Wer generiert die empörteste Empörung über die Aktivitäten der Gruppe “Aufstand der letzten Generation” (LG)? Wagt diese “Klima-RAF” es doch tatsächlich, Staus auf Autobahnen zu verursachen! Dabei sind die Staus auf der A43 oder A1 in Nordrhein-Westfalen auch ohne Aktivist*innen ganz stabil, ebenso das tägliche Leiden bei der Bahn und im Nahverkehr. Der medial orchestrierte Aufschrei im Namen der geschundenen Pendler*innen wäre lächerlich, wenn die Sache nicht so ernst wäre.
Von Claus Ludwig & Christian Kubitza, Köln
Ernst ist nicht nur die Klimakatastrophe, sondern auch die staatliche Repression, welche den Aktiven für ihre Aktionen des zivilen Ungehorsams entgegenschlägt. Auf der Grundlage des bayerischen Polizeiaufgabengesetzes sitzen 13 Aktivist*innen für 30 Tage in “Präventivhaft”, im “Gewahrsam zur Gefahrenverhinderung”, weil nicht auszuschließen ist, dass sie weitere Aktionen durchführen. Die Vorbeugehaft ist nicht nur ein Angriff auf diese spezielle Gruppe, sondern auf alle Klima-Aktiven, Linken und Gewerkschafter*innen. “Gefahrenverhinderung” kann von der Polizei definiert werden, wenn es politisch passt. Bei den 13 in München handelt es sich um politische Gefangene, sie brauchen die Solidarität, unabhängig davon, ob man ihre Methoden für strategisch klug hält oder nicht.
Woher kommt die “Letzte Generation”?
Die Gruppe entstand 2021 aus Teilnehmenden des “Hungerstreiks der letzten Generation”. Inzwischen haben sich mehrere Menschen angeschlossen, die vorher bei Fridays for Future, Extinction Rebellion oder anderen Gruppen aktiv waren. Ihre Aktionen bezeichnen sie als “Aufstand der letzten Generation”, da sie der Generation angehören, die noch zu wirksameren Handlungen gegen den Klimakollaps in der Lage sei. Danach seien Kippelemente im Erdklimasystem unumkehrbar überschritten.
Als erste Aktionsreihe führten sie die Kampagne “Essen retten, Leben retten” durch. Vor allem zu Beginn wurden in verschiedenen Städten containerte Lebensmittel öffentlichkeitswirksam verschenkt. Als nächsten Schritt forderte die Gruppe ein Ende der staatlichen Finanzierung von Infrastruktur, welche der Bereitstellung fossiler Energieträger wie Kohle, Erdöl und Erdgas dient. Seit Herbst 2022 erhebt die Gruppe Forderungen nach einem Tempolimit von 100 km/h auf deutschen Autobahnen und einer Fortsetzung des 9-Euro-Tickets im öffentlichen Personennahverkehr.
Seit Beginn des Jahres 2022 bestehen die Aktionen der Gruppe hauptsächlich aus Sperrungen von Autobahnzufahrten mittels Sitzblockaden. Um die Räumung von Straßenblockaden durch die Polizei zu erschweren, kleben sich immer wieder einzelne Aktivist*innen mit ihren Hand- oder Fußflächen auf den Straßenbelag. Bis inklusive Oktober 2022 führte die Gruppe nach eigenen Angaben etwa 370 Aktionen durch. Es wurden u.a. Teile des Hamburger Hafens blockiert sowie Zufahrtsstraßen der Flughäfen Berlin, Frankfurt und München. Desweiteren versuchten Aktivist*innen, im April und Mai 2022 die Notabschaltung von Ölpipelines in Demmin, Schwedt und Strasburg zu manipulieren, um den Ölfluss zu stoppen.
Die mediale Welle schwappte über, als Medien behaupteten, es gäbe einen Zusammenhang zwischen einer Straßenblockade der LG und der unzureichenden Notversorgung einer verunfallten Radfahrerin in Berlin. Nach wenigen Tagen stellte sich heraus, dass dieser Zusammenhang nicht bestand. Was für ein Zynismus! Täglich sterben Menschen im Straßenverkehr, nicht wegen Blockaden, sondern wegen alltäglicher Raserei oder mieser Verkehrsplanung. Und täglich stehen Rettungsfahrzeuge im Stau.
Dringlichkeit und Aufmerksamkeit
Die “Letzte Generation” hat Recht, wenn sie auf die Dringlichkeit der Kursänderung und den Unwillen der Regierenden verweist, endlich Maßnahmen zu ergreifen. Sie hat Recht, dass es falsch ist, sich an Gesetze zu halten, wenn diese unerträgliche Zustände schützen. Noch nie in der Geschichte wurden grundlegende Änderungen durchgesetzt, ohne dass Gesetze gebrochen wurden.
Die Ungeduld der oft jugendlichen Aktiven basiert auf den Erfahrungen von fast vier Jahren Fridays for Future: Millionen haben demonstriert, doch nichts hat sich getan. Es ist für viele bei FFF offensichtlich, dass es nicht reicht, Appelle an die Herrschenden zu richten; dass radikalere Maßnahmen folgen müssen, um den Klimawandel zu stoppen. Daran knüpft die “Letzte Generation” an und ist zu einem Faktor geworden.
Die Gruppe liegt allerdings falsch mit ihrer Einschätzung, dass der Mangel an Aufmerksamkeit das zentrale Problem sei. Diese ist durchaus vorhanden, nur fehlt den Menschen eine Vorstellung, wie eine andere Klimapolitik erreicht werden kann. Es fehlt an einer Durchsetzungsstrategie. Diese bietet auch die “Letzte Generation” nicht, denn sie appelliert an die Herrschenden, nur schriller und spektakulärer als die FFF-Demonstrationen.
Das funktioniert sogar. Blockaden und Bilder-Attacken haben ein mediales Echo erzeugt, in den Talkshows wird wieder über das Klima geredet. Das Problem mit diesem Kampf um die Aufmerksamkeit ist allerdings dessen Kurzfristigkeit. Wenn die Aufregung verklungen ist, wird niemand wirklich schlauer geworden sein, wie die Blockade der Reichen und Mächtigen durchbrochen werden kann. Die “Letzte Generation” mag mehr Unterstützer*innen organisieren, doch gleichzeitig werden Menschen durch Geldstrafen oder gar Haft in ihren Handlungsmöglichkeiten beschränkt. Zudem sind viele Menschen von den Klebstoff-Straßenblockaden im Berufsverkehr betroffen, die auf ihr Auto angewiesen sind und sich dieses absurde Verkehrssystem nicht ausgedacht haben.
Revolte statt Appell
Die “Letzte Generation” in die Nähe von Terroristen zu rücken, wie einige Politiker*innen und Medien es getan haben, ist eine Frechheit, angesichts der eindeutigen erklärten Gewaltfreiheit der Aktivist*innen. Solche Vergleiche sollen dazu dienen, Menschen einzuschüchtern und politische Aktivität zu unterbinden.
Doch denken wir die Sache mit den spektakulären Aktionen mal weiter. Was kann man tun, wenn die Aufmerksamkeit für die Straßen-Klebe-Aktionen ausgereizt ist? Müsste man nicht drastischer werden, mit Aktionen, die wirklich die Dringlichkeit zeigen, indem man den Herrschenden selbst Feuer unter dem Hintern macht?
Ob es moralisch gerechtfertigt ist, Verantwortliche für die Klimakatastrophe persönlich zur Rechenschaft zu ziehen, zum Beispiel Anschläge auf ihr Eigentum durchzuführen, ließe sich durchaus diskutieren. Der Punkt ist jedoch: Auch das wäre keine Durchsetzungsstrategie, an der sich die Masse der Menschen beteiligen kann. Das würde enorme Aufmerksamkeit – und enorme Repression – nach sich ziehen. Selbst die Entführung von Konzernchefs wäre lediglich eine extreme Art des Appells an die Herrschenden: “Ändert euren Kurs”.
Es kommt jedoch darauf an zu erkennen, dass das nicht passieren wird, weil die innere Logik des kapitalistischen Systems von Profit und Konkurrenz dies verhindert. Es geht darum, die Macht der Konzerne zu brechen, darum, die Wirtschaft den Menschen unterzuordnen, die knapper werdenden Ressourcen bewusst, demokratisch und planvoll einzusetzen. Um das zu erreichen, müssen wir ihnen die wirtschaftliche Macht nehmen, die Produktionsmitteln in unsere Hände übernehmen, den Kapitalismus stürzen; und müssen, solange er noch existiert, ihre Macht einschränken, indem wir uns organisieren.
Die zentrale strategische Aufgabe der nächsten Jahre ist die Verbindung der Klimabewegung mit der Arbeiter*innenklasse, mit der Masse der Bevölkerung. Das wird ein Kampf, der länger dauert, als es uns lieb und für das Klima zuträglich ist. Doch es gibt keine Abkürzung. Die Eskalation der Ungeduld schafft nur Sackgassen. Das heißt nicht, dass die Klimabewegung warten sollte, bis die Arbeiter*innen sämtlich soweit sind. Alle Aktionen und Kampagnen, welche die Organisierung und Vernetzung stärken, welche Klimaschutz und soziale Forderungen der Lohnabhängigen zusammenbringen, sind sinnvoll.
Natürlich ist auch ziviler Ungehorsam wie Blockaden oder Besetzungen eine gute Methode. Wenn dabei nicht der Berufsverkehr, sondern verstärkt Privatjets und Energiekonzerne in den Fokus geraten, könnte das helfen, die Aktivitäten zu verbreitern.
Die Klimabewegung müsste ihre Forderungen zuspitzen und für konkrete sofortige Verbesserungen kämpfen, zum Beispiel im Bereich Verkehr, für die Vergesellschaftung der gesamten Energiewirtschaft, für Sofortmaßnahmen zur Bewältigung von Klimafolgen in den Großstädten. Die Klimabewegung braucht sowohl eine Vorstellung von der Abschaffung des Kapitalismus als auch eine konkrete Strategie für Alltagskämpfe. Aus der Verbindung einer radikalen Alternative mit Handlungsfähigkeit vor Ort kann eine starke Bewegung erwachsen.