Am 2. September starb in Athen im Alter von 96 Jahren Mikis Theodorakis. Der griechische Komponist hat nicht nur ein außerordentlich reichhaltiges musikalisches Werk geschaffen, er war auch die meiste Zeit seines Lebens politischer Aktivist.
Von Hubert Schönthaler, Köln
Außer seinen populären Liedern schrieb er Musik für Film und Theater, Oratorien, Kammermusik, Ballette und symphonische Werke. In Deutschland ist er vor allem durch seine Filmmusik zu „Alexis Sorbas“ und durch seine Volksmusik bekannt geworden, die seit Jahrzehnten in griechischen Tavernen gespielt wird.
Theodorakis politischer Beitrag im griechischen Klassenkampf
Mikis Theodorakis hat bei allen großen Bewegungen mitgekämpft, die Griechenland im 20. Jahrhundert erschütterten: im Widerstand gegen die deutsch-italienisch-bulgarische Besatzung 1941-1944 während des Zweiten Weltkriegs, den Dezemberereignissen 1944 in Athen im Kampf gegen England, im griechischen Bürgerkrieg 1946-1949 und im Kampf gegen die Militärdiktatur 1967-1974.
Mit 18 Jahren organisiert er sich in der Nationalen Befreiungsfront (EAM) und später in der Kommunistischen Partei Griechenlands (KKE), der einzigen linken Massenkraft zu der Zeit. Nach den Dezemberkämpfen in Athen 1944 verfolgt ihn die Polizei, die ihn 1947 verhaftet, nach Ikaria und später auf die KZ-Insel Makronnisos verbannt, wo er schwer gefoltert wird. 1963 wird er zum Vorsitzenden der linken Lambrakisjugend gewählt, ein Jahr später sitzt er als Abgeordneter der Vereinigten Demokratischen Linken (EDA) im Parlament (die KKE war damals verboten).
Sofort nach dem Militärputsch 1967 geht er in die Illegalität und gründet die erste Widerstandsorganisation, die Allgriechische Antidiktatorische Front (PAM). Seine Werke werden verboten. Es folgen Verhaftung, Isolationshaft und Hungerstreik. Nach Protesten im Ausland wird er zu Hausarrest verurteilt, bis er im April 1970 nach Paris ausreisen kann, wo er zuvor bereits einige Jahre studiert hatte. Nach dem Sturz der Diktatur 1974 kehrt er nach Griechenland zurück.
Theodorakis engagierte sich auch 2010-2015 in der Massenbewegung gegen das Spardiktat der EU und des Internationalen Währungsfonds (IWF). Er war ein politischer Aktivist, jedoch ohne feste politische Grundlagen. Daher machte er auch Fehler: 1974 unterstützte er den Konservativen Konstantinos Karamanlis, 1990 wurde sogar Minister in der Regierung der Neuen Demokratie (ND) – die auch zur Zeit in Griechenland die Regierung stellen – , was große Enttäuschung in weiten Teilen der Gesellschaft hervorrief. Mit seiner nationalistische Haltung zur Mazedonien-Frage in den letzten Jahren landete er sogar auf Versammlungen, an denen auch Rechtsextreme und Faschisten teilnahmen. Diese Kritik an Theodorakis schmälert aber seinen gewaltiger kultureller Beitrag und aktives Engagement in der griechischen Befreiungs- und Arbeiter*innenbewegung nicht.
Theodorakis` künstlerisches Werk
Seine musikalischen Werke sind zweifellos das Rückgrat des politischen Liedes Griechenlands. Sie sind verbunden mit dem Kampf der Unterdrückten für Freiheit und Gerechtigkeit, mit der Geschichte des Landes und der Linken. Die Leiden, die Verbannungen, die Opfer, die Niederlagen, doch auch der Mut, die Hoffnungen und Visionen des griechischen Volkes finden darin Ausdruck. Beispiele sind „Wenn sie die Fäuste ballen“ nach Versen von Jannis Ritsos oder „Eine Schwalbe“ nach dem Literaturnobelpreisträger Odysseas Elytis.
Theodorakis war der erste griechische Komponist, der das Werk großer Dichter vertonte. Dieses fand gewaltigen Anklang in der Bevölkerung. Die bekanntesten Sänger*innen sangen zur Bouzouki seine Melodien – bis heute. Beispiele sind „Die Schicksalhaften“ von Kostas Varnalis oder das Oratorium „Canto General“ mit Texten des chilenischen Dichters Pablo Neruda.
Das griechische Establishment versucht ganz bewusst seit Jahrzehnten, Theodorakis zu entpolitisieren und zu einer Art „nationalem Kulturgut“ zu machen. Doch das künstlerische Werk von Theodorakis gehört der Gesellschaft und den Bewegungen der griechischen Massen, die seine Musik mit ihrer Leidenschaft für Freiheit und Gerechtigkeit identifizieren.
Bild: Koen Suyk / Anefo, CC0, via Wikimedia Commons