurzlebige (weil auf kurze Sicht billigere) „fast fashion“-Produkte zurückzugreifen etc.
Um immer mehr Produkte zu schaffen, die gar nicht gebraucht werden oder schnell nach dem Kauf wieder auf der Mülldeponie landen, oder um für immer stärkeren künstlichen Bedarf zu sorgen, wird nach kapitalistischem Verständnis alles unter dem Begriff „Wachstum“ einsortiert. Dabei handelt es sich bei diesem Prozess in keinster Weise um gesellschaftlichen Fortschritt. Eine demokratisch geplante Wirtschaft könnte mit weniger Einsatz mehr erreichen, wenn sie Bestandteil des planvollen ökologischen Übergangs wäre: Neuausrichtung nutzloser oder gar zerstörerischer Industriezweige, Vermeidung von doppelt geleisteten (redundanten) Arbeitsprozessen, Verhinderung von Überproduktion und geplanter Obsoleszenz, Fokussierung auf die Befriedigung von Bedürfnissen (nicht auf die Schaffung künstlichen Bedarfs) sowie Transformation der Bereiche Landwirtschaft, Verkehr und Energieerzeugung auf nachhaltiger Grundlage. In einem solchen System könnten ganze Industriezweige, Wohnviertel und Städte demokratisch und auf völlig anderer Basis geplant werden. Der kapitalistischen Überproduktion und der Produktion von Müll würde ein Ende gesetzt und es wäre möglich, die Ressourcen wesentlich rationeller einzusetzen.
Nachhaltige Zukunft bedeutet sozialistische Planung
Manche wenden ein, dass ein simpler Übergang hin zu erneuerbaren Energieträgern („Energiewende“) die ökologischen Probleme unserer Zeit lösen wird. Dieser Übergang ist sowohl nötig als auch möglich. Im Kapitalismus wird es dazu aber nicht so einfach kommen, weil in diesem Wirtschaftssystem jeder fossile Energieträger so lange ausgebeutet wird, wie er zur Verfügung steht und als profitabel gilt.
Und auch wenn es dazu kommen sollte, so hätten wir weiterhin mit einer ganzen Reihe an erst noch bevorstehenden ökologischen Katastrophen zu kämpfen. Die Realität ist, dass der Kapitalismus schon jetzt eine große Zahl an Grenzen überschritten hat, die für den Schutz einer halbwegs intakten Umwelt im Sinne der menschlichen Zivilisation auf der Erde nötig sind. Zu denken sei an die Vernichtung von Arten, die Verödung von Böden und die Rodung ganzer Waldgebiete, um nur drei Beispiele zu nennen. Die gemeinsame Ursache für all diese Probleme besteht darin, dass die Menschheit in zunehmendem Maße in die Natur eingreift, wodurch mittlerweile die Grundlage unserer Existenz auf diesem Planeten in Gefahr gerät.
Auch werden Veränderungen auf technologischer Ebene allein das Problem einer nachhaltigen Beziehung zur Natur nicht lösen. Im Kapitalismus ist das exakte Gegenteil der Fall: Wenn technologische Verbesserungen zu einem effizienteren Energieeinsatz führen, dann wird dadurch nur die Grundlage geschaffen für eine weitere Expansion. Daher führt technischer Fortschritt unter dem Strich paradoxer Weise oft zu einem noch höheren Energieverbrauch10.
Bis zu einem gewissen Grad mag die Technologie die Rahmenbedingungen verschieben helfen. Wir müssen aber einfach einsehen, was unumstößliche Realität ist: Man kann kein grenzenloses Wachstum auf einem Planeten haben, der seine Grenzen hat. Kapitalismus bedeutet zunehmend destruktive und wilde Suche nach Ressourcen, die ausgebeutet, und nach Grund und Boden, der nutzbar gemacht werden kann, wobei der Profit aus diesen Aktivitäten sich immer stärker in den Händen von nur wenigen Menschen konzentriert.
Sozialistische Planung kann hingegen eine rationale und vernünftige Entwicklung unserer Lebensqualität sicherstellen, ohne dass dabei Schaden an Natur und Umwelt angerichtet wird. Nur auf dieser Grundlage können wir unsere Gesellschaft neu und an den echten Bedürfnissen (nicht am Profit!) ausrichten und unzählige, gesellschaftlich notwendige Arbeitsplätze schaffen, die für den Aufbau eines nachhaltigen Systems nötig sind.
Sozialist*innen setzen sich für umfangreiche Investitionen im Bereich emissionsarmer Arbeitsplätze und nachhaltiger Infrastruktur ein. Wir kämpfen für die Einführung der vier-Tage-Arbeitswoche bei vollem Lohnausgleich. Das würde nicht nur das Problem der im Kapitalismus ständigen Erwerbslosigkeit beheben, indem Arbeit auf alle verteilt wird, die arbeiten wollen. Dadurch hätten die Arbeitskräfte auch endlich genügend Zeit, um sich an politischen und ökonomischen Entscheidungsprozessen zu beteiligen, und es käme zu einer besseren Gewichtung zwischen Arbeit, gesellschaftlicher Beteiligung und Erholung.
Auch unter diesen Bedingungen wird es weiterhin komplexe Fragen darüber zu beantworten geben, wie Produkte, Industriezweige und Tätigkeiten weitergeführt werden können. Diese Fragen können aber am besten auf der Basis demokratischer Diskussionen und in einer Gesellschaft angegangen werden, die auf Gerechtigkeit und Solidarität basiert.
Quellen
1. Richard Partington, Feb 18, 2020 „Average Wages Top Pre-Financial Crisis Levels“, „The Guardian“, www.theguardian.com
2. Karl Marx: „Das Kapital“, Bd. 1., www.mlwerke.de
3. Richard York, Oct 7, 2012, „Asymmetric effects of economic growth and decline on CO2 emissions“, „Nature Climate Change“, www.nature.com
4. UN Environment Program „Emissions Gap Report 2020“, Dec 9, 2020
5. UN Food and Agriculture Organisation, July 13, 2020, „As more go hungry and malnutrition persists, achieving Zero Hunger by 2030 in doubt, UN report warns“, www.fao.org
6. Andrew Smolski, Mar 29, 2017, „Capital’s Hunger in Abundance“, Jacobin, www.jacobinmag.com
7. Brad Adgate, Dec 14, 2020, „Ad Agency Forecast: Expect The Advertising Market To Rebound In 2021“, Forbes, www.forbes.com
8. John Bellamy Foster and Brett Clark, 2020, „The Robbery of Nature: Kapitalismus and the Ecological Rift“, Monthly Review Press, p. 364
9. John Harris, Apr 15, 2020, „Planned obsolescence: the outrage of our electronic waste mountain“, The Guardian, www.theguardian.com
10. Foster and Clark, 2020, p.352-3.