Seit Jahren tummelt sich in Neunkirchen-Seelscheid im südlichen Nordrhein-Westfalen eine rechte Szene. Anfang Juli brannte ein Restaurant, das von Menschen mit Migrationsgeschichte betrieben wurde. Die Inhaber*innen konnten sich nur durch einen Sprung aus dem ersten Stock retten. Ein lokales Bündnis rief daraufhin zu einer Menschenkette gegen rechte Gewalt auf.
Von Patrick Haas, Siegburg
Unter dem Motto “Zündet Kerzen an und keine Häuser” versammelten sich mehrere hundert Teilnehmende und bildeten eine Menschenkette von einer Bushaltestelle zum Restaurant “Im Park”. Beide Orte stehen symbolisch für die schon lange brodelnde rechte Szene, die vor allem in den kleineren Ortsteilen der Gemeinde nahezu ungestört präsent ist. Lokalpresse und Anwohner*innen berichten, dass es zwei Wochen vor dem Brandanschlag an der Bushaltestelle zu einer Auseinandersetzung zwischen Jugendlichen kam, bei der eine Schusswaffe zum Einsatz gekommen und rechte Parolen gerufen worden sein sollen.
Spitze des Eisberges
Als die Menschenkette aufgelöst wurde und die Demonstrationsteilnehmer*innen sich am ausgebrannten Restaurant mit dem aufgesprühten Schriftzug “Ausland raus” (Fehler im Original) einfanden, wurden sie hinter vorgehaltener Hand deutlicher. Insbesondere in den kleineren Orten der 59 Teile umfassenden Gemeinde sind rechte Parolen, Szenekleidung und sogar Naziparties keine Seltenheit. Es scheint für die extreme Rechte möglich, an bestehenden strukturkonservativen Wertvorstellungen anzuschließen und diese als Steigbügel zu nutzen. Dies und die enge Verbindung in lokalen Vereinen begünstigen eine sich selbst bestärkende rechte Szene, die nunmehr auch bereit ist, zu terroristischen Akten überzugehen.
Hierzu passt auch, dass die lokale AfD Hausbesuche organisiert und linke Veranstaltungen offensiv stört. In den kleinen Orten zeigt sich die rechte Gefahr im Brennglas: Überall, wo es die politische Linke nicht schafft, Gegenwehr auf einer programmatischen Grundlage und klarer Haltung aufzubauen, hat die extreme Rechte leichtes Spiel.
Menschenketten reichen nicht
Wenn um 17 Uhr werktags in einem 20.000 Einwohner*innen zählenden Ort trotz Regenwetter mehrere hundert Menschen auf die Straße gehen, ist das eine beeindruckende Mobilisierung. Das Momentum verpufft jedoch, wenn es sich nur in moralischen Appellen entlädt. Denn die politische Realität zeigt in jeder Frage ihre Doppelmoral: Seien es Kürzungen in den Sozialleistungen, der Überbietungswettbewerb, den Geflüchteten ihre Rechte zu nehmen oder, am offensichtlichsten, in den engen Verbindungen zwischen Verfassungsschutz, Polizei und rechten Akteur*innen. Der gemeinsame Nenner dieser Doppelmoral ist die künstliche Spaltung der Menschen anhand absurder Kriterien wie Nationalität, Herkunft, Religion, um sie vom Kampf gegen echte Probleme abzulenken und so den Konzernen weiterhin ihre Profite zu ermöglichen. Notwendig ist der Aufbau einer Bewegung, die de politischen Spielraum der AfD und ihrer rechten Verbündeten einschränkt, ihnen die Straße nimmt und schlussendlich klarmacht: Wer von Antifaschismus spricht, darf vom Kapitalismus nicht schweigen.