Nicht erst seit der Corona-Pandemie ist klar: Die Versorgungs- und Arbeitsbedingungen in den Krankenhäusern sind eine Katastrophe. Personalabbau und mangelnde Investitionen führen zu Überbelegung, Stress, Überforderung und mangelnder Hygiene. Der immer wieder beklagte Fachkräftemangel ist in Wirklichkeit eine Fachkräfteflucht. Durchschnittlich siebeneinhalb Jahre hält es eine Pflegekraft im erlernten Beruf aus, trotz großer Motivation. Corona hat die Situation für die Beschäftigten nochmal verschärft. Geändert hat sich an der Situation nichts.
von Antje Zander, Berlin
Vor diesem Hintergrund starteten Beschäftigte von Charité, Vivantes und den Vivantes-Töchtern unter Führung von ver.di die Berliner Krankenhausbewegung. Das Ziel ist, im Wahljahr 2021 endlich eine Verbesserung der unerträglichen Zustände in der Gesundheitsversorgung zu erreichen. Konkret geht es dabei erstens um eine personelle Entlastung bei Charité und Vivantes, den beiden großen öffentlichen Berliner Krankenhausträgern. Es sollen eine bessere Personalausstattung mit einem verbindlichen Personalschlüssel und einem Belastungsausgleich bei Unterbesetzung sowie eine bessere Ausbildungsqualität erreicht werden. Zudem geht es um die tarifliche Gleichstellung aller Beschäftigten in den Krankenhäusern durch eine Ausweitung des TVöD auf die Tochterunternehmen bei Vivantes, um gegen niedrige Löhne und prekäre Arbeitsbedingungen vorzugehen.
Ultimatum an die Klinikleitungen
Zum Tag der Pflege am 12. Mai erfolgte die Übergabe einer Petition mit 8397 Unterschriften von Kolleg*innen, verbunden mit einem 100-Tage-Ultimatum an Klinikleitungen und den rot-rot-grünen Berliner Senat. Sowohl bei Vivantes als auch der Charité ist das Land Berlin der alleinige Anteilseigner und somit hätte der Senat schon in den vergangenen fünf Jahren Geld bereitstellen können, um die Situation in den Krankenhäusern substantiell zu verbessern.
Stattdessen versuchte der Vivantes-Konzern, in dessen Aufsichtsrat unter anderem SPD-Finanzsenator Kollatz sitzt, die ersten Warnstreiks am 23. August mit einer einstweiligen Verfügung für die Tochterunternehmen und dann auch die Pflegekräfte bei Vivantes selbst zu verbieten. Aber nicht der Streik gefährdet die Gesundheit der Patient*innen, sondern der Normalzustand. Der gehört also eigentlich gerichtlich verboten.
Die Kolleg*innen ließen sich dadurch aber nicht einschüchtern. Nachdem das Streikverbot per Gerichtsbeschluss aufgehoben wurde, zeigte sich die Wut und Entschlossenheit der Kolleg*innen mit einer großen, machtvollen Demo am dritten Warnstreiktag.
Bei der anschließenden Urabstimmung votierten 98% der ver.di-Mitglieder für einen unbefristeten Arbeitskampf. Seit dem 9. September wird bei Vivantes, Charité und den Töchtern gestreikt. Kolleg*innen aus unterschiedlichen Bereichen des Krankenhauses und mit unterschiedlichen Forderungen stehen dabei gemeinsam im Arbeitskampf. Alle Beschäftigten im Krankenhaus sind wichtig – und sie lassen sich nicht gegeneinander ausspielen.
Die Unterstützung ist groß. Am 14. September demonstrierten fast 3000 Kolleg*innen und Unterstützer*innen in Berlin. Fast täglich finden vor den verschiedensten Standorten Streikkundgebungen statt. Die Beschäftigten versuchen, auch die Bevölkerung für ihr Anliegen zu gewinnen, verteilen Flugblätter und überall im Stadtbild hängen von ihnen geklebte Info-Plakate. Damit wird klar: Die Beschäftigten kämpfen nicht „nur“ für sich – sie kämpfen für uns alle.
Wir brauchen ein Gesundheitssystem in öffentlicher Hand, in dem Profite nichts zu suchen haben, sondern der Bedarf an einer qualitativ hochwertigen Gesundheitsversorgung im Mittelpunkt steht. Dazu müssen die Fallkostenpauschalen durch ein System der bedarfsorientierten Finanzierung der Krankenhäuser ersetzt und eine bedarfsgerechte Personalbemessung muss bundesweit eingeführt werden. Darüber hinaus müssen alle Tochterunternehmen rekommunalisiert und in die Mutterbetriebe zurücküberführt werden. Ja, das kostet Milliarden – aber während der Pandemie wurden diese für Lufthansa & Co. bereitgestellt und gleichzeitig Kolleg*innen in Krankenhäusern, Kitas und im Einzelhandel – alle als „systemrelevant“ gefeiert – im Regen stehen gelassen.