Nach den ersten Warnstreiks im öffentlichen Dienst haben Bund und Kommunale Arbeitgeberverbände am 23.2. ein lächerlich geringes Angebot vorgelegt. Jetzt ist Zeit für weitere Streiks und aktive Solidarität.
von Thies Wilkening, Reinbek
In vielen Bereichen des öffentlichen Dienstes wurde schon gestreikt – in Kliniken, bei Verkehrsbetrieben, in Kitas, bei der Müllabfuhr, in Verwaltungen und auf Flughäfen. Überall fordern die Kolleg*innen 10,5 % bzw. mindestens 500 Euro mehr Lohn und 200 Euro mehr Ausbildungsvergütung bei einem Jahr Laufzeit. Angeboten wurden 2500 Euro steuerfreie Einmalzahlungen und insgesamt 5 % tabellenwirksame Lohnerhöhung auf 27 Monate gestreckt, wobei die Löhne erst im Oktober und dann im Juni 2024 in zwei Mini-Schritten erhöht werden sollten.
Bei den Verhandlungen betonten die Arbeitgeber, dass sie eine feste Mindesterhöhung ablehnen, weil sie in den unteren Lohngruppen noch genügend Personal fänden; wenn überhaupt seien Lohnerhöhungen für „Führungs- und Fachkräfte“ gerechtfertigt. Deshalb dürfe auch die Entgelttabelle nicht „gestaucht“ werden, die Abstände zwischen den Entgeltgruppen dürften nicht geringer werden. Dass die Kolleg*innen mit geringeren Einkommen von der Inflation besonders stark betroffen sind, ist den Arbeitgebervertreter*innen offensichtlich egal. Die Bundestarifkommission von ver.di ist ihrer Pflicht nachgekommen, dieses Angebot abzulehnen.
Gemeinsam streiken
Bei den bisherigen Warnstreiks gab es gute Beispiele für gemeinsame Aktionen von Kolleg*innen aus verschiedenen Bereichen, auch über den TVÖD hinaus. So streikten am 17. Februar Beschäftigte auf acht Flughäfen und legten erfolgreich den Flugverkehr lahm. Das Besondere dabei: Nicht alle Streikenden werden nach TVÖD bezahlt, aber da gerade mehrere Tarifrunden parallel stattfinden, konnten die Kolleg*innen gemeinsam streiken. In Hamburg gab es einen gemeinsamen Warnstreik diverser TVÖD-Betriebe mit den Beschäftigten der HADAG, die Fähren im Hafen betreibt. In der nächsten Phase der Tarifrunde können solche gemeinsamen Streiks noch deutlich ausgeweitet werden. Am 8. März endet die Urabstimmung bei der Post. Wenn die Postler*innen sich für den Erzwingungsstreik entscheiden, sollte ver.di Warnstreiks im öffentlichen Dienst mit den Streiktagen bei der Post koordinieren und gemeinsame Kundgebungen durchführen.
„Frühling des Grauens“
Die Wirtschaftswoche sprach angesichts der Streiks im ÖD und bei der Post von einem drohenden „Frühling des Grauens“. Wenn die Forderungen auch nach der dritten Verhandlungsrunde Ende März nicht annähernd erfüllt werden, muss es zur Urabstimmung und zum Erzwingungsstreik kommen – dann gibt es einen Frühling des Grauens für bürgerliche Politiker*innen und Arbeitgeberverbände und einen Frühling der Solidarität für Arbeiter*innen und soziale Bewegungen.
Dazu wird auch der Aktions- und Warnstreiktag am 8. März maßgeblich beitragen, wo Kolleg*innen aus den Sozial- und Erziehungsdiensten in vielen Städten streiken und sich an Aktionen und Demos zum feministischen Kampftag beteiligen.
Bisher argumentiert die ver.di-Spitze konsequent gegen lange Laufzeiten und für deutliche Erhöhungen zum Inflationsausgleich. Das ist ein deutlicher Unterschied zur Führung der IG Metall, die im Herbst 2022 schnell umkippte und einen Tarifvertrag abschloss, der weitere zwei Jahre Reallohnverlust festschrieb.
Ist der Druck der Basis im öffentlichen Dienst so viel größer als in der Metallindustrie? Einerseits ja. Die intensive Vorbereitung von ver.di, zum Beispiel mit dem „Stärketest“, hat viele Kolleg*innen motiviert, diese Tarifrunde als Chance zu sehen, den Lohnverlust zu stoppen. Zudem ist der existenzielle Druck groß – die Löhne im öffentlichen Dienst sanken in den 2000er-Jahren, diese wurde in bis 2019 nur teilweise ausgeglichen, ab 2020 gab es erneut Reallohnverluste.
Ein Faktor dabei ist allerdings, dass ver.di selbst in einer anderen Situation ist als die IG Metall. Letztere kann es sich leisten, wenn ein Teil der Belegschaften unzufrieden ist. Der Organisationsgrad ist hoch, in der Metallindustrie gibt es keine Konkurrenz. ver.di muss liefern, in einigen Bereichen mehr als in anderen. Durch den Beamtenbund existiert Konkurrenz. Dieser ist zwar weit weniger durchsetzungsfähig und -willig, kann aber kämpferisch antäuschen. In vielen Bereichen, gerade bei der Post, die sich parallel in der Auseinandersetzung befindet, aber auch bei im Sozialbereich und im Gesundheitswesen, suchen Kolleg*innen nach Wegen, ihre Interessen durchzusetzen. Wenn es nicht mit ver.di geht, kommen für sie andere Optionen in Betracht. Die bisherige Entschlossenheit des ver.di-Apparats hat daher auch mit der inneren Situation der Gewerkschaft zu tun.