Mutmaßlicher Polizeimord an 16-Jährigem

Dortmund: Proteste und Forderung nach Aufklärung

Die Tötung eines 16-jährigen unbegleiteten Geflüchteten aus dem Senegal durch elf Polizist*innen in Dortmund zog massiven Protest nach sich. Schwarze Communitys und Aktivist*innen fordern eine lückenlose Aufklärung des Vorfalls.

Von Benjamin Trilling, Dortmund

Mouhamed Lamine Dramé wurde am 8. August in Dortmund durch fünf Schüsse aus einer Maschinenpistole getötet. Elf oder zwölf Polizist*innen waren am Einsatz beteiligt, über die genaue Anzahl hüllte sich die Polizei in Schweigen. Was feststeht: Die Einsatzkräfte gingen zunächst mit Reizgas gegen den 16-Jährigen vor, der ein Messer in der Hand hielt. Anschließend schossen sie zwei Mal mit einer Elektroschockpistole auf Mouhamed. Ein Treffer saß. Dann schoss einer der Polizisten mit der Maschinenpistole. Fünf Kugeln trafen den Jugendlichen in Schulter und Unterarm, Kiefer und Bauch. Trotz einer Notoperation starb Mouhamed noch in derselben Nacht.

Vom verzweifelten Versuch, sein Leben zu retten, berichtete eine Ärztin zwei Tage darauf während einer Kundgebung vor der Dortmunder Nordwache – eine von vielen Protestaktionen, die in der Woche nach der Mordnacht folgten. Seit der Erschießung Mouhameds zieht sich eine Welle der Wut durch die Stadt. Afrikanische sowie muslimische Communitys und linke Initiativen fordern eine lückenlose Aufklärung des Falls, ein Ende der rassistischen und diskriminierenden Polizeigewalt und eine Umstrukturierung der Exekutive.

„Mörder“-Rufe vor der Polizeiwache

Am 12. August versammelten sich 400 Menschen zu einer Protestkundgebung vor dem Dortmunder Rathaus. Immer wieder skandierte die Menge in Richtung der Polizei „Mörder!“. Diese hielt sich an den ersten Protesttagen zwar zurück, anders sah es jedoch am Montag darauf aus: Gegen eine Mahnwache zum öffentlichen Gedenken an Mouhamed mit knapp 90 Teilnehmer*innen rückte eine Polizeihundertschaft aus. Es wurde sogar Strafanzeige gestellt, da die Versammlung nicht zuvor bei der Polizei angemeldet worden war.

Dabei steht die Polizei weiterhin unter Druck – und zwar bis in bürgerliche Kreise. Das liegt auch daran, dass Mouhamed nicht das erste Opfer polizeilichen Schusswaffeneinsatzes ist. In Köln erschoss die Polizei wenige Tage zuvor einen Mieter während einer Zwangsräumung. Im Frankfurter Bahnhofsviertel starb Anfang August ein Mann durch einen Kopfschuss – ebenfalls abgefeuert von einem Polizisten.

Alleine auf die Dortmunder Nordwache gehen in den letzten Monaten zahlreiche Fälle von Polizeigewalt gegen Frauen, Migrant*innen, Obdachlose sowie Drogenkranke zurück. Rund 55% der Menschen in der Dortmunder Nordstadt besitzen keinen deutschen Pass. Die Dortmunder Polizei hat keinen guten Ruf. Allein 14 Polizist*innen wurden dort suspendiert, weil sie sich an rassistischen Chat-Gruppen beteiligt hatten.

Für die zahlreichen Protestierenden ist klar, dass Mouhameds Tod alles andere als ein tragischer Einzelfall ist. Gerade in von Armut geprägten Stadtteilen können alle von Polizeigewalt betroffen sein – wenngleich insbesondere People of Colour, Menschen mit Flucht- und Migrationshintergrund und psychisch Kranke am heftigsten und häufigsten Opfer sind. Das zeigt ein Blick auf Mouhameds Werdegang vor seinem nur siebentägigen Aufenthalt in Dortmund: Am 30. April erreichte er Deutschland, zunächst Rheinland-Pfalz, bevor der Waisenjunge schließlich am 1. August in Dortmund ankam, traumatisiert und suizidgefährdet. Nachdem seine Eltern im Senegal starben, floh Mouhamed mit seinem jüngeren Bruder über das Mittelmeer nach Europa. Während dieser Flucht ertrank sein Bruder.

Auch das kein Einzelfall: Statistiken der Internationalen Organisation für Migration zufolge starben im Jahr 2021 insgesamt 2048 Menschen im Mittelmeer, auch 2022 waren es bis zum 14. Juli bereits 971. Als traumatisierter Hinterbliebener suchte der 16-Jährige am Samstag vor seinem Tod in einer Dortmunder Klinik psychiatrische Hilfe. Am Sonntag wurde er wieder entlassen. Seine Ermordung wirf viele Fragen auf: Angefangen bei der brutalen Migrationspolitik, der mangelnden gesundheitlichen Daseinsvorsorge bis hin zu einem hochaufgerüsteten und offenbar rassistischen Polizeiapparat, der Aufklärungsversuche blockt.

Neutrale Polizei?

Die Aufklärung der Tat übernimmt die Polizei Recklinghausen – aus „Neutralitätsgründen“, wie es heißt. Doch am Tag vor Mouhameds Tod verstarb ein 39-Jähriger während eines Polizeieinsatzes in Recklinghausen. Warum? Das ermittelt derzeit die Polizei Dortmund. Die Erfahrung zeigt: Wenn Polizist*innen gegen Polizist*innen ermitteln, kommt in den meisten Fällen nichts dabei heraus. Nötig ist eine unabhängige, demokratische Untersuchung des Todes von Mouhamed und anderer Opfer von Polizeigewalt – zum Beispiel durch Community-Organisationen, antirassistische Initiativen, Gewerkschaften, Mieter*innen-Initiativen.

Bild: Dirk Vorderstraße (CC BY 2.0)