2021 endet, wie es begonnen hat: mit Tausenden Toten, überlasteten Kliniken und (Teil-)Lockdowns. Und das trotz Impfstoff und Massentests. Ein faktischer Lockdown für Ungeimpfte soll Druck machen. Die von prinzipiellen Impfgegner*innen, Rechten und Verschwörungsideolog*innen verbreitete Propaganda muss natürlich bekämpft werden. Aber gleichzeitig sind Maßnahmen nötig, um die Menschen zu erreichen, die noch ansprechbar sind.
von Conny Dahmen, Köln
Das Bild des AfD-wählenden “Querdenkers” entspricht nicht dem größeren Teil der Ungeimpften, vor allem nicht in Westdeutschland. Noch immer stehen Menschen den Impfstoffen skeptisch gegenüber und zögern. Prekär Beschäftigte und arme Menschen sind teilweise mit der Planung der Impfung überfordert oder fürchten, sich die Krankschreibung nach einer Impfung nicht leisten zu können.
Schaut man in Länder und Regionen mit erfolgreicher Impfkampagne, sind es vor allem niedrigschwellige Angebote und geduldige Aufklärung, die zum Erfolg geführt haben. Im Bundesland Bremen sind 93% der Erwachsenen vollständig geimpft. Mit unkomplizierten Impfangeboten, mehrsprachigen Aufklärungskampagnen und persönlicher Kontaktaufnahme und Beratung in den Vierteln konnten mehr Menschen erreicht und überzeugt werden. Dort stellt DIE LINKE die Gesundheitssenatorin. In Portugal und Spanien, Ländern mit Impfquoten über 80% der Gesamtbevölkerung, bekamen die Menschen ihre Impftermine vom Staat zugewiesen.
Hierzulande muss sich jede*r selbst kümmern. Menschen in prekären Verhältnissen oder mit mangelnden Sprachkenntnissen bleiben oft außen vor, auf dem Land arten Impftermine oftmals in Tagesausflüge aus, oft müssen Menschen stundenlang in der Kälte stehen. Verschärft wurde dies durch die irrsinnige Schließung der Impfzentren im Spätsommer, und das, obwohl bereits klar war, dass im Herbst Booster-Shots anstehen.
Während Schnelltests wieder kostenpflichtig wurden, avancierte die Impfung zum generellen Freifahrtschein für alles, obwohl sie – und das wurde von Anfang an von der Wissenschaft kommuniziert – vor allem gegen schwere Verläufe, aber nicht sicher vor Ansteckung schützt, so dass mehr oder weniger unbemerkt die Ansteckungen auch unter Geimpften nach oben gingen.
Impfen verpflichtend machen?
Eine allgemeine Impfpflicht ist nur scheinbar eine Lösung. Für die laufende vierte Welle käme sie zu spät. Zudem ist unklar, welche Ausnahmen es gäbe, ob Ungeimpften am Ende Gefängnisstrafen drohen oder sich Besserverdienende über Bußgelder „freikaufen“ könnten. Eine Impfpflicht in bestimmten Berufsgruppen, z.B. im Gesundheitswesen, könnte Kündigungen – ver.di spricht von bis zu 1% – und damit eine Verschärfung des Pflegenotstands zur Folge haben. Die World Health Organisation (WHO) tritt nicht umsonst gegen Impfpflicht und für Überzeugungsarbeit und reguläre Tests in den Belegschaften ein.
Auch die Durchsetzung der Impfpflicht müsste auf weit besserer Aufklärung und Bereitstellung als bisher basieren.
- Impftermine für alle Einwohner*innen verfügbar machen, niedrigschwellig in den Stadtvierteln, an den Arbeitsplätzen, an Unis und Schulen
- Eine effektive Impfkampagne unabhängig von Regierung und Pharmakonzernen, mit mehrsprachiger Aufklärung und Betreuungsangeboten
Organisiertes globales Versagen
Die Regierungen nutzen den Frust über die Impfverweigerer*innen, um die Aufmerksamkeit von ihrem eigenen Versagen abzulenken. Die Omikron-Variante ist ein weiterer Hinweis darauf, dass die globale Impfkampagne bisher versagt, obwohl die Pandemie nur international besiegt werden kann. In Afrika sind lediglich 4% der Bevölkerung zweimal geimpft. Solange sich daran nichts ändert, werden neue Mutationen auftauchen. Aber die Kapitalist*innen und Regierungen der westlichen Industrieländer stellen den Schutz der Patente und damit ihrer Profite über alles und opfern unsere Gesundheit diesem kranken System.
Doch selbst im Kapitalismus gab es Beispiele für geplante und nicht-profit-orientierte Pandemiebekämpfung, zum Beispiel beim erfolgreichen Kampf gegen Polio, eine noch in den 1960ern in der BRD verbreitete tödliche Kinderseuche. Der Impfstoffentwickler Jonas Salk hat sein Mittel zum Produktionspreis zur Verfügung gestellt, was Produktion und Verteilung effizienter machte.
Um sicherzustellen, dass Infektionskrankheiten erfolgreich behandelt und ausgerottet werden können, muss der Pharmasektor der Konkurrenz- und Profitmaschinerie entzogen, in öffentliches Eigentum überführt und unter die Kontrolle und Verwaltung demokratisch gewählter Gremien der Beschäftigten und Konsument*innen gestellt werden.
- Freier Zugang zu Impfstoffen für jede*n weltweit. Aufhebung der Patente auf Impfstoffe, Medikamente und geistigen Eigentums, stattdessen Offenlegung der Herstellungsverfahren.
- Pharmakonzerne in öffentliches Eigentum unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung. Volle und transparente internationale Zusammenarbeit der Wissenschaft und Forschung statt privater Konkurrenz.
- Übernahme der gesamten Impfstoff- und Testproduktion/-durchführung durch die öffentliche Hand.
3G im Betrieb – keine Verschlechterungen für Beschäftigte
Tägliche Testungen am Arbeitsplatz sind eine der Maßnahmen, die beim Eindämmen von Infektionen helfen. Umso krimineller ist es, dass sie erst jetzt eingeführt werden und nicht bereits im Frühjahr 2020. 3G am Arbeitsplatz in seiner jetzigen Form wird in vielen Betrieben eine Verbesserung darstellen. Allerdings verlagern sich damit auch Kosten und Aufwand von den Unternehmen in Richtung der Beschäftigten und der öffentlichen Hand .
Es geht Regierung und Unternehmen nicht nur um die Gesundheit der Beschäftigten. Durch die in die Freizeit ausgelagerte Testung sollen einerseits die Nicht-Geimpften unter Druck gesetzt werden. Gleichzeitig werden Unternehmen das nutzen, um teure und aufwändige Hygiene-Maßnahmen abzubauen und auf Tests der Geimpften zu verzichten.
3G am Arbeitsplatz öffnet auch Tür und Tor für Angriffe auf Arbeitsbedingungen. Bekommen die Unternehmen heute Zugriff auf die Test- und Impfdaten der Beschäftigen, wird das Begehrlichkeiten wecken, auch auf andere Gesundheitsdaten zuzugreifen. Beschäftigte mit erhöhtem Krankheitsrisiko würden möglicherweise als erstes entlassen oder gar nicht erst eingestellt. Gefährlich sind ebenfalls die Forderungen nach einer Abschaffung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall für Impfverweiger*innen. Am Ende könnten die Bezüge für alle gestrichen werden, die „selbstverschuldet krank” sind, z.B. Raucher*innen oder Extrem-Sportler*innen.
- 3G am Arbeitsplatz nicht auf Kosten von Beschäftigten: Kostenlose PCR-Tests für alle Beschäftigten und Impfungen während der Arbeitszeit und am Arbeitsplatz.
- Kontrolle der Einhaltung von Vorschriften durch demokratisch gewählte Gremien der Belegschaft.
- Mehrsprachige Öffentlichkeitskampagne der Gewerkschaften zu Impfung und Gesundheitsschutz und gegen Verschwörungsmystiker*innen und Rechtsextreme
Kostenlose Tests, mehr Personal
Während das Bundesgesundheitsministerium immer noch Appelle zur Vorsicht bei Kontakt mit Infizierten und roter Warn-App verbreitet, sieht die Realität oft anders aus. Gesundheitsämter sind vielerorts unerreichbar, geimpfte Kontaktpersonen müssen weiterhin arbeiten gehen, Quarantäne wird verhindert. In den nordrhein-westfälischen Schulen werden in der Regel nur noch infizierte Schüler*innen isoliert.
Während PCR-Tests selbst für Kontaktpersonen erster Ordnung von Covid-Infizierten nur schwierig zu ergattern sind, bietet die Stadt Wien ihren Einwohner*innen und Beschäftigten seit April mehrere kostenlose PCR-Selbsttests pro Woche an, die unkompliziert in Supermärkten abgeholt und abgeben werden.
- Kostenlose Antigen-, Schnell- und PCR-Tests für alle, mehr Labore und Personal, Herstellung und Einsatz der Tests in öffentlicher Hand
- Aufstockung des Personals der Gesundheitsämter durch Einsatz von privaten Call Centern. Einarbeitung der Beschäftigten in der Infektions-Nachverfolgung Infektionsnachverfolgung statt unsinniger Werbeanrufe.
Öffentliches Gesundheitswesen statt Lauterbach
In der Pandemie haben fast 10.000 Pflegekräfte die Krankenhäuser verlassen, so dass heute 5000 Intensivbetten weniger betrieben werden können als vor einem Jahr. Alle anderen arbeiten jenseits des Limits zu denselben niedrigen Löhnen wie zuvor oder sind dauerkrank. Die überquellenden Kliniken verschieben Operationen. In einer Klinik bei Aachen führte das dazu, dass eine Rentnerin mit kompliziertem Bruch ohne Behandlung nach Hause geschickt wurde. Ihre Pflege wurde bis auf Weiteres ihrem – noch nicht geboosterten – Partner überlassen, nachdem sie sich in der Klinik mit Covid infiziert hatte. Doch nicht allein die Pandemie, sondern die jahrzehntelange Kürzungs – und Privatisierungspolitik im Gesundheitswesen sind schuld an dieser Katastrophe.
Wird mit Karl Lauterbach als Gesundheitsminister jetzt alles besser? Sicherlich nicht. Der studierte Gesundheitsökonom plädierte vor der Pandemie für die Schließung von Krankenhäusern: „Jeder weiß, dass wir in Deutschland mindestens jede dritte, eigentlich jede zweite, Klinik schließen sollten. Dann hätten wir anderen Kliniken genug Personal, geringere Kosten, bessere Qualität, und nicht so viel Überflüssiges. Länder und Städte blockieren.“ (Tweet von Lauterbach am 4.6.2019). Er steht, wie die anderen bürgerlichen Politiker*innen, für die Politik der Fallpauschalen, Kürzungen und gewinnorientierten Pflege, die uns erst in diese Krise gebracht hat. Statt einer Fortsetzung unter Lauterbach brauchen wir eine Kampagne der Gewerkschaften und der LINKEN für ein Programm massiver Investitionen in ein öffentliches Gesundheitswesen für alle, das unter Kontrolle und Verwaltung derer steht, die dort arbeiten.
- Sofortige Abschaffung der Fallpauschalen, bedarfsgerechte Personalbemessung in Kliniken und Pflegeheimen, qualitative Lohnerhöhungen von 500 Euro monatlich. Kostenlose, rasche und bestmögliche Behandlung für alle.
- Milliarden-Investitionen in das Gesundheitswesen. Überführung privater Krankenhäuser und Altenpflegeeinrichtungen in öffentliches Eigentum.
- Die Reichen sollen zahlen: Stark progressive Besteuerung von Vermögen von Millionär*innen und Milliardär*innen. Zusätzliche Corona-Abgabe auf Vermögen von über einer Million Euro von 10%, 30% bei über zehn Millionen Euro.
Darüber hinaus brauchen wir eine Massenbewegung der Lohnabhängigen und Jugendlichen, die dagegen kämpft, dass die Pandemie auf unsere Kosten geht. Dazu gehört auch der Kampf gegen die erzwungenen alltäglichen Superspreader-Events in Schulen, Bussen und Bahnen, und für Luftfilter, kleinere Klassen und einen kostenlosen und gut ausgebauten ÖPNV.
Es wird aber auch um Widerstand gegen Kürzungen, Privatisierung, Entlassungen und Verschlechterungen von Arbeitsbedingungen gehen. Am Ende muss solch eine Bewegung auch die Frage der ökonomischen Macht stellen, denn wir können nur das kontrollieren, was uns gehört. Der Kapitalismus kann offensichtlich weder in der Pandemie noch der Klimakrise Lösungen bieten. Eine Zukunft wird die Menschheit nur in einer sozialistischen Gesellschaft haben, die auf wirklicher Demokratie, Planung und Solidarität beruht.
- Überführung von Konzernen in öffentliches Eigentum unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung durch die arbeitende Bevölkerung. Wenn nötig Umstellung der Produktion, Verteilung der Arbeit durch Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden pro Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich.
- Für eine demokratisch-sozialistische Gesellschaft ohne Profitorientierung und Konkurrenz, die mit Krisen umgehen kann. Internationale Kooperation und Solidarität, um die Bedürfnisse der Mehrheit der Bevölkerung zu erfüllen.