Am 8. März ist Internationaler Frauenkampftag. Auch im Jahr 2022 gibt es viele Gründe, auf die Straße zu gehen. Die Pandemie hat Frauen weltweit besonders hart getroffen.
Von Ianka Pigors, Hamburg
Häusliche Gewalt hat massiv zugenommen, in Deutschland 2021 laut polizeilicher Kriminalstatistik um 15%. Es waren überwiegend Mütter, die während der Kita- und Schulschließungen neben ihrer Erwerbsarbeit die Betreuung der Kinder übernehmen mussten. In Bereichen wie der Pflege, in denen überwiegend Frauen arbeiten, stieg die ohnehin große Arbeitsüberlastung während der Pandemie nochmals enorm an. Gerade zu Beginn der Pandemie, als es noch keinen Impfstoff gab und Masken Mangelware waren, kam dazu die erheblich gesteigerte Gefahr einer lebensgefährlichen Ansteckung. Nach Schätzungen der WHO sind zwischen Januar 2020 und Mai 2021 zwischen 80.000 und 180.000 Pflegekräfte an Corona gestorben.
Die wirtschaftliche Krise hat bereits im ersten Pandemiejahr weltweit 64 Millionen Frauen den Job gekostet. Frauen haben etwa 800 Milliarden US-Dollar an Einkommen verloren – und dabei sind die Verluste aus dem informellen Sektor, in dem die Mehrheit der Frauen in Afrika, Asien und Lateinamerika arbeitet, nicht einmal mitgerechnet.
Gleichzeitig gehen konservative Angriffe auf Frauenrechte weiter. Im Dezember hat der Oberste Gerichtshof der USA beispielsweise das faktische Abtreibungsverbot im Bundesstaat Texas bestätigt. Auch in China soll der Zugang zu Abtreibungen erschwert werden.
Warum auf die Straße gehen?
Im „neuen kalten Krieg“, in dem sich die USA und China als konkurrierende imperialistische Mächte feindlich gegenüberstehen, nehmen kriegerische Stellvertreterkonflikte, wie aktuell in der Ukraine, zu. Vor allem Frauen und Kinder sind in solchen Konflikten häufig die Leidtragenden. Im Kriegsgebiet sowie auf der Flucht laufen sie Gefahr, Opfer systematischer sexualisierter Gewalt zu werden, die in kriegerischen Auseinandersetzungen nicht selten als Waffe eingesetzt wird.
Die Auswirkungen der Klimakatastrophe werden von Jahr zu Jahr spürbarer. Die Ausweitung der Wüsten und das Ansteigen des Meeresspiegels bedrohen ganze Landstriche, vor allem im globalen Süden. Gerade Kleinbäuer*innen verlieren ihre Lebensgrundlage zuerst. Auch davon sind überproportional viele Frauen betroffen.
Vielerorts wird der 8. März nicht mehr nur als „Frauenkampftag“, sondern als „feministischer Kampftag“ verstanden. Das heißt, dass es um die Befreiung aller im Patriarchat unterdrückten Geschlechter geht, also nicht nur um Frauen sondern auch um Queers. Auch LGBTQIA+ Rechte waren seit Beginn der Pandemie zahlreichen Angriffen ausgesetzt:
Zum Beispiel wurden in Südkorea Queers zu Sündenböcken gemacht als Presseberichte einen Covid-19-Ausbruch mit LGBTQIA+ Clubs in Verbindung brachten. In Großbritannien ist der Einfluss der transfeindliche Strömung der TERFs besonders spürbar. Im Dezember 2020 verordnete der Oberste Gerichtshof, dass trans Personen unter 16 Jahren nicht länger mit sogenannten „Puberty Blockers“ (Medikamente, die das Einsetzen der Pubertät aufhalten/hinauszögern sollen) behandelt werden dürfen. Der polnische Präsident unterschrieb eine „Family Charter“, die für die Abschaffung gleichgeschlechtlicher Ehen und Adoptionen plädiert und die Behandlung von LGBTQIA+ Themen im Schulunterricht verbieten will.
Frauen im Widerstand
Die meisten dieser Entwicklungen treffen Frauen nicht deshalb besonders hart, weil sie Frauen sind. Sie treffen Arbeiter*innen, Kleinbäuer*innen und verarmte Gruppen insgesamt, weil der Kapitalismus seine Probleme grundsätzlich auf den Rücken der Arbeiter*innenklasse abwälzt. Aufgrund ihrer gesellschaftlichen Stellung sind Frauen im Ergebnis davon überproportional betroffen.
Frauen sind überall dort anzutreffen, wo die gesellschaftlichen Krisen besonders gnadenlos zuschlagen – aber auch überall dort, wo Widerstand geleistet wird. Das gilt nicht nur für feministische Proteste, sondern auch für Bewegungen gegen soziale Ungleichheit, Klimawandel und Diskriminierung: In den Protestbewegungen der letzten Jahren kämpften viele Frauen in der ersten Reihe.
Wem gehört der 8. März?
Als sozialistische Feminst*innen gehen wir am 8. März auf die Straße, um auf die besondere Benachteiligung von Frauen und Queers in dieser Gesellschaft hinzuweisen und ihre Rolle in sozialen und politischen Kämpfen zu feiern. Viele 8. März-Demonstrationen und -Veranstaltungen werden diesem Anspruch nicht gerecht. Die Bündnisse, die die Frauentagsdemos in den letzten Jahrzehnten organisiert haben, werden häufig von bürgerlichen Feminist*innen dominiert, die das Patriarchat als die Quelle aller gesellschaftlichen Probleme und deshalb alle Männer als Unterdrücker und folglich politische Gegner begreifen. Wer das – wie auch immer definierte – Geschlecht als kleinsten gemeinsamen Nenner für den politischen Kampf zugrunde legt, muss sich zwangsläufig auf Themen konzentrieren, die alle Frauen, unabhängig von Klassenzugehörigkeit, rassistischer Zuschreibung usw. betreffen und andere Themen in den Hintergrund drängen.
Sozialistischer Feminismus oder „Geschlechterkampf“?
Wirtschaftliche Ausbeutung und Armut sind lebensbedrohliche Probleme für die große Mehrheit aller Frauen – aber eben nicht für alle. Die Frauen der herrschenden Klasse sind davon nicht betroffen. Wer im Namen der „Frauensolidarität“ zur Klassenfrage schweigt, oder sogar das Aufsteigen von Frauen in die Kapitalistenklasse als feministischen Fortschritt ausgibt, spricht im Ergebnis nur für die kleine privilegierte Minderheit, denen „nur“ Sexismus auf den Nägeln brennt.
Um Missverständnissen vorzubeugen: Die Auswüchse des Patriarchats, zum Beispiel sexualisierte Gewalt, sind grauenhaft und können im konkreten Fall viel schwerer zu ertragen sein als Armut und Ausbeutung. Egal, ob die Gewalt in einer Villa oder einer Blechhütte ausgeübt wird.
Das Problem ist nicht, dass sich bürgerliche Feminist*innen nur um unwichtige Probleme kümmern. Problematisch ist, dass die Strategie des „klassenlosen Geschlechterkampfes“ den Frauen der Arbeiter*innenklasse ihre wichtigsten Verbündeten im Kampf gegen kapitalistische Ausbeutung nimmt, nämlich die Männer der Arbeiter*innenklasse. Aus Sicht bürgerlicher Feminist*innen sollen sie sich lieber mit den Frauen der herrschenden Klasse verbünden. Denn dabei können die Frauen der herrschenden Klasse viel gewinnen, die Arbeiterinnen allerdings opfern in letzter Konsequenz mehr, als sie erringen können.
Sozialistische Feminist*innen wissen, dass Sexismus in der Arbeiter*innenklasse genauso verbreitet ist wie in der herrschenden Klasse. Uns ist jedoch klar, dass die Männer der Arbeiter*innenklasse durch das Patriarchat nur einen einzigen Vorteil haben: der Kapitalismus beutet sie etwas weniger aus als ihre weiblichen Kolleg*innen.
Gemeinsam gegen Ausbeutung
In einer sozialistischen Gesellschaft ohne dieses Ausbeutung gäbe es keine materielle Grundlage mehr dafür, das „Privileg der verhältnismäßig geringeren Ausbeutung“ zu verteidigen. Arbeiter, die verstehen, dass sie ihre eigene Ausbeutung nur beenden können, indem sie den Kapitalismus bekämpfen, können auch verstehen, dass dieser Kampf nur erfolgreich sein wird, wenn ihn Arbeiterinnen und Arbeiter gemeinsam führen. Und dass Sexismus diesem gemeinsamen Kampf im Wege steht und deshalb in der Arbeiter*innenbewegung ausgemerzt werden muss. Jeder Arbeiter kann diese politische Schlussfolgerung ziehen und danach handeln, ohne aufzuhören, ein Teil der Arbeiter*innenklasse zu sein.
Für Frauen der herrschenden Klasse hingegen ist die Ausbeutung der Arbeiter*innenklasse, von Frauen und Männern, die materielle Existenzgrundlage. Sie können sie nicht aufgeben, ohne ihre Klassenprivilegien zu verlieren, ohne aufzuhören, Kapitalistinnen zu sein.
Deshalb kann der Sexismus in der Arbeiter*innenklasse ideologisch überwunden werden, während die kapitalistische Ausbeutung der Arbeiter*innen durch die herrschende Klasse – auch durch ihre weiblichen Vertreter*innen – nur abgeschafft werden kann, indem die materiellen Besitzverhältnisse geändert, also indem das Privateigentum abgeschafft wird.
An diesem Punkt endet deshalb auch gewöhnlich die „Frauensolidarität“ der bürgerlichen Frauenbewegung. Sobald die Forderungen von Arbeiterinnen nicht nur die Privilegien einzelner Männer der herrschenden Klasse in Frage stellen, sondern die Klassenherrschaft an sich, zeigt sich schnell, dass der „Geschlechterkampf“ eben nicht alle anderen gesellschaftlichen Widersprüche überwinden kann.
Daher halten wir 8. März-Veranstaltungen, von denen cis Männer ausgeschlossen sind, für falsch. Für sozialistische Feminist*innen ist klar: Der Kampf gegen den Sexismus in der Arbeiter*innenklasse bringt uns weiter als ein Bündnis mit dem weiblichen Teil der herrschenden Klasse.