Im November sind die Verbraucherpreise gegenüber dem Vorjahr um 5,2% gestiegen, die Preise für Energie sogar um 18,6%. Freund*innen des Kapitalismus erklären, dass das keine „echte“ Inflation sei, sondern eine Folge der vorübergehenden Mehrwertsteuersenkung von Juli bis Dezember 2020. Aber auch im Vergleich zum Februar 2020, dem letzten Monat vor Corona, sind die Preise 4,6% höher. Für die Inflation gibt es mehrere in der Dynamik des Wirtschaftssystems liegende Gründe, es ist nicht davon auszugehen, dass sie bald wieder verschwindet.
von Thies Wilkening, Hamburg
Die Auswirkungen der Inflation auf die Preise sind nicht gleichmäßig. Benzin und Heizöl sind 20% teurer geworden. Auch einige Gasversorger haben ihren Kund*innen zum 1. Januar Preiserhöhungen für die Kilowatt-Stunde um 25% mitgeteilt.
Bisher ist das überwiegend eine Folge der Entwicklung der Öl- und Gaspreise auf dem Weltmarkt, aber steigende Energiepreise durch Verbrauchssteuern sind auch das Rezept der Ampel für den Kampf gegen den Klimawandel. Viele Arbeiter*innen sind jedoch auf das Auto angewiesen und Mieter*innen können sich die Heizung nicht aussuchen. Knapp ein Viertel aller Wohnungen in Deutschland werden mit Öl beheizt, fast die Hälfte mit Gas. Im Koalitionsvertrag ist zwar ein „sozialer Ausgleich“ für höhere Preise vorgesehen, aber nicht näher definiert. In absehbarer Zeit können Auto-Pendler*innen und Mieter*innen, deren Heizkosten explodieren, nicht mit substanzieller Unterstützung rechnen.
Energiekonzerne zur Kasse bitten
Für die durch fossile Brennstoffe entstehenden Klimaschäden sollten nicht die Privatverbraucher*innen zahlen, sondern die Energie- und Ölkonzerne mit ihren Profiten. Letztlich gehören die Energieversorgung, die Produktion von Heizungen und die Immobilienkonzerne in öffentliches Eigentum, damit die Umstellung auf eine CO2-neutrale Wärme- und Stromerzeugung im Interesse der Bevölkerung demokratisch geplant und koordiniert werden kann.
Auch Lebensmittel, Freizeitgestaltung – z.B. Essen und Getränke in der Gastronomie – und Fahrräder sind deutlich teurer geworden und in den meisten Städten steigen die Mieten seit vielen Jahren schneller als die Einkommen.
Um die Folgen der Inflation aufzufangen, müssen die Löhne mit den steigenden Preisen schritthalten. Aktuell würde das Lohnerhöhungen um 5% pro Jahr bedeuten. Die letzten Tarifabschlüsse, etwa im öffentlichen Dienst der Länder, liegen weit darunter, die Arbeitgeber*innen konnten Reallohnverluste durchsetzen. Gleichzeitig warnen bürgerliche Ökonom*innen und Medien vor einer „Lohn-Preis-Spirale“ und behaupten, steigende Löhne wären die Ursache der Inflation. Lohnerhöhungen würden die Unternehmen zwingen, die Preise ihrer Produkte zu erhöhen, die Gewerkschaften sollten daher in ihrem eigenen Interesse nur geringe Forderungen aufstellen. Nach dieser Logik wären Reallohnsteigerungen, die es in den letzten Jahrzehnten durchaus gab, unmöglich gewesen.
Gleitende Lohnskala
Diese Argumentation lässt außer acht, dass im Preis einer Ware nicht nur Lohnkosten und die Kosten für konstantes Kapital – Maschinen, Arbeitsräume, Werkzeuge und so weiter – stecken, sondern auch ein Anteil Profit für die Besitzer*innen des Unternehmens. Durch erfolgreiche Arbeitskämpfe kann der Anteil der Löhne auf Kosten des Profits vergrößert werden. Und genau das sollte das Ziel der Gewerkschaften sein. Sie müssen deutliche Lohnerhöhungen oberhalb der Inflationsrate und kurze Laufzeiten der Tarifverträge fordern und durchsetzen, um auf die weitere Entwicklung der Preise reagieren zu können.
Um in Tarifauseinandersetzungen nicht immer nur der Inflation hinterherzulaufen, könnten Gewerkschaften und LINKE die Einführung der gleitenden Lohnskala fordern. Das bedeutet, dass die Löhne jedes Jahr automatisch an die Inflation angepasst werden, sobald die Preissteigerungen ein gewisses Niveau überschreiten. Diese Idee ist nicht neu, in Belgien und Luxemburg wird sie schon seit vielen Jahren angewendet – warum nicht auch in Deutschland?