„Marsch für das Leben“ ist ein Marsch für Unterdrückung

Helft uns, eine starke sozialistisch-feministische Antwort auf die Abtreibungsgegner*innen aufzubauen

Am 17.9. veranstalten Abtreibungsgegner*innen in Berlin ihren furchtbar falsch benannten jährlichen „Marsch für das Leben“. Sie werden die Erfolge feiern, die sie auf internationaler Ebene erreicht haben: die Aufhebung des Urteils Roe vs. Wade in den USA, dem selbsternannten „Land der Freiheit“, und andere große Rückschritte grundlegender Rechte für Frauen und trans Menschen, über ihren eigenen Körper zu entscheiden, in China, Kroatien und Polen. Diese schrecklichen Rückschläge unterbrachen die Kette der Siege und Verbesserungen, die wir in den letzten Jahren errungen haben. Wir müssen zeigen, dass es hier in Berlin keinen Sieg für sie geben wird und dass wir uns international zusammenschließen werden, um die Abtreibungsrechte überall auf der Welt (zurück) zu gewinnen!

Deshalb rufen ROSA und SAV zur Teilnahme an der Gegendemonstration auf. Wir werden einen internationalen Block bilden, der eine echte Pro-Choice-Politik und volle reproduktive Rechte fordert – Abtreibungsrechte für Frauen und trans Menschen, die schwanger werden können, ein Ende der Zwangssterilisation in den USA und China und überall dort, wo sie angewandt wird, freien Zugang zu medizinischen Transitionsmaßnahmen und ein Sozialprogramm, das es ermöglicht, eine echte Wahl zu treffen.

Was ist der „Marsch für das Leben“?

Der vom Bundesverband Lebensrecht organisierte „Marsch“ in Berlin ist die größte Demonstration der zahlreichen Anti-Abtreibungs-Mobilisierungen in ganz Europa. Letztes Jahr nahmen 4000 Menschen daran teil. Anstatt sie als hoffnungslose Relikte der Vergangenheit abzutun, muss uns die Tatsache, dass ein rechtspopulistischer Präsident wie Trump nur ein Mandat brauchte, um die Voraussetzungen für diesen Rückschlag in den USA zu schaffen, eindringlich daran erinnern, dass die Rechte, die wir uns erkämpft haben, immer verteidigt werden müssen. Da rechte Politiker*innen den Populismus brauchen, um ihre Basis aufzupeitschen, und die so genannten progressiven Parteien nicht bereit sind zu kämpfen, können wir nur auf uns selbst zählen, auf die Mobilisierung von Jugendlichen, Frauen und Queers aus der Arbeiter*innenklasse und den armen Schichten der Gesellschaft.

Diese christlichen Fundamentalisten sind gut finanziert – große Unternehmen wie Amazon, Coca-Cola und Google haben allein in den USA zwischen 2000 und 2019 über 55 Milliarden Dollar an Anti-Abtreibungs-Organisationen gespendet – und sie haben international starke Netzwerke aufgebaut, was eine internationale Antwort umso notwendiger macht. Deshalb organisieren sich ROSA und SAV international, in ROSA International Socialist Feminists und International Socialist Alternative. Wir wollen ihre Lügen über den „Schutz der Kinder“ entlarven. Wir haben noch nie erlebt, dass sie sich für die Rechte und Bedürfnisse von Kindern ab dem Zeitpunkt ihrer Geburt einsetzen, noch für das Recht von Schwangeren, nicht an unsicheren Abtreibungen oder Schwangerschaften zu sterben; sie kümmern sich nicht darum, dass sowohl Elternteil als auch Kind in Armut leben oder in Hungersnöten sterben.

Unter dem Vorwand des „Kinderschutzes“ setzen sie das ungeborene Leben eines ungeborenen Kindes mit dem einer lebenden schwangeren Person gleich und rechtfertigen die vollständige staatliche Kontrolle über die Körper aller Schwangeren. Es geht nicht um die Rechte der Kinder, sondern um die Kontrolle des schwangeren Körpers und die Auferlegung strenger Geschlechterrollen. Es ist kein Zufall, dass es sich bei diesen Gruppen um dieselben Leute handelt, die gegen die gleichgeschlechtliche Ehe, eine zugängliche Gesundheitsversorgung für trans Personen und eine gute, nicht-heteronormative Sexualerziehung in den Schulen, die sich auf das Einverständnis konzentriert, demonstrieren.

Wir wollen zeigen, dass die Zahlen auf unserer Seite sind. Hier und anderswo werden Abtreibungsrechte von einer Mehrheit der Gesellschaft unterstützt. Diese Unterstützung muss mobilisiert und organisiert werden, um das neu gewonnene Selbstbewusstsein prominenter AFD-Leute im Keim zu ersticken, die alles tun würden, um das Abtreibungsrecht in Deutschland zu beseitigen, genau wie Vox im spanischen Staat, um nur ein weiteres Beispiel zu nennen.

Die kämpfenden Frauen am Vorabend einer wirtschaftlichen Rezession zum Schweigen bringen…

Diese Angriffe auf die Abtreibungsrechte kommen, nachdem  Arbeiter*innen im Kampf gegen die Pandemie alles gegeben haben, nur um mit weiteren Rückschritten bei den hart erkämpften Rechten und Bedingungen belohnt zu werden. Arbeiterinnen und arme Frauen standen bei allen Massenkämpfen der letzten Zeit an vorderster Front: im Gesundheits- und Bildungswesen für menschenwürdige Arbeitsbedingungen und für qualitativ hochwertige, für alle zugängliche Dienstleistungen, mit Streiks in der ganzen Welt, mit der Forderung nach massiven öffentlichen Investitionen, im Kampf für einen existenzsichernden Lohn für alle und gegen Preissteigerungen bei Energie und Lebensmitteln, im Kampf gegen alte Diktatoren und neue Militärputsche…

Aber die Pandemie ging einher mit einer Schattenpandemie geschlechtsspezifischer Gewalt, sowohl von Einzelpersonen als auch von Staaten, mit einer deutlichen Zunahme staatlicher Gewalt bei der Jagd auf jegliche Opposition durch autoritäre Staaten wie Brasilien, der Türkei, Russland, China… Der Angriff auf die Abtreibungsrechte ist ein Teil davon: Jeder weiß, dass ein Abtreibungsverbot nur dazu führ, dass mehr Menschen an gewollten und ungewollten Schwangerschaften sterben. Dabei handelt es sich überwiegend um Frauen und trans Personen aus der Arbeiter*innenklasse und um arme Frauen und trans Personen, die sich keine individuelle Lösung leisten können, wie es reiche Betroffene können.

Die Gegenreaktion gegen die neue Welle des Feminismus, bei der die herrschenden Eliten die christlichen Fundamentalisten als nützliche Idioten benutzen, geht Hand in Hand mit dem Versuch aller Regierungen der Welt, die Rechnung für die vielfältigen Krisen des kapitalistischen Systems auf den Rücken der Arbeiter*innenklasse und der Armen der Welt abzuwälzen und zu versuchen, sie durch Sexismus, Rassismus, religiöses Sektierertum usw. zu spalten, um ihren Widerstand zu schwächen. Dieses Abwälzen besteht sowohl in immer weiter steigendem, kaum noch zu bewältigenden Arbeitsdruck für diejenigen, die arbeiten, als auch darin, dass zumindest Schichten von Frauen “zurück an den Herd” geschickt werden, da die Arbeitslosigkeit mit der sich entfaltenden Wirtschaftskrise zunehmen wird und mit da Kürzungen in den öffentlichen Haushalten einhergehen kannvorgenommen werden können, indem , wodurch wegfallende Pflege- und Dienstleistungen zurück in den Privathaushaltdie Häuser verdrängt geschoben werden würden, auf dem Rücken der meisten Frauen.

Es kann zwar dauern, bis sich Widerstand entwickelt, aber das Potenzial für einen entschlossenen Kampf ist eindeutig vorhanden. Werden die Kolleg*innen an der Charité einen solchen Angriff akzeptieren? Werden die Millionen von Frauen, die in den letzten 5 bis 10 Jahren in einem Land nach dem anderen gegen geschlechtsspezifische Gewalt, für Abtreibungsrechte, für einen existenzsichernden Lohn und für ein Ende von Sexismus und Frauenfeindlichkeit auf die Straße gegangen sind und gestreikt haben, dies akzeptieren? Nicht, wenn eine Strategie für den Kampf angeboten wird, nicht, wenn Instrumente für diesen Kampf genutzt werden können.

Wie können wir sie aufhalten?

Die Abschaffung des §219a durch die neue rot-rot-grüne Regierung ist ein viel zu kleiner Schritt. Wir fordern seit Jahrzehnten, dass sowohl §218 als auch §219 ganz abgeschafft werden! Außerdem müssen wir verstehen, dass echte Wahlfreiheit nicht allein durch Legalisierung gewährleistet werden kann. In vielen Regionen Deutschlands, und in den meisten Ländern der Welt, gibt es trotz mehr oder weniger gesetzlicher Regelungen ein großes Problem mit dem Zugang, z.B. weil die Gesundheitssysteme so stark beschnitten wurden. Und Abtreibungen sind oft viel zu teuer, auch in Deutschland. Der Kampf für eine qualitativ hochwertige Gesundheitsversorgung, einschließlich der reproduktiven Gesundheitsversorgung, die für alle zugänglich und kostenlos ist, ist eine erste Notwendigkeit, um sicherzustellen, dass die Rechte Wirklichkeit werden.

Um diese Angriffe zu stoppen und für ein Pro-Choice-Sozialprogramm zu kämpfen, müssen wir breite Schichten von Arbeiter*innen, Jugendlichen usw. zur Unterstützung der Abtreibungsrechte mobilisieren, angefangen bei den Beschäftigten im Gesundheitswesen, die mit den schreienden Bedürfnissen ungewollt schwangerer Menschen vertraut sind. Die Arbeitsniederlegung von Ärzten und Krankenschwestern in Boston gegen die Aufhebung des Urteils Roe vs. Wade sollte als Beispiel dienen. Eine massive Kampagne des zivilen Ungehorsams dieser Arbeiter*innen, die einen sicheren Zugang zur Abtreibung gewährleistet, sollte Hand in Hand mit einem politischen Kampf durch Massendemonstrationen und Streiks gehen.

Echte Wahlfreiheit bedeutet auch, die Wahl zu haben, Kinder unter Bedingungen zu bekommen, die es erlauben, sie unter menschenwürdigen Bedingungen großzuziehen: Angesichts der Inflation und der explodierenden Armut, vor allem für Frauen und Queers, die in Niedriglohn- und prekären Arbeitsverhältnissen überrepräsentiert sind, ist dies für die Mehrheit der Frauen und Queers nicht die Realität. In einer Situation, in der jedes Missgeschick dazu führen kann, dass man nicht mehr in der Lage ist, die Rechnungen zu bezahlen, ist ein Kind oder ein zusätzliches Kind alles andere als ein Segen. Angemessene Löhne, einschließlich eines Mindestlohns, der deutlich über der Armutsgrenze liegt, erschwingliche Wohnungen, kostenlose Kinderbetreuung und Bildung auf allen Ebenen, Sozialleistungen, die die Kosten für Kinder abdecken, … sind notwendig, um eine echte Wahlmöglichkeit zu gewährleisten.

Dieser Kampf betrifft nicht nur Frauen und Menschen, die schwanger werden können: Wenn diese Gruppen ihren Willen durchsetzen, steht der soziale Rückschritt für alle Arbeiter*innen und Armen auf der Tagesordnung, wobei Immigranten, LGBTQI-Personen, nationale Minderheiten,… einem hohen Risiko ausgesetzt sind, als Sündenböcke und Mittel zur Ablenkung von dem globalen Angriff auf die sozialen Rechte aller Arbeiter*innen benutzt zu werden. Wir fordern daher die Gewerkschaften auf, den Kampf dafür aufzunehmen, dass Abtreibung auf Verlangen, abgedeckt durch eine universelle, für alle zugängliche Krankenversicherung, ein legales und reales Recht wird, was auch bedeutet, für massive Investitionen in die öffentliche Gesundheitsversorgung zu kämpfen (hier bedeutet private Dienstleistung noch mehr als in anderen Sektoren, mehr für weniger zu bezahlen), um die Bedingungen der Beschäftigten und die Qualität der Patientenversorgung zu verbessern, aber auch um die Gesundheitsversorgung zu erweitern, um den Bedürfnissen aller gerecht zu werden, indem mehr in die psychische Gesundheit, in menschenwürdige Bestimmungen für den Zugang zur Abtreibung, in die Unterstützung von Opfern geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt usw. investiert wird. 

Die Gewerkschaften sollten den Kampf für die Rechte der Frauen sowie den Kampf für die Rechte von LGBTQI und eingewanderten Arbeiter*innen aufnehmen, um eine einheitliche Offensive gegen die Versuche der Regierungen und Bosse vorzubereiten, die Arbeiter*innen für die Krise zahlen zu lassen. Indem sie die Diskussion darüber in ihren Reihen organisieren und so das Bewusstsein für diese Themen schärfen, Aktionen und Streiks an symbolträchtigen Tagen wie dem Internationalen Frauentag (8. März) oder dem Internationalen Tag gegen geschlechtsspezifische Gewalt (25. November) organisieren, und Solidaritätsaktionen mit den Frauen und trans Menschen in China, in Polen und allgemein etwa 40% der Frauen und trans Personen weltweit, die in einem Land leben, in dem Abtreibung verboten oder kaum zugänglich ist, organisieren.

Jugendliche und Arbeiter*innen, LGBTQI-Menschen, Immigrant*innen und People of Color – das sind die Menschen, mit denen wir gemeinsam kämpfen können und wollen, nicht die liberalen „Girl-Boss“-Feminist*innen, die „Feminismus“ darauf reduzieren, für sich selbst den gleichen Zugang zu hoch bezahlten Funktionen als Unternehmenschefin, politische Funktionärin und Lohngleichheit mit ihren männlichen Kollegen zu wollen. Denn was mit den Arbeiter*innen – gleich welchen Geschlechts – geschieht, ist nicht ihre Sorge.

Mit ihrer Unterstützung für das System, das Sexismus und alle Formen der Ausbeutung und Unterdrückung hervorbringt, sind sie kurzsichtig: Frühere Wellen des Massenkampfes der Frauen haben gezeigt, dass eine vollständige Emanzipation in diesem System nicht möglich ist. Die volle Emanzipation vom Patriarchat erfordert den Ausstieg aus einem System, das den Profit der winzigen Milliardärsklasse als oberste Priorität bejubelt, erfordert ein System, in dem die Bedürfnisse der gesamten Mehrheit der Arbeiter*innen und Armen der entscheidende Faktor in Wirtschaft und Politik sind. Darum geht es dem sozialistischen Feminismus – unserem Feminismus.

Schließt euch uns bei der Demonstration an!

Gemeinsam mit ROSA und der ISA mobilisieren wir bundesweit und laden auch Abtreibungsgegner*innen aus anderen Ländern ein, um einen internationalen sozialistisch-feministischen Block auf der Gegendemonstration zu bilden. Wir fordern einen legalen, kostenfreien Schwangerschaftsabbruch, der allen zugänglich ist. Kommt zu uns in den Block, und noch besser: helft uns, sie aufzubauen, indem ihr Freund*innen, Familie, Kolleg*innen… mobilisiert.

Am Tag der Demo organisieren wir um 19h bei Oyun (Lucy-Lameck Straße 32, U-Hermannplatz) eine Veranstaltung mit zahlreichen internationalen Redner*innen von ROSA und International Socialist Alternative. Kommt vorbei! Für Nicht-Berliner*innen wird ein Zoom-Zugang gewährleistet sein.

Wofür wir kämpfen

  • Sofortiger Stopp aller reaktionärer „Pro-Life“-Märsche. Mobilisierung zu Gegendemonstrationen von Gewerkschaften und der LINKEN
  • Aufbau einer internationalen Bewegung für die körperliche Selbstbestimmung von Frauen und trans Personen 
  • Abschaffung von Paragraph 218 – kostenloser und flächendeckender Zugang zu Abtreibungen, ohne Bedingungen
  • Vollumfängliche, queerinklusive Sexualaufklärung an Schulen und Bildungseinrichtungen 
  • Kostenloser Zugang zu Verhütungsmitteln
  • Gesundheit statt Profit: Überführung der Gesundheitskonzerne in öffentliches Eigentum unter der Kontrolle und Verwaltung der Beschäftigten, verbunden mit Lohnerhöhungen, Entlastung und mehr Personal für die Pflege
  • Einführung einer Millionärssteuer zur Finanzierung
  • Keine*r soll von fehlenden Ressourcen zu Abtreibung gezwungen werden! Drastische Lohnerhöhungen vor allem in frauen- und queerdominierten Branchen, leistbarer Wohnraum, Ausbau und Ausfinanzierung von Kitas, Schulen, Jugendzentren, öffentliche Restaurants, Pflegeeinrichtungen und Frauenhäusern
  • Echte Wahlfreiheit gibt es nur ohne ökonomische Zwänge. Vollständige Abwesenheit von wirtschaftlichen Zwängen bietet nur eine sozialistische Gesellschaft: Für einen revolutionären sozialistischen Feminismus.

Flyer zum selbst Ausdrucken: