Im ersten Teil in der Mai-Ausgabe haben wir geschildert, wie der prominente japanische Philosoph und Autor Kohei Saito am „grünen Marx“ anknüpft, und haben den „metabolischen Riss“ beschrieben, die sich aus dem Kapitalismus ergebende Stoffwechselstörung zwischen menschlicher Gesellschaft und Natur. Im zweiten Teil beschäftigen wir uns mit den Perspektiven und Schwächen in Saitos Analyse.
von Claus Ludwig, Köln
Die wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Klimakrise sind den Herrschenden schon länger bekannt als uns, aber sie können in diesem System nicht so stark sein wie die blinden Kräfte des Konkurrenz- und Wachstumszwangs. Der Appell z.B. aus FFF, sich an „der Wissenschaft“ zu orientieren, kann nur verhallen. Der metabolische Riss ist nur reparabel, wenn die stofflichen Grenzen des Planeten in die bewusste Planung von Produktion und Verbrauch einbezogen werden, wenn das Wachstum beim Verbrauch von Rohstoffen und den Emissionen endet und eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft durchgesetzt wird.
Das 1,5-Grad-Ziel ist bereits nicht mehr zu halten, die Erde wird sich stärker erwärmen. Es ist keineswegs „zu spät“, der Planet reicht noch immer für die menschliche Zivilisation. Allerdings tickt die Uhr. Je später die Emissionen zurückgefahren werden, desto massiver die Auswirkungen. Kipppunkte wie Veränderungen der atlantischen Meeresströmungen oder das Auftauen des Permafrosts würden die Erhitzung auf neue Werte katapultieren
Es ist absehbar, dass sich die Menschheit auf eine im Sommer eisfreie Arktis, auf steigende Meeresspiegel und darauf einrichten muss, dass ganze Regionen wegen der Hitze unbewohnbar werden. Maßnahmen wie Hochwasserschutz und das Verlassen von einigen Regionen sind nicht mehr vermeidbar.
Konkurrenz führt zur Klimakrise führt zur Konkurrenz
Zunächst sind nicht die Hitze oder die Extremwetter selbst die größten Risiken für unser Leben und unsere Gesundheit, sondern die daraus resultierenden gesellschaftlichen Konflikte – imperialistische Konkurrenz um die neuen Rohstoffe des „grünen Kapitalismus“, Fluchtbewegungen, Hunger, Armut, nationale Abschottung, Rassismus und im Endeffekt die Intensivierung imperialistischer Kriege.
Ist das Kapital organisch unfähig, den metabolischen Riss zu kitten? Ist der Zwang zur Kapitalverwertung so stark, dass die Kapitalist*innen ihre eigene Stabilität oder gar Existenz untergraben? Kohei Saito merkt an, dass auch das Kapital sehr elastisch sei; es ließe sich nicht exakt sagen, ob erst der Kapitalismus oder die Erde kollabiere. Saito hält es für möglich, dass weite Teile der Erde unbewohnbar werden, aber das Kapital im globalen Norden durchaus weitermachen könnte.
Es führt kein Weg an der Enteignung der privaten Konzerne und deren demokratischer Vergesellschaftung vorbei. Eine Revolution für das Klima und damit menschenwürdiges Leben ist notwendig, eine Revolution, welche die Wirtschaft vom Kopf auf die Füße und die Deckung der Bedürfnisse der Menschheit in den Mittelpunkt stellt. Es wird auch neue technologische Lösungen geben, wenn Wissenschaft und Forschung von kapitalistischen Zwängen befreit sind. Entscheidend sind jedoch das Kitten des metabolischen Risses und die Nachhaltigkeit, das Produzieren und Konsumieren ohne Zerstörung.
Produktiv- und Destruktivkräfte
Saito weist zu Recht darauf hin, dass eine sozialistische Wirtschaft nicht einfach per Vergesellschaftung die Produktionsmittel übernehmen und an der kapitalistischen Produktivkraftentwicklung anknüpfen kann. Diese hat auch zerstörerische Praktiken geschaffen, die nicht allein durch eine Vergesellschaftung aufgehoben werden können, z.B. Atomkraft, Massentierhaltung, die Methoden der industriellen Landwirtschaft. Es wird Bereiche geben, in denen der Sozialismus nicht an der höchsten Produktivkraft-Entfaltung durch Technisierung anknüpfen kann. Statt effektiver automatisierter Wegwerf-Produktion muss mehr menschliche Arbeitskraft in Reparatur und Erhalt gesteckt werden Auch in der Landwirtschaft wird es sinnvoll sein, wieder personalintensiver und „unproduktiver“ zu arbeiten.
Allerdings entwickelt Saito eine Tendenz, das Kind mit dem Bade auszuschütten, skeptisch gegenüber jeder technologischen Lösung zu sein und sich den nachhaltigen Kommunismus überwiegend als Rückbau zentralisierter Großproduktion mit starken Elementen vorkapitalistischer Produktion vorzustellen.
Richtig ist, dass Prozesse, die heute stark zentralisiert laufen, weil das im Sinne der Kapitalverwertung ist, besser dezentralisiert würden, z.B. die Energieerzeugung. Gleichzeitig ist es nicht sinnvoll, Kleinteiligkeit, Rückbau und Geringschätzung technologischer Lösungen zum Prinzip zu erheben, was bei ihm an einigen Stellen der Fall zu sein scheint.
Auf philosophischer Ebene schießt er gegen den angeblich schon durch Marx selbst ad acta gelegten Historischen Materialismus, den er nicht als lebendige Analyse-Methode begreift, sondern als deterministisch-produktivistische Festlegung missversteht. Saito macht auf die Entwicklung von Marx selbst aufmerksam, der in seinen frühen Schriften die Wucht der kapitalistische Produktivkraftentwicklung preist und mit dem Sozialismus daran anknüpfen will, aber später, im unfertigen Band III des Kapitals, die zerstörerischen Potenziale für Mensch und Umwelt in den Vordergrund rückt.
Es ist korrekt, dass Marx seine Positionen weiterentwickelt hat, aber Saito macht daraus einen Widerspruch, bewegt sich sogar in die Richtung der vormarxistischen utopischen Sozialist*innen, stellt in Frage, dass der Kapitalismus die Voraussetzungen für seine eigene Aufhebung geschaffen hat. Tatsächlich sind jedoch beide Ansätze von Marx wichtig und richtig: der Kapitalismus hat die materiellen Voraussetzungen für den Kommunismus geschaffen, gleichzeitig jedoch eine weitgehend destruktive Logik der Produktivkräfte und des Wachstums, die wir im Sozialismus nicht übernehmen können.
Für Saito beginnt der „Sündenfall“ mit Engels. Dieser würde den Unterschied zwischen der Dialektik der Gesellschaft und der Dialektik der Natur verwischen und bei einem Fortschrittsglauben landen, der am kapitalistischen Verständnis von Produktivkraftentwicklung klebe. Der offizielle Marxismus hätte Engels Position übernommen, dies zeige sich am Handeln der Sozialdemokratie und der der Sowjetunion. Nur wenige Marxist*innen wie die Ungarn Meszaros und Lukacs oder John Bellamy Foster hätten Marx in dieser Frage verstanden.
Analyse des Stalinismus
Saito kennt sich gut mit Marx’ Schriften aus und ist ein innovativer Denker. Allerdings scheint er sich wenig mit der Frage zu beschäftigen, wie Ideen zu einer materiellen Kraft werden, wie Klassenkämpfe und Bewegungen sich entwickeln, wie Macht erkämpft und ausgeübt wird. Das wird deutlich bei seiner Beweisführung bezüglich der Sowjetunion. Er verwechselt die Praxis der bürokratischen Planwirtschaften stalinistischen Typs mit „dem Marxismus“. Saito argumentiert ideologiekritisch und unterzieht weder die sozialdemokratische Kapitulation vor dem Kapital noch den Stalinismus einer soziologischen Analyse.
Die Fehlentwicklungen der bürokratischen Diktaturen in Osteuropa z.B. im ökologischen Bereich waren jedoch nicht der Ausdruck eines falsch interpretierten Marxismus, sondern Ergebnis der Isolation zunächst der Sowjetunion, die zur Entstehung einer herausgehobenen bürokratischen Kaste mit eigenen materiellen Interessen führte. Die herrschende Bürokratie bewältigte zwar das Nachholen der Industrialisierung – unter enormen menschlichen Kosten -,wirkte aber als zunächst relative und später als absolute Grenze der Entwicklung einer effizienten und nachhaltigen Planwirtschaft, bis hin zum ökonomischen Kollaps der Systeme. Eine sozialistische Entwicklung auch unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit erfordert hingegen die Demokratie der Produzierenden auf allen Ebenen.
Saito polemisiert in seinen Schriften gegen den Slogan vom „Voll automatisierten Luxus-Kommunismus“ und spricht sich für den „Degrowth-Kommunismus“ aus. Den Begriff „Degrowth“ halten wir für problematisch, da er auch im Kontext der Debatte, die Massen müssten lernen zu verzichten, benutzt wird. In einer Online-Veranstaltung der Rosa-Luxemburg-Stiftung Ende 2023 merkte Saito auch selbst an, dass der Begriff „Degrowth“ wohl doch nicht zutreffend sei – schließlich wolle er keinen Verzicht predigen, und in manchen Bereichen, z.B. beim Aufbau klimaneutraler Produktion, müsse es sogar ein gewaltiges Wachstum geben.
Über die Frage, was „Degrowth-Kommunismus“ bedeuten soll, ob es der passende Begriff ist oder mehr Verwirrung schafft, und wie viel wir aus der kapitalistischen Produktivkraft-Entwicklung übernehmen können, werden wir weiter debattieren. Saitos Schriften sind insgesamt wertvolle Diskussionsbeiträge zur Weiterentwicklung des Marxismus, ohne dass wir allen Ideen zustimmen.
Er betont, dass es notwendig sei, „sich aus Marxscher Perspektive eine klare, helle Zukunft zu entwerfen, ohne angesichts der globalen ökologischen Krise in die Falle von Pessimismus und apokalyptischen Ideen zu tappen.“ Damit stimmen wir überein.
Bild: Manchester from Kersal Moor, with rustic figures and goats. William Wyld, 1852