Am 25.11., dem Tag gegen Gewalt an Frauen, demonstrierten etwa 800 Menschen in Bremen unter dem Motto „Solidarität mit der revolutionären Bewegung in Iran und Kurdistan“. Laut, kämpferisch, feministisch, internationalistisch. Die Demonstration wurde organisiert von einem feministisch-internationalistischen Bündnis, zu dem die SAV eingeladen hatte. Der Aufruf zur Demo war kurz gehalten:
„Jina (Mahsa) Amini wurde von der Iranischen Sittenpolizei ermordet, weil sie ihr Hijab nicht ordnungsgemäß getragen hat. Ihr Tod löste Proteste aus, die sich wie ein Lauffeuer verbreiteten. Die Frauen* führen die Revolution an und trotzen der Repression mit tausenden Verhaftungen und hunderten Toten. Wir solidarisieren uns mit dem mutigen Kampf der Iraner*innen und Kurd*innen. Dafür wollen wir am 25.11., dem internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen* und patriarchale Gewalt, auf die Straße. Nicht zurück zu Kolonie oder Monarchie, sondern für eine Gesellschaft ohne jede Form von Unterdrückung und Ungleichheit. Alle zusammen! Frau, Leben, Freiheit!“
Eine Minderheit von Pan-Iraner*innen und Monarchist*innen im Iran-Solidaritätskomitee an der Uni Bremen verhinderte, dass das Solikomitee den Aufruf zur Demonstration unterstützte. Sie kritisierten den Fokus auf die Bewegung in Kurdistan (was auch der Name der Provinz im Iran ist, aus der Jina Amini kam, und in der die Bewegung am radikalsten ist), und die Aufforderung, keine monarchistischen Symbole zur Demo mitzubringen. Sie warfen dem Bündnis vor, der Aufruf sei „separatistisch“. Auch in späteren Veranstaltungen des Solidaritätskomitees wurde die kurdische Herkunft Jina Aminis und die kurdische Frage komplett verschwiegen. Das ging so weit, dass zum Slogan „Jin Jiyan Azadî“ erklärt wurde, dieser käme aus der „feministischen Bewegung im Nahen Osten“ – alles, um Kurdistan nicht zu erwähnen, weil es die Befürchtung gab, das würde „polarisieren“ und die Bewegung spalten.
Auf Initiative der SAV verabschiedete das Bündnis den folgenden Brief an das Solidaritätskomitee, den wir hier als Diskussionsbeitrag für die Bewegung dokumentieren:
Liebe Freund*innen des Iran-Solidaritätskomitees der Uni Bremen,
Wir schreiben diesen Brief, um uns gegen die Behauptung zu wehren, unser Aufruf zum Protest am 25. November, dem internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen*, sei ein separatistischer Aufruf, da der Begriff „Kurdistan“ im Titel vorkomme.
Der heldenhafte revolutionäre Aufstand der Menschen im Iran begann nach der Ermordung von Jina Mahsa Amini, einer iranischen Kurdin, am 16. September. Die Rolle der Frauen* bei den jüngsten Protesten und ihre Tapferkeit, dem mörderischen Regime zu trotzen, während sie allzu oft den höchsten Preis für ihren Heldenmut zahlen – ihr Leben – bleibt keinem Auge verborgen.
Seit der gestohlenen und verratenen Revolution von 1979, als Khomeini die ersten diskriminierenden Gesetze gegen Frauen erließ und sie von der Gesellschaft separierte, werden Frauen* innerhalb der Struktur der Islamischen Republik bis heute unterdrückt und diskriminiert.
Die Fokussierung des Kampfes auf die Unterdrückung von Frauen* und LGBTQ+ ist eine der Stärken dieser Bewegung, da die Unterdrückung dieser Menschen eine der Säulen des Regimes ist. Wenn Frauen* sich erheben, erheben sie sich für die gesamte Gesellschaft, und das Regime ist bis ins Mark bedroht.
Nicht nur Frauen* sind brutaler Unterdrückung ausgesetzt – auch Kurd*innen, aber auch andere Minderheiten wie Türk*innen, Belutsch*innen, Araber*innen oder afghanische Geflüchtete werden täglich unterdrückt und diskriminiert. Das Regime nutzt Chauvinismus, Rassismus und Nationalismus, um eine „zweite Klasse“ von Bürger*innen zu schaffen und so die Menschen nach dem Prinzip „teile und herrsche“ zu spalten. (…)
Was wir überall im Iran hören, ist das Echo von „Jin, Jiyan, Azadî“, einem Slogan, der auf eine mehr als 30-jährige Geschichte des Widerstands und des Kampfes gegen Patriarchat und Kapitalismus zurückblicken kann und von der kurdischen Frauen*befreiungsbewegung in Rojava entwickelt wurde. Der Ursprung von Jina Mahsa Amini, zusammen mit der mehr als 43-jährigen Geschichte der Diskriminierung des kurdischen Volkes und anderer marginalisierter Gruppen durch das islamische Regime im Iran, entfachte die neue Dimension des Protests.
„Zan, Zendegi, Azadi“, die Farsi-Übersetzung des kurdischen Slogans von Rojava, zeigt das Potenzial des gemeinsamen Kampfes gegen die Herrschaft der Spaltung und die Machthaber, die diese Spaltung geschaffen haben. Noch nie gab es eine solche Solidarität, die die drei Bewegungen – die queer-feministische Bewegung, die nicht-persischen ethnischen Bewegungen und die demokratische Bewegung aller Menschen, unabhängig von ihrer ethnischen Zugehörigkeit, ihrem Geschlecht oder ihrer Klasse – miteinander verbindet.
Das Verständnis für die verschiedenen Formen der Unterdrückung führt zu einem koordinierteren und gemeinschaftlichen Kampf. Dazu ist es notwendig, denjenigen zuzuhören, die am stärksten diskriminiert werden, und ihnen das Recht einzuräumen, ihren eigenen Kampf zu führen. Unabhängig davon, wie man zur kurdischen Unabhängigkeit steht, können wir für das demokratische Recht des kurdischen Volkes kämpfen, sein eigenes Schicksal zu bestimmen; denn wir sind uns alle einig, dass Selbstbestimmung das Recht eines jeden Menschen ist.
Wir glauben, dass es gefährlich ist, die Frage der Minderheiten zu ignorieren, so wie es schädlich wäre, den Kampf der Frauen* zu übersehen, die diese Revolution angestoßen haben. Eine Revolution, die hoffentlich die blutige Herrschaft des islamischen Regimes im Iran abschaffen und die Tür für eine freie, gleichberechtigte und gerechte Gesellschaft öffnen wird. Nicht nur im Iran, sondern auch außerhalb seiner Grenzen.
Den Kampf des kurdischen Volkes zu respektieren und ihm Beifall zu zollen, ist kein Separatismus, es ist das Gegenteil: Es schafft die Möglichkeit für einen vereinten Kampf gegen alle Formen der Unterdrückung.
Für uns ist die Einheit jedoch kein Ziel an sich. Wir kämpfen und unterstützen die Menschen, die die Unterdrückung abschaffen und nicht nur den Unterdrücker ersetzen wollen. In diesem Sinne und mit Blick auf die Zukunft wollen wir die Geschichte nicht zurückdrehen. Wir sind gegen die Diktatur des islamischen Regimes, aber wir sind auch gegen die Monarchie, die aus gutem Grund auf dem Müllhaufen der Geschichte gelandet ist. Wir kämpfen gegen alle Formen von Unterdrückung und Ungleichheit. Wir glauben an die Macht der Frauen* und aller Unterdrückten, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Wir würden uns freuen, wenn ihr an der Demonstration teilnehmen würdet.
Es lebe die Solidarität – Jin, Jiyan, Azadî