Sri Lanka: „Diebe, geht nach Hause“

Seit Wochen wird Sri Lanka von Massenprotesten und Streiks erschüttert. Das Land befindet sich in einer anhaltenden wirtschaftlichen Krise, Benzin und Lebensmittel werden knapp. Die Wut der Menschen richtet sich vor allem gegen die Rajapaksas, eine Familiendynastie, die viele hochrangige Politiker*innen stellt. Aber Vielen ist auch klar, dass das gesamte politische Establishment keine Lösungen für die Krisen des Landes bietet. Wie ein junger Demonstrant sagte: „Gota sollte gehen, aber er ist das Symbol eines Systems, also sollten nicht nur die Rajapaksas nach Hause gehen – sondern alle Diebe“.

von Verena Saalmann, Müllheim

Am 6. Mai riefen über 2000 Gewerkschaften zu einem gemeinsamen Streik auf, einem Hartal. Der gesamte Zugverkehr wurde eingestellt, 18.000 Busse blieben stehen oder transportierten nur Demonstrant*innen. Schulen, Banken und Regierungsbüros blieben geschlossen, Krankenhäuser wurden nur noch für Notfälle betrieben, Baustellen kamen in allen größeren Städten zum Stillstand, Industriearbeiter*innen verließen in großer Zahl ihre Fabriken, und auch Bauern und Bäuer*innen, Plantagenarbeiter*innen, Hafenarbeiter*innen, Fischer*innen und viele andere schlossen sich der Streikbewegung massenhaft an.

Wichtige Geschäftsviertel wie das Fort (wichtigstes Handelszentrum des Landes in Colombo) wurden vollständig geschlossen, ganze Straßenzüge mit Geschäften und Kleinbetrieben waren dicht. Und das auf der ganzen Insel, von der mehrheitlich von Tamilen bewohnten Stadt Jaffna im Norden bis hinunter in die südliche Stadt Rathanapura, wo Präsident Gotabaya Rajapaksa bei den Präsidentschaftswahlen 2019 über 60 % der Stimmen erhalten hatte. Zehntausende Menschen, die wütend über die Auswirkungen der verheerenden Wirtschaftskrise sind, gingen in vielen Städten und Gemeinden auf die Straße und forderten den Rücktritt der Rajapaksa-Regierung.

Seit April haben sich eine Reihe Protestcamps gegründet, mit eindeutigen Namen wie „GotaGoGama“-Camp („Gota geh nach Hause“) oder „HoruGoGama“-Camp („Diebe, geht nach Hause“) . Nachdem Polizei und Regierungsanhänger*innen einige dieser Camps angegriffen hatten solidarisierte sich die Bevölkerung auf breiter Front mit den Protesten. Anwohner*innen brachten Essen und Wasser, Protestierende sammelten sich auf den Straßen.  Nachdem tausende Demonstrant*innen seinen Amtssitz gestürmt hatten, musste Premierminister Mahinda Rajapaksa zurücktreten und die Hauptstadt überstürzt verlassen .

Der neue Premier…

Präsident Gotabhaya Rajapaksa hat Ranil Wickremesinghe zum neuen Premierminister ernannt. Er ist der Vorsitzende der rechtsgerichteten Partei UNP und seit den letzten Parlamentswahlen im August 2020 ihr einziger verbliebene Abgeordneter. Er war bereits fünfmal Premierminister und wird in bürgerlichen und westlich-imperialistischen Kreisen für seine Regierungsfähigkeiten gelobt, seine Unterstützung unter der Bevölkerung Sri Lankas ist jedoch dünn. Darüber hinaus hat er enge Beziehungen zum Rajapaksa-Clan und zu den Teilen der srilankischen Armee, die massenhafter Gräueltaten an der tamilischen Bevölkerung beschuldigt werden. Er hat in der Vergangenheit Staatsbeamte davor bewahrt, vor den Internationalen Strafgerichtshof gestellt zu werden, und behauptete einmal sogar,Mahinda Rajapaksa selbst vor dem elektrischen Stuhl gerettet zu haben.

Seine Partei hat jahrzehntelang eine entscheidende Rolle bei der Durchsetzung der neoliberalen Politik in Sri Lanka gespielt, die den Grundstein für das derzeitige wirtschaftliche Desaster gelegt hat.

…ist nicht besser

Ausländische Gläubiger, internationale Diplomat*innen und die srilankische Geschäftswelt haben vorsichtige Hoffnungen geäußert, dass nach den dramatischen Vorfällen der letzten Wochen, dem massiven Einsatz des Militärs und der Ernennung des „neuen“ Premierministers jetzt wieder langsam politische Stabilität einkehren könnte.

Doch der Hass auf die Rajapaksas sitzt im ganzen Land so tief, dass sich die Massen, die unter den katastrophalen wirtschaftlichen Bedingungen leiden, nicht mit oberflächlichen Maßnahmen zufrieden geben werden. Ob Wrickremesinghe überhaupt in der Lage sein wird, eine mehrheitsfähige Regierung im Parlament zu bilden, ist angesichts seiner Schwäche unklar; und falls doch, ist es unwahrscheinlich, dass sie lange bestehen wird. 

Nach dem der  Versuch des Rajapaksa-Regimes, die landesweiten Proteste niederzuschlagen, krachend gescheitert  ist, wird das erneuerte Establishment nun versuchen, sie mit einer Mischung aus Zuckerbrot und Peitsche in den Griff zu bekommen. Wrickremesinghe hat die Verhaftung der Täter*innen des Angriffs auf das GotaGoGama-Camp gefordert, aber bisher sind Dutzende Jugendlichen, die sich gegen die Angriff verteidigt haben, die einzigen, die verhaftet wurden.

Die heldenhafte Bewegung der Arbeiter*innen, der Armen und der Jugendlichen Sri Lankas sollte weder Ranil Wickremesinghe noch einer von oben zusammengeschusterten Regierung vertrauen. Sie müssen sich auf ihre eigene Kraft verlassen,die einzige Sprache, die die herrschende Klasse verstehen muss. Die Gewerkschaften haben leider ihre Drohung nach einem unbefristeten Hartal nicht wahr gemacht. Es besteht aber kein Zweifel: Mit so einem Schritt könnten neben Präsident Gotabaya Rajapaksa auch die restlichen Diebe davon gejagt werden.