Die gegen Russland verhängten Sanktionen haben wir bereits abgelehnt, als die Folgeschäden für die deutsche Ökonomie noch nicht im Detail absehbar waren. Die Sanktionen treffen die Masse der Menschen in Russland. Sie führen mittelfristig zum wirtschaftlichen Absturz, Betriebsschließungen, Verfall des Lebensstandards und Armut. Sie treffen auch den einen oder anderen Konzern, aber in erster Linie die Lohnabhängigen.
Von Claus Ludwig, Köln
Wirtschaftliche Blockaden begünstigen Kriegsprofiteure, Schwarzmarkthändler*innen und korrupte Regime-Günstlinge. Die Sanktionen gegen den Irak zwischen 1991 und 2003 haben zu zehntausenden Toten geführt, weil Kinder und Kranke keine Medikamente bekommen konnten. Das Regime von Saddam Hussein haben sie nicht geschwächt. Meistens stabilisieren Sanktionen den betroffenen Staat, weil die Krise als von außen aufgezwungen dargestellt werden kann. Sie schwächen die politische Widerstandsfähigkeit der Arbeiter*innenklasse, allein schon deswegen, weil der Kampf ums Überleben Kraft kostet.
Bei den nach dem 24. Februar verhängten Maßnahmen gegen Russland handelt es sich nicht um „normale“ Sanktionen, wie sie gegen den Iran, Irak oder Syrien verhängt wurden. Der Westen führt einen Wirtschaftskrieg gegen Russland, mit dem Ziel, das Land grundlegend zu schwächen und aus den internationalen wirtschaftlichen und finanziellen Beziehungen herauszudrängen. Es ist der bisher radikalste Schritt zur ökonomischen „Entkopplung“ der miteinander konkurrierenden imperialistischen Blöcke.
Die Führung in diesem Wirtschaftskrieg haben die USA übernommen. US-amerikanische Konzerne haben ein spezielles Interesse, Russland aus dem europäischen Energiemarkt zu verdrängen, um ihre eigenen Produkte – vor allem Fracking-Gas – verkaufen zu können. Die angestrebte Abkopplung von russischem Öl und Gas ist daher kein Schritt in Richtung des längst überfälligen Umstiegs auf erneuerbare Energien, sondern führt lediglich zum Austausch der Lieferant*innen.
Wie ein Bumerang
Während sich die wirtschaftliche Krise in Russland eher langsam zu entwickeln scheint, wirkt die Verknappung der russischen Gaslieferungen in Europa umso schneller und härter. Die Sanktionen sind zum Bumerang geworden und treffen die deutsche Industrie und die Verbraucher*innen mit voller Wucht.
Daraus leiten einige ab, die Sanktionen müssten beendet werden und damit wäre auch die Preiskrise beendet. Das greift zu kurz, denn die Inflation hatte schon zuvor begonnen und hat ihre Ursachen in den multiplen Krisen des Kapitalismus, von den ungelösten Problemen der Weltwirtschafts-, Finanz- und Eurokrise 2009 über den Klimawandel bis zur Pandemie. Und auch in der aktuellen Energiekrise nutzt nicht nur die russische Seite die Knappheit, um Extra-Profite zu erzielen. Die Förderkosten für US-amerikanisches, norwegisches oder katarisches Gas sind nicht gestiegen, aber die Preise für die Lieferungen „unserer Verbündeten“ sind explodiert. Beim Strom gibt es keinen Mangel, aber die Strompreise steigen immer weiter, weil in den liberalisierten Strommarkt ein „Profit-Turbo“ eingebaut wurde: durch das „merit order“-System bestimmt die jeweils teuerste Stromerzeugung die gesamten Preise.
Die Konzerne und die kapitalistische Konkurrenz sind der Kern des Problems, nicht allein die Kürzung der russischen Gaslieferungen. Natürlich wirken der russische Überfall und der westliche Wirtschaftskrieg als Zünder der Preisexplosion, doch deren Ursachen liegen tiefer auf mehreren Ebenen verschachtelt.
Power to the people
An der Oberfläche agieren die Energiekonzerne, die in der Tradition von Kriegsgewinnlern Extraprofite realisieren. Auf der Ebene darunter herrscht große Unruhe bei den Konzernen, weil sie sowohl den „Abverkauf“ und sogar die verstärkte Ausbeutung der Fossilen zu ihrem Nutzen organisieren, aber gleichzeitig den Markt der Erneuerbaren für sich erobern wollen. Das wird durch die eskalierende Konfrontation der Blöcke, v.a. USA vs. China angeheizt. Auf der unteren, stofflichen Ebene vollzieht sich die Klimakatastrophe und die realen Folgekosten des fossilen Wahns und seiner zerstörerische Folgen drücken sich mehr und mehr auch in den Preisen der Brennstoffe aus. Die absurde Idee, exponentielles Wachstum auf einem begrenzten Planeten als Grundlage für ein Weltwirtschaftssystem zu nehmen, bedroht unsere Lebensgrundlagen.
Nur wer dem Problem auf den Grund geht, kann Ansätze zur Lösung finden. Die Energiepreise explodieren wegen der privatwirtschaftlichen und profitbasierten Organisation des Sektors. Der entscheidende Schritt, die Energieversorgung für Verbraucher*innen und Betriebe zu sichern, wäre die Überführung des gesamten Sektors in öffentliches Eigentum und ein gesamtgesellschaftlicher Energieplan. So könnte bezahlbare Energie bereitgestellt und gleichzeitig die Umstellung auf Erneuerbare beschleunigt werden.
Es wäre notwendig, dass die Gewerkschaften und die Partei DIE LINKE sich klar für die Aufhebung der Sanktionen gegen die russische Bevölkerung positionieren. Es ist allerdings falsch, wenn zum Beispiel Sahra Wagenknecht und ihrer Unterstützer*innnen es so darstellen, als müssten nur die Sanktionen gegen Russland und die Waffenlieferungen an die Ukraine beendet werden, um den Preisanstieg zu stoppen. Um dies zu erreichen, sind entschiedene Maßnahmen gegen die Konzerne und die Reichen nötig.
Bündnisse gegen Preissteigerungen und die Kriegsfrage
In allen größeren Städten gründen sich derzeit Bündnisse, um Demonstrationen gegen den Anstieg der Preise zu organisieren. Bei den Diskussionen über Forderungen argumentieren einige immer wieder, die Bündnisse sollten von Beginn an Forderungen gegen die Sanktionen, gegen die Aufrüstung oder gegen Waffenlieferungen an die Ukraine formulieren.
Doch viele Aktive in den Bündnissen und vor allem Menschen, die erst noch für die Proteste mobilisiert werden müssen, sind nicht von diesem Zusammenhang überzeugt. Wenn sich die Bewegung entwickelt, werden solche Zusammenhänge klarer, doch zunächst geht es darum, die Proteste ins Laufen zu bringen und dabei alle Hindernisse aus dem Weg zu räumen, die einer breiten Mobilisierung im Weg stehen.
Wenn Jugendliche und Arbeiter*innen den Eindruck bekommen, eine festgelegte Haltung zum Ukraine-Krieg wäre eine Voraussetzung dafür, sich dem Kampf gegen die Preissteigerungen anzuschließen, wäre dies eine Hürde für den Aufbau einer Bewegung.
Zudem stellen es einige, zum Beispiel Anhänger*innen von Wagenknecht, so dar, als wäre es ohne ein Ende des Krieges überhaupt nicht möglich, die massenhafte Verarmung zu stoppen. Wer so argumentiert, bremst den sozialen Kampf.
Die Bündnisse werden sich entwickeln. Diskussionen über Sanktionen, Wirtschaftskrieg und den Zusammenhang zwischen imperialistischer Außenpolitik und Angriffen auf den Lebensstandard müssen geführt werden. Aber die zentrale und dringende Aufgabe der Linken und der organisierten Arbeiter*innenbewegung ist es, alle Lohnabhängigen zu vereinen, die gegen das unmittelbar drückende Problem der unbezahlbaren Energie- und Lebensmittelkosten aktiv werden wollen. Deswegen ist eine Abgrenzung nach rechts – in den linken Bündnissen ohnehin eine Selbstverständlichkeit – für den Abwehrkampf wichtig. Nationalistische, rassistische oder sexistische Ideen würden die Bewegung spalten und ihre Kampfkraft schwächen.
Es ist möglich und nötig, durch Massenproteste, Streiks und Organisierung Teuerungen abzuwehren und Preiskontrollen durchzusetzen, auch wenn der Krieg in der Ukraine noch nicht beendet ist. Ein Einlenken der konkurrierenden Imperialismen, das wir wenig beeinflussen können, faktisch als Voraussetzung zu definieren, käme der Aufgabe des Klassenkampfes gleich.