„Expert*innenkommission“ verübt Generalangriff auf Bildungsbeschäftigte

Der Fachkräftemangel, er beutelt die Konjunktur. Keine*r hat mehr Bock auf Pflegen, Schrauben, Scheuern. Und auch in der Bildung von der KiTa bis zur Schule sieht es bitter aus: Personalmangel in Kombination mit hohen Krankenständen lässt das System (und die Beschäftigten) fast zusammenbrechen. Den angeblich so sinnvollen Marktmechanismen entsprechend sollten Arbeitgeber*innen in einer solchen Mangellage die Attraktivität entsprechender Tätigkeiten steigern, z.B. mit besseren Arbeitsbedingungen und höheren Gehältern. In den Schulen passiert das genaue Gegenteil: Wer jetzt noch lehrt, wird bestraft.

von Lehrer*innen in der SAV

Am 27. Januar verkündete die von der Kultusministerkonferenz beauftragte „Ständige Wissenschaftliche Kommission“ (SWK) ihre Vorschläge gegen den akuten Lehrkräftemangel: Hinausschieben des Pensionsantritts, Abbau von Altersermäßigung, Ablehnung von Teilzeitbeschäftigung, Erhöhung der Pflichtstundenzahl, zwangsweise Abordnung an andere Schulen (auch andere Schulformen, auch bezirksübergreifend), Hybridunterricht mit mehreren Lerngruppen, mehr Selbstlernzeiten für Schüler*innen, und – natürlich – größere Klassen.

Wer sich als Lehrkraft schon am Rande der Belastungsgrenze befindet, wird nun hinuntergeschubst. Wer als Schüler*in schon jetzt strugglet, wird komplett untergehen. Wer als Eltern jetzt schon nicht mehr weiter weiß, scheitert nun an den Grenzen des Systems.

Diese Vorschläge sind ein unfassbarer Angriff auf alle Beteiligten am System Schule: Lehrkräfte, Schüler*innen, Eltern. Eine steigende Belastung von Lehrenden bedeutet: Schlechterer Unterricht, schlechtere Betreuung von Schüler*innen, weniger AGs, Ausflüge oder anderes außerunterrichtliches Engagement. Noch größere Klassen bedeuten für Schüler*innen noch schlechtere Chancen. Eltern müssen zuhause noch mehr in die Bresche springen.

Die Vorteile des Lehrer*innenjobs (z.B. eine gewisse Familienfreundlichkeit) werden zerstört, während die Nachteile (z.B. nie wirklich Feierabend, ständig Konflikte, immer mehr Aufgaben und Verantwortungen, fehlende Arbeitsplatzflexibilität) noch weiter verschärft werden. Und selbst eine sichere Pension wird in diesen Zeiten kaum noch jemanden in den Job locken…

All die vorgeschlagenen Angriffe werden den Lehrkräftemangel noch vergrößern, es werden noch weniger Menschen auf Lehramt studieren oder quereinsteigen, auch immer mehr Beamt*innen werden kündigen, wenn es einfach nicht mehr geht, und/oder man das alles nicht mehr mittragen will.

Nun sollte mensch meinen, die Kultusminister*innen der Bundesländer seien sich dessen irgendwie bewusst, würden weiter denken, nicht nur an der Sparschraube drehen und diesen Horror-Katalog nicht einfach so umsetzen. Doch in den ersten Bundesländern geht es bereits los, wie z.B. mit Wochenstundenerhöhungen in Sachsen und zunehmenden Zwangsabordnungen und Teilzeiteinschränkungen in NRW. In Sachsen-Anhalt wurden bereits Vorgriffstunden eingeführt.

Immer mehr für weniger?

Wieso werden nicht die Lehrkräfte, die in Teilzeit arbeiten, einfach gefragt, was passieren muss, damit sie sich eine Vollzeitbeschäftigung vorstellen können? Weil die Belange der arbeitenden Menschen nachrangig und die Bedürfnisse der Wirtschaft vorrangig sind! Abgesehen davon weiß jede Person, die ein bisschen Ahnung vom Arbeitsalltag im Betrieb Schule hat:

1. Teilzeit ist kein Privileg. Teilzeit heißt Lohnverlust. Besonders bei Lehrkräften, bei denen die Arbeitszeit in Unterrichtsstunden festgelegt ist und zusätzliche Aufgaben wie Konferenzen, Klassenfahrten usw. nicht auftauchen, bedeutet eine Stundenreduktion immer viel mehr Gehaltsverlust als Freizeitgewinn.

2. Wer dennoch Teilzeit arbeitet, hat dafür Gründe. Nicht nur Kinder, Pflegefälle oder Ähnliches, sondern einfach Überlastung. Laut einer Studie des Deutschen Schulbarometers fühlen sich vier von fünf Lehrkräften derzeit stark oder sehr stark belastet. Das hat seit der Pandemie massiv zugenommen.

3. Vor allem Frauen arbeiten in Teilzeit. Ihnen aber Vollzeit aufzuzwingen, löst Probleme wie den Gender Pay Gap und andere gegen Frauen gerichtete ökonomische Unterdrückungsmechanismen nicht. Wer Vollzeitkräfte will, muss Entlastung schaffen! Wer mehr Lehrkräfte in Grund- und Sekundarschulen will, muss sie besser bezahlen!

Diese Pläne sind auch und gerade ein massiver Angriff auf Frauen, die zwei Drittel der Bildungsbeschäftigten ausmachen. Sie sind sogar klimapolitisch problematisch, da zwangsabgeordnete Lehrkräfte in der Regel längere Fahrtzeiten zu bewältigen haben, was gerade auf dem Land meist im eigenen PKW geschieht.

Woher kommt der Lehrkräftemangel?

Durchschnittlich sind derzeit laut einer Forsa-Umfrage unter Schulleitungen 1,6 Lehrer*innenstellen unbesetzt. Hochgerechnet auf die ca. 32.000 allgemeinbildenden Schulen im Land wären das mehr als 50.000 Stellen. Bis 2025 würden bundesweit nach Berechnungen der Kultusministerkonferenz (KMK) 40.000 fehlen, viele Bildungsforscher*innen rechnen mit dem Doppelt- oder Dreifachen.

Der Lehrkräftemangel ist keine Naturkatastrophe, sondern herbeigeführt. Wenig ist besser abzusehen als Schüler*innenzahlen und Pensionierungen, trotzdem werden hohe Geburtenraten und Pensionierungswellen als Grund genannt. Und – natürlich – geflüchtete Menschen, denn die sind ja eh immer an allem Schuld.

Jahrzehntelang wurden zu wenige Lehrkräfte ausgebildet, in vielen Bundesländern wurden sie kaum eingestellt. Mit einem Numerus Clausus im Einserbereich haben viele Unis zahlreiche Interessierte an einem Lehramtsstudium gehindert. Obwohl bereits Mitte der 2000er Quereinsteigerprogramme gestartet wurden, um den Mangel zu beheben, hat sich nichts verbessert – weder bei den Studienbedingungen, noch bei den Einstellungszahlen, noch den Entfristungen, noch den Tarifbedingungen. Hürden in der Ausbildung wurden nicht abgeschafft sondern sogar erhöht, z.B. mit unbezahlten Pflichtpraktika, einem kürzeren Referendariat mit derselben Anzahl an Prüfungen oder Umstellung auf Bachelor-Master-Studiengänge. Mit Pflichtpraktika sollte in NRW z.B. das Lehramtsstudium „praxisnaher“ gestaltet werden, damit sich Student*innen im Zweifelsfall bereits vor dem Referendariat umorientieren. Und tatsächlich sinkt die Anzahl der Studienabsolvent*innen immer weiter – laut Statistischem Bundesamt zwischen 2011 und 2021 von 33.500 auf 28.900 – ein Rückgang von fast 14 Prozent. Damit wird das Lehramt noch weiter zu einem Beruf, der „vererbt“ und für Arbeiter*innenkinder unerreichbar wird. Bereits jetzt gibt es in den Lehrerzimmern kaum Menschen aus der Arbeiter*innenklasse oder mit migrantischem Background. Die Kluft zwischen beiden Seiten des Pultes wächst weiter.

Der Anspruch an Lehrkräfte in der Ausbildung ist weiterhin hoch, auf der anderen Seite werden Quereinsteiger*innen nicht vernünftig ausgebildet – dafür bleibt keine Zeit – fachfremdes Unterrichten wird eher Regel als Ausnahme, besonders an berufsbildenden Schulen.

Wer nicht verbeamtet wird, hat weder die bessere Alterssicherung noch das höhere Gehalt und private Krankenversicherung, sondern ist ein*e gar nicht so gut bezahlte*r Angestellte*r in oft befristeten, unsicheren Arbeitsverhältnissen. Darüber verliert die „Expertenkommission“ kein Wort, über die tausenden und abertausenden befristet Beschäftigten in den Bildungseinrichtungen, von denen viele immer wieder in den Sommerferien entlassen werden, die zum Teil viele Jahre in diesen On-Off-Anstellungen verbringen. Einige werden entfristet, viele müssen wieder aussteigen, weil am Ende keine Nachqualifizierung möglich ist. Absurd, da Quereinsteiger*innen in einigen Bundesländern über 30 Prozent (in Berlin sogar 60 Prozent!) der Lehrkräfte stellen.

Milliarden für Bildung statt für Rüstung

Wer mehr Lehrkräfte will, muss einfach Geld für Bildung ausgeben: Für die Angleichung der Gehälter auf dem höchsten Niveau, Arbeitszeitverkürzung und Entlastung, mehr und besser ausgestattete Schulgebäude, mehr Personal außerhalb des Klassenzimmers, mehr Studienplätze, eine sinnvolle Ausbildung, die nicht abschreckt und regelmäßige Weiterbildung während der Arbeitszeit. Für Bildung statt Leistungsdruck, wirkliche Integration und Inklusion statt stumpfer Verordnungen mit motivierenden Worten und Kürzungsprogrammen.

Damit wir uns wirklich auf das Lernen und Arbeiten in der Schule freuen können, müssen Lehrer*innengewerkschaften, Elternverbände und Schüler*innenvertretungen gemeinsam kämpfen – gegen die geplanten Angriffe der KMK, gegen die Kürzungspolitik, für eine gute Bildung für alle!

Wir fordern:

  • Absenkung der Klassengrößen auf höchstens 20 Schüler*innen
  • Sofortige Übernahme aller qualifizierten Vertretungslehrkräfte in unbefristete Beschäftigungsverhältnisse
  • vernünftige freiwillige Qualifizierung statt Zwangsabordnungen von Lehrkräften
  • Schließen der Netto-Lohnlücke zwischen Angestellten und Beamt*innen – A13-Äquivalent für alle
  • Schaffung von Vollzeitstellen für IT-Fachkräfte an Schulen
  • Entlastung von Lehrkräften von rein administrativen Aufgaben durch qualifiziertes, zusätzliches Schulpersonal
  • Übernahmegarantie für alle Lehramtsanwärter*innen
  • Schaffung von (kostenfreien) Studienplätzen für das Lehramt in ausreichender Anzahl
  • Ständige Begleitung von Inklusionsschüler*innen durch Förderschul-Kolleg*innen
  • Qualifizierung der Schulbegleiter*innen von Inklusionsschüler*innen und angemessene Bezahlung
  • Vergütung von Mehrarbeit ab der ersten Vertretungsstunde
  • Abschaffung aller zentralen Prüfungen außerhalb des Schulabschlusses, wie z.B. Vergleichsarbeiten u.ä.

Foto: DIE LINKE