Bis zu 30.000 Menschen folgten dem Aufruf von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer am 25. Februar in Berlin. In den Tagen zuvor hatte es einen Shitstorm von etablierten Medien und Parteien gegen diese Kundgebung gegeben, es handele sich um eine “Querfront” aus Rechten und Linken. Den Initiator*innen des Aufrufs “Manifest für den Frieden” wurde direkt oder indirekt unterstellt, das Geschäft Putins zu besorgen. Linke sollten das zurückweisen, aber gleichzeitig den Kampf gegen Rechts und für eine größere politische Klarheit in der Antikriegsbewegung führen.
SAV Berlin
Auch wenn Rechte zu der Kundgebung mobilisiert hatten, und versuchten, diese für ihre Zwecke zu missbrauchen: Die Masse der Teilnehmer*innen waren “normale” Menschen, die besorgt sind, dass der Krieg eskaliert und die Waffenlieferungen für falsch halten. Aber selbst wenn Faschist*innen der Demo nicht ihren Stempel aufdrücken konnten, bleibt die Anwesenheit von Rechtspopulist*innen, Faschist*innen und einzelnen Funktionsträger*innen der AfD auf der Kundgebung ein Problem. Zur ganzen Wahrheit gehört aber auch, dass dem Umarmungsversuch von Rechts widersprochen wurde. Von der Bühne und seitens der Ordner*innen wurde deutlich gemacht wurde, dass Nazis und “Reichsbürger*innen” nicht erwünscht sind. Jürgen Elsässer vom Compact-Magazin versuchte mit einem Trupp Faschist*innen und einem Transparent einen offensiven Auftritt. LINKE-Mitglieder haben sich dem mit lauten “Nazis-Raus”-Sprechchören und Schildern (“Mit AfD & Co ist kein Frieden zu machen”) entgegengestellt und Elsässer schließlich erfolgreich rausgedrängt.
Verantwortung Wagenknechts
Die Verantwortung dafür, dass das überhaupt notwendig wurde, haben die Initiator*innen mit ihrer unklaren Kommunikation. Wagenknecht und Lafontaine haben widersprüchliche Signale gesendet, mal hieß es, Neonazis wolle man dort nicht sehen, dann wiederum sollten alle kommen, die “reinen Herzens für Frieden sind”. Eine eindeutige Trennlinie nach rechts hätte vorab gezogen werden müssen. Es hätte angekündigt werden müssen, dass alle Faschist*innen, die erkannt werden, von der Kundgebung geworfen werden würden. Das hätte diese mehr abgeschreckt.
Vor allem hätte es dazu geführt, Linke zu mobilisieren, die am Ende ferngeblieben sind, weil sie fürchteten, in einer chaotischen Situation zu landen und mit den Rechten in einen Topf geworfen zu werden. Es war zwar ein Fehler, dass viele Linke nicht hingegangen sind und damit auch darauf verzichtet haben, linke Inhalte in die Bewegung zu tragen, aber Wagenknecht und Lafontaine sind für diese Situation verantwortlich. Sie haben es den bürgerlichen Medien leicht gemacht, das gesamte Anliegen – gegen die Kriegsbeteiligung der NATO, Waffenlieferungen und die Eskalationsgefahr einzutreten – zu verunglimpfen.
Der LINKE-Parteivorstand hat angesichts dieser Herausforderung versagt. Er hat faktisch dazu aufgerufen, nicht zur Kundgebung zu gehen und die eigenen Mitglieder demobilisiert. Damit hat der Vorstand dem Druck der etablierten Parteien nachgegeben, die jeden Protest gegen die Rolle der NATO und die Waffenlieferungen als rechts und illegitim diffamiert. Er hat die linke Präsenz auf der Demo geschwächt.
Wie es anders geht, haben die Genoss*innen der LINKE aus verschiedenen Bezirken (Mitte, Neukölln, Treptow-Köpenick und andere) gezeigt, die im Vorfeld der Demo eigene Plakate und Transparente mit Slogans gegen die AfD und andere Rechte produziert haben.
Wie weiter?
In jedem Fall zeigt diese Demonstration – ebenso wie Aktionen in anderen Städten, die größer als erwartet waren – dass die Sorgen vor der weiteren Eskalation des Ukraine-Krieges und die Kritik an den Waffenlieferungen größer werden. Die Demonstration hat – bei allen Problemen – einen Beitrag geleistet, die öffentliche Debatte in eine andere Richtung zu rücken, und sich der gewaltigen militaristischen Welle entgegengestellt, die durch nahezu sämtliche Medien fegt.
Aber die politischen Unklarheiten der Wagenknecht-Initiative wiegen schwer. Nach einer kurzen Phase von überraschender Sachlichkeit direkt nach der Kundgebung werden zudem die nächsten medialen Böen von Diffamierung den Kritiker*innen der Regierung ins Gesicht wehen. Die LINKE scheint gelähmt. Ein Teil der Mitglieder, die in den letzten Jahren aus guten Gründen Wagenknecht scharf kritisiert haben, hat sich so in die innerparteiliche Auseinandersetzungen verrannt, dass sie es versäumt, um eine entstehende Antikriegsbewegung zu kämpfen. Beim Aufbau einer solchen wird man mit Wagenknecht politisch kollidieren, aber man muss erst einmal dabei sein, auf der Straße, um diesen Kampf führen zu können.
Das Potenzial für den Aufbau einer größeren Bewegung gegen die Kriegsführung nicht nur Russlands, sondern auch der NATO, hat sich entwickelt. Man kann und muss darüber streiten, wie diese aufgebaut und an Macht und Durchsetzungsfähigkeit gewinnen kann. Wagenknechts und Schwarzers “Manifest für den Frieden” ist politisch beliebig, es klammert eine linke Perspektive bewusst aus, um Anschlussfähig für bürgerliche Kräfte zu sein und verzichtet sogar auf Kritik an der Aufrüstung der Bundeswehr, um auch Anhänger*innen eines “eigenständigeren” Agierens des deutschen Imperialismus einzubeziehen. Es ist übertrieben, diese politische Beliebigkeit als Querfront-Projekt zu bezeichnen, das Konzept ist aber trotzdem falsch und steht der Durchsetzungsfähigkeit der Bewegung im Weg.
Gegen Krieg und die Verhältnisse, die ihn auslösen
Eine Antikriegsbewegung muss die Verhältnisse infrage stellen, aus denen der Krieg entsteht und die durch den Krieg verschärft werden, also sich gegen Nationalismus, Sozialabbau, Lohnraub und Inflation positionieren. Denn nicht alle sind gleich vom Krieg und seinen Folgen betroffen. Es sind nicht die Reichen und Mächtigen, die in den Schützengraben sitzen und sterben, sondern fast immer einfache Lohnabhängige. Ebenso sind es vor allem einfache Lohnabhängige, die unter den Kriegsfolgen leiden: Inflation, Aufrüstung zu Lasten von Sozialem oder Klimaschutz.
Die Antikriegsbewegung braucht eine internationalistische Klassenperspektive. Sie muss darauf verweisen, dass ihre Verbündeten die Lohnabhängigen in Russland, der Ukraine, China, den USA sind, die sich gegen ihre kriegführenden Regierenden stellen müssen. Ein reiner Appell an die Herrschenden, sich zu vertragen und endlich zu verhandeln reicht nicht aus, weil es zu Verhandlungen nur kommt, wenn der innenpolitische Druck der kriegführenden Staaten zu groß ist, den Krieg weiterzuführen. Die Lohnabhängigen hätten über ihre Stellung im Produktionsprozess die Macht, die Kriegsproduktion und -Logistik zu stoppen. Eine internationalistische Position wäre, sich gegen alle Waffenlieferungen zu stellen, nicht nur von Waffen aus der NATO an die Ukraine, sondern zum Beispiel auch gegen Drohnen-Lieferungen aus dem Iran an Russland. Eine solche internationalistische Klassenperspektive würde die Bewegung nicht nur politisch stärken, sie würde auch automatisch die AfD und andere Rechte ausschließen, mit denen tatsächlich kein Frieden zu machen ist.