Vierzehn Jahre lang wurde das Vereinigte Königreich von den konservativen Tories regiert. Die Bilanz ist verheerend. Kürzungen haben das komplette Sozialsystem an den Rand des Zusammenbruchs gebracht, der von den Herrschenden nicht gewollte und dann katastrophal gemanagte Brexit bedeutete absolutes Chaos, dem dann noch die ungebremste Pandemie und die eine schwere Wirtschaftskrise folgte. Das Ablenkungsmanöver von Rishi „Rich“ Sunak, mit dem Finger auf Geflüchtete zu zeigen, ging am Ende nicht auf. Die Tories sind am Ende, und Labour wird die nächsten Jahre regieren. Viele Brit*innen feiern. Aber die Enttäuschung ist ebenso vorprogrammiert, wie der Sieg Keir Starmers es war.
Von Sebastian Rave, Bremen
Es ist keine Überraschung: Keir Starmer wird neuer britischer Premierminister. Aber nicht, weil die Wähler*innen überzeugt von dem Programm seiner Labour-Party gewesen wären. Seine größte Qualität war, nicht zu den Tories zu gehören. Eine halbe Million Menschen weniger haben Labour gewählt als unter dem ausgeschlossenen Parteilinken Corbyn. Die Wahlbeteiligung ist deutlich gesunken. Unter dem undemokratischen britischen Wahlsystem reicht Labour ein Drittel der Stimmen für fast zwei Drittel der Sitze. Konservative Wähler*innen sind von den Tories zur rechten „Reform-Partei“ von Brexiteer Nigel Farage übergelaufen, der sich als “Britischer Trump” präsentiert und 14% der Wähler*innen hinter sich versammeln konnte. Die rechte Gefahr ist damit auch in Großbritannien angekommen. Obdie Tories – seit dem 19. Jahrhundert die Lieblingspartei der britischen Herrschenden – als Reaktion auf die Niederlage noch weiter nach rechts gehen, vielleicht sogar ein Bündnis mit Farages Reform eingehen wird, bleibt offen.
Labour hat jetzt eine historische Mehrheit im Unterhaus. Die vielfachen Krisen (Kommunen stehen vor der Pleite, das Gesundheitssystems NHS ist ebenso am bröckeln wie der öffentliche Dienst und die Infrastruktur, der öffentliche Haushalt ist am Ende während die Lebenshaltungskosten erdrückend sind) könnten nur gelöst werden, wenn die neue Regierung sich mit den Banken und Konzernen anlegen würde. Starmer steht aber für die Rückkehr zum neoliberalen Kurs der Labour-Regierungen von 1997-2010. Im Wahlkampf wurde er nicht müde, dem britischen Kapital zu versichern, dass ihre Interessen unangetastet bleiben werden. Großbritannien unter Labour bleibt der Unterstützung der Kriege in Gaza und in der Ukraine verpflichtet und wird weiter gegen Geflüchtete vorgehen, wenn auch ohne teure rassistische Exzesse wie die geplanten Deportationen nach Ruanda.
Den Siegesfeiern der von den Tories gebeutelten einfachen Menschen in Großbritannien wird also früher oder später der Kater folgen. In den zukünftigen Kämpfen gegen die Fortsetzung der Kürzungspolitik muss eine linke Kraft aufgebaut werden, die Labour herausfordern kann. Millionen haben für die Grünen gestimmt, die mit einem linken Programm 6,8%, das beste Wahlergebnis ihrer Geschichte, erzielten. Der wegen seiner linken und antiimperialistischen Positionen aus Labour ausgeschlossene Ex-Vorsitzende Jeremy Corbyn hat seinen Wahlkreis mit großer Mehrheit gewonnen. Die Wut muslimischer Communities über den pro-Israel-Kurs von Labour war in vielen Wahlkreisen spürbar. Neben Corbyn konnten sich drei weitere parteiunabhängige, antirassistische und Palästina-solidarische Kandidat*innen durchsetzen.
Das Potenzial für eine linke Kraft ist vorhanden. Unsere Schwesterorganisation in England, Wales und Schottland, Socialist Alternative, setzt sich für eine Konferenz von Gewerkschafter*innen, Antikriegsaktivist*innen, Feminist*innen, Antirassist*innen und linken Gruppen ein, um die Gründung einer neuen Partei zu diskutieren.