Das Drama in der Partei DIE.LINKE mit der abtrünnigen Gruppe um Sahra Wagenknecht neigt sich seinem Ende zu. Sahra Wagenknecht hat sich spätestens seit dem krachend gescheiterten „Aufstehen“-Projekt von der Partei wie auch von Parlamentsarbeit verabschiedet und nutzt ihr Mandat als Plattform für ihre Medienpräsenz. Der Parteivorstand hat im Juni eine Trennlinie gezogen – sehr spät, formal und unpolitisch. In diesem Jahr wird die Entscheidung fallen, ob ein Antritt bei der Europawahl und eine anschließende Parteineugründung erfolgt und ob Sahra Wagenknecht abspringt oder freischwebend bleibt.
Von Angela Bankert, Köln und Lucy Redler, Berlin
Wenn Wagenknecht das Zeitfenster vor der Europawahl nicht nutzt, dann wird es vorerst nichts mit ihrem neuen Parteiprojekt. Zu dieser Wahl kann man ohne Parteigründung mit einer einfachen Liste antreten, 2024 wird es noch keine Prozenthürde geben, bei den Wählenden besteht eine größere Neigung zur Protestwahl.
Interviews von Sahra Wagenknecht und Alexander Ulrich deuten darauf hin, dass ein Versuchsballon gestartet wird. Die Anhängerschaft scharrt ohnehin mit den Hufen. Und es gibt Abwerbeversuche in verschiedenen Landesverbänden. Gleichzeitig sprechen sich immer mehr Mitglieder, darunter auch Mandatsträger*innen wie in Sachsen, gegen eine Abspaltung aus. Die Luft um Wagenknecht wird dünner, ihr Zeitfenster kleiner.
Viele Parteimitglieder werden wohl nicht mitgehen, denn nach etlichen Austritten ist die Schar der Wagenknecht-Unterstützenden in der Partei mittlerweile überschaubar. Viele tragen Wagenknechts rückschrittliche Positionen zu Migration, sexueller Orientierung und Identität und Klima nicht mit. Zwar sind Wagenknecht und ihre Anhänger*innen in der Kriegsfrage scheinbar wieder Verteidiger*innen linker Grundsätze, jedoch werden die meisten den Kampf um die Beibehaltung einer klaren Antikriegs- und Anti-NATO-Haltung innerhalb der Partei ausfechten wollen.
Versuchsballon Europawahl?
Eine Liste zur Europawahl mit Sahra Wagenknecht als Zugpferd oder prominenter Unterstützerin könnte trotz allem einige Prozente holen, vermutlich auch mehr als DIE LINKE. Zumal diese Gruppe – neben vielen falschen Positionen – eine klarer ablehnende Position zur EU der Banken und Konzerne bezieht als die Linkspartei
Aber ob es gelingen kann, aus einer erfolgreichen Europawahl-Teilnahme ein Parteiprojekt zu konsolidieren, ist fraglich. Für die Bundestagswahl reicht keine einfache Wahlliste, sondern ist eine Parteigründung entsprechend den Regularien des Parteiengesetzes mit formal demokratischen Strukturen in 16 Landesverbänden zwingend. Das heißt: eine Bewegung mit Anführerin – analog zu Mélenchon in Frankreich – ist nicht möglich. Und die heterogenen Unterstützungskreise von Linkskeynesianer*innen bis AfD-Wählende werden nur schwer in ein einziges Parteiprojekt zu integrieren sein.
LINKE nach einer Spaltung
Was wird aus der Rest-LINKEN, wenn die Anhängerschaft um Wagenknecht geht? Mit Sicherheit wird insbesondere der Realo-Flügel um die Regierungssozialist*innen in die Offensive gehen, die Partei weiter an den herrschenden Diskurs anpassen, um die Regierungsfähigkeit auf allen Ebenen zu erreichen.
Noch ist dieser Flügel in einer Minderheit, jedoch in den letzten Jahren erstarkt. Spätestens seit der Pandemie wurde die Auseinandersetzung um Wagenknecht vom Realo-Flügel immer mehr instrumentalisiert, um die eigene Agenda zu befördern. Über den Ukraine-Krieg versuchen sie, die Antikriegspositionen der LINKEN zu schleifen.
Inwieweit den Reformer*innen ein Durchmarsch gelingt und die LINKE damit als Kampfinstrument der arbeitenden Klasse völlig unbrauchbar würde, hängt vom Verhalten der Mehrheit ab, hier insbesondere von der Bewegungslinken. Letztere liefern bisher eine enttäuschende Performance ab, mit andauernden faulen Kompromissen, so dass sie trotz Mehrheit im Parteivorstand eher wie ein Anhängsel der Reformer*innen wirken. Gleichzeitig gibt es immer wieder Aktionen, die Mut machen und die Verankerung der Partei erhöhen. So organisierte DIE LINKE Neukölln Anfang Juli in sehr kurzer Zeit eine Kundgebung in Neukölln mit über 800 Menschen gegen die drohenden Sozialkürzungen der Landesregierung.
Wie konnte es so weit kommen?
Die führenden Strömungen der Partei haben seit 2017 dabei versagt, Wagenknecht politisch herauszufordern und zu stellen. Das hing auch mit der unseligen Allianz in der Bundestagsfraktion zwischen Wagenknecht-Unterstützenden und Teilen der Reformer*innen zusammen. Außerhalb der AKL, an der sich SAV-Mitglieder beteiligen, wollte fast niemand die Spaltung der Fraktion, Verlust von Mandaten und Fraktionsstatus riskieren – ein krasser Ausdruck des Vorrangs von Parlamentsposten vor Inhalten und Klarheit.
Daran, dass man Sahra Wagenknecht so lange gewähren ließ, hat auch die Delegiertenmehrheit im größten Landesverband NRW eine Mitschuld. 2021 stellte man sie noch einmal für den Bundestag auf, obwohl längst klar war, dass sie sich schon lange nicht mehr diesem Landesverband verbunden fühlte, nicht auftauchte, keine Rechenschaft ablegte, sich keiner Diskussion mehr stellte. Ihr Abrechnungs-Buch „Die Selbstgerechten“ hatte sie wohlweislich erst nach der Listenaufstellung zur Veröffentlichung freigegeben. Aber wer es wissen wollte, konnte es wissen: Wagenknecht hatte politisch längst mit der Partei gebrochen. Hätte man in NRW und im Bund früher eine klare politische Trennlinie gezogen, wäre wohl deutlich weniger Porzellan zerschlagen worden.
Die über Jahre andauernde Erzählungen von Wagenknecht schrecken Mitglieder, Anhänger*innen und Wähler*innen nach beiden Seiten ab: diejenigen, die ihre Positionen gegen Klimaschutz, Minderheitenschutz etc. furchtbar finden und sich deswegen abwenden. Und diejenigen, die glauben, was da erzählt wird: Die Linkspartei kümmere sich nicht mehr soziale Fragen, sei nur mit Gendern beschäftigt und habe keine Antikriegshaltung. Kämen solche Behauptungen von den bürgerlichen Medien, würden es viele nicht glauben. Aber wenn Parteiprominente um Wagenknecht, Dagdelen & Co. dies behaupten, dann wirkt das glaubhaft – auch und gerade bei denjenigen, die überlegen, AfD zu wählen.
Auch das aktuelle Papier des Parteivorstands „Plan 2025 – Comeback für eine starke LINKE“ ist außerordentlich schwach und macht deutlich: Man will die Partei fast ausschließlich auf Wahlen und Parlamentspräsenz orientieren. Selbst Kampagnen werden zum Wahlzweck:
„Mit der Umsteuern-Kampagne wollen wir das Querschnittsthema der ungerechten Verteilung von Reichtum, Eigentum, Ressourcen und Zeit angehen und dieses Thema Umverteilung zu einem der wahlentscheidenden Themen bei der Bundestagswahl machen.“ Ebenso die Mitgliedergewinnung: „… als logische Bedingung, um den Bundestagswahlkampf auf vielen Schultern zu verteilen.“
Formulierungen wie die Partei „ …arbeitet auf allen Ebenen, in der Opposition wie in Regierungen, im Parlament wie auf der Straße,…“ machen klar: es gibt keine Orientierung, sondern ob Regierung oder Opposition – es ist egal. Der Parteivorstand sieht die Perspektive der LINKEN ganz offenbar nicht als rebellische, antikapitalistische Opposition.
Setzt sich ein solcher Kurs durch, dann drohen zwei reformistische Projekte: ein links-konservatives und ein links-sozialdemokratisches, beide unbrauchbar für den Kampf um eine sozialistische Alternative zum Katastrophen-Kapitalismus.
Krise als Chance?
Die LINKE hätte eine Chance, aus der Krise gestärkt hervorzugehen, wenn sie:
- ohne Wenn und Aber als Opposition zum kapitalistischen System agiert, was einschließt, sich vom Mitverwalten in Regierungen zu verabschieden
- den Schwerpunkt ihrer Arbeit auf Verankerung in Gewerkschaften und Betrieben, in Stadtteilen, in sozialen und Klimaschutzbewegungen legt, ihre Kampagnefähigkeit ausbaut, wozu wohl auch eine drastische Umwidmung von Ressourcen im Karl-Liebknecht-Haus, bei Mandatsträger*innen und Mitarbeitenden gehört
- das Primat der Partei vor den Fraktionen herstellt: kein Mandat ohne Verankerung; verpflichtende Abgaben der Mandatsträger*innen über ein Durchschnittsentgelt hinaus
- eindeutig Stellung bezieht gegen Krieg, NATO und Militarisierung, aber auch gegen imperiale Kriegs- und Großmachtpolitik von Staaten wie Russland oder China
Auf einer solchen Grundlage könnten neue Mitstreiter*innen gewonnen und vielleicht sogar manche zurückgewonnen werden, und die Partei vom Wahlverein zu einer Kampfpartei umgebaut werden. Wenn das nicht passiert, droht das endgültige Scheitern des Projekts “DIE LINKE”.
Bild: Collage basierend auf Foto von DIE LINKE, CC BY 2.0