Die sozialdemokratische Liebe zur Pharmaindustrie

Lauterbachs Vergangenheit, Verstrickungen und seine aktuelle Agenda

In den letzten Wochen ist Karl Lauterbach sowohl durch die Pläne, die zwischen Krankenkassen und Pharmaunternehmen vereinbarten Preise künftig geheimzuhalten, als auch durch das „Gesundes-Herz-Gesetz“ aufgefallen, in dem vorgesehen ist, Statine – also cholesterinsenkende Medikamente – auch an Kinder zu verschreiben.

von Viktor, Berlin

Zum jetzigen Zeitpunkt durchlaufen Arzneimittel, bevor sie als Kassenleistung übernommen werden, eine Nutzenbewertung durch Fachgremien, die dann in den erstattungsfähigen Kosten abgebildet wird. Vereinfacht gesagt vereinbaren die Krankenkassen mit der Pharmaindustrie einen hohen Preis, wenn beispielsweise ein bahnbrechendes Medikament auf den Markt kommt, welches eine bisher unheilbare Erkrankung heilen kann. Andersherum wird ein vermeintlich neues Medikament, welches keinen Zusatznutzen gegenüber jahrzehntelang erhältlichen Generika nachweisen kann, nur einen den bisher verfügbaren Präparaten gleichen Preis erzielen. Das ist ein sinnvolles Verfahren, welches die Beitragszahler*innen vor Pseudoinnovationen der Pharmaindustrie schützt. Da andere Länder in der EU vermehrt auf die in Deutschland ausgehandelten Preise schauen, bevor sie selbst in die Verhandlungen gehen, ist es der profitinteressierten Pharmaindustrie aber ein Dorn im Auge.

Vor sieben Jahren gab es bereits einen Vorstoß unter Hermann Gröhe (CDU), diese Preisverhandlung von Gesetzes wegen der Geheimhaltung zu unterziehen, der damals unter anderem am Widerstand von Karl Lauterbach scheiterte. Nun, selbst im Amt, vollzieht er eine 180°-Wende und setzt sich mit Kanzler Olaf Scholz für genau ein solches Gesetz ein – ein Gesetz welches europaweit absehbar eine Umverteilung von Milliarden aus den Taschen der Beitragszahler*innen in die Kassen der Aktionär*innen der Pharmaindustrie zur Folge haben wird.

Gesundes-Herz-Gesetz

Ebenfalls in der politischen Sommerpause wurde der Referentenentwurf für das „Gesundes-Herz-Gesetz“ öffentlich. Angesichts der hohen Todeszahlen durch Herz-Kreislauferkrankungen ist jede Initiative, diesen sinnvoll vorzubeugen, zu begrüßen. Um eine solche handelt es sich jedoch nicht. Dieser Gesetzentwurf konzentriert sich – an den für die Nutzenbewertung zuständigen Strukturen vorbei – darauf, Statine (cholesterinsenkende Medikamente) und Medikamente, die die Tabakentwöhnung erleichtern sollen, weitaus breiter zu verschreiben. 

Eine rein medikamentöse Intervention ist beim Thema Herz-Kreislauf Erkrankungen nach dem aktuellen Kenntnisstand der Medizin bedingt zielführend, da neben genetischen Faktoren wie angeborenen Fettstoffwechselstörungen eine große Menge „Lebensstilfaktoren“ wie Bewegungsmangel, Übergewicht oder Diabetes (Typ 2) durch ein nicht-pharmakologisches Eingreifen beeinflussbar sind. Ebenso kommt bei der Rauchentwöhnung einer Unterstützung durch Medikamente eine untergeordnete Rolle zu. Im Nachschlagwerk „Bittere Pillen“ wird allenfalls eine bedingte Empfehlung zu Nikotinersatzprodukten ausgesprochen, andere für diesen Zweck angebotene Medikamente versagen in der Nutzen-Risiko Bewertung komplett. Einen Ausbau der psychotherapeutischen Angebote zur Suchtentwöhnung plant das „Gesundes-Herz-Gesetz“ jedoch genauso wenig wie Schul- und Betriebskantinen mit einem gesundem Essensangebot und der Förderung von Bewegung durch Verbesserung des Sportunterrichts in der Schule, Freizeitangebote oder Betriebssport – wobei dies im Gegensatz zur Nutzenbewertung von Arzneimitteln eine originär bei der Politik angesiedelte Aufgabe wäre.

Gesundes Essen und Bewegung

Der Gipfel des Entwurfs besteht darin, Untersuchungen zur Früherkennung einer Fettstoffwechselerkrankung bei 12-Jährigen vorzuschlagen, um diese schnellstmöglich mit Statinen versorgen zu können. Einer kritischen Bewertung diesen Vorschlags widmete sich ein Artikel der Fachzeitschrift arznei-telegramm 08/24, der zum Schluss kommt, dass: „zu Nutzen und Schaden eines Screening auf Fettstoffwechselstörungen bei unter 20-Jährigen keine direkte Evidenz vorliegt […] die einzige im GHG-Entwurf zitierte Untersuchung zum angeblichen Nutzen von Statinen bei Kindern mit familiärer Hypercholesterinämie (…) [ist] falsch wiedergegeben [und kann] als Beobachtungsstudie schon rein methodisch nicht als Beleg für Nutzen und Sicherheit dienen.“ 

Eine Binsenweisheit der Medizin ist, dass alles, was eine Wirkung hat, auch Nebenwirkungen mit sich bringt. Bei den im Fokus stehenden Statinen ist dies insbesondere die gefürchtete Nebenwirkung einer Rhabdomyolyse – also einer Zersetzung von Muskelgewebe mit folgendem akuten Nierenversagen. Ein Krankheitsbild, welches durchaus zu einem längeren intensivmedizinischen Aufenthalt oder sogar Tod führen kann. Da Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene jedoch in aller Regel nicht an Arteriosklerose – also der Verkalkung von Blutgefäßen, die in einem stark fortgeschrittenen Stadium zu einem Herzinfarkt oder Schlaganfall führen kann – leiden, ist der Nutzen einer solchen medikamentösen Intervention in dieser Altersgruppe fragwürdig. Das Risiko bleibt aber, unabhängig vom Nutzen.

Lauterbach und die Statine

Einem Herrn Lauterbach kann dieses Risiko nicht unbekannt sein, zum einen aus seinem Studium der Humanmedizin. Zum anderen jedoch auch, da er an den durch Bayer durchgeführten Studien zum im August 2001 vom Markt genommenen Medikament Lipobay (Cerivastatin) – welches in einem für Statine überdurchschnittlichen Maße zu Rhabdomyolysen führte – beteiligt war und entsprechend finanziell entlohnt wurde. So schreibt der Spiegel im März 2004

„Dabei war [Karl Lauterbach] vor wenigen Jahren noch dafür bekannt, dass er im Auftrag der Pharmaindustrie Medikamentenstudien durchführte. Über 800 000 Euro an Drittmitteln heimste er dafür allein im Jahr 2000 ein. So war er auch an einer Studie über den Fettsenker Lipobay beteiligt – jenem Medikament, das die Herstellerfirma Bayer wegen tödlicher Zwischenfälle im Jahr 2001 vom Markt nahm. Die frühen Hinweise darauf, dass Lipobay möglicherweise gefährlich war, nahm Lauterbach damals ebenso wenig wahr, wie es seine Auftraggeber taten.“ ( )

Wie es um seine aktuellen Nebeneinkünfte aussieht, ist indes schwer zu sagen. Als Nebentätigkeit werden auf abgeordnetenwatch.de lediglich seine Universitätsprofessur, die eigene publizistische Tätigkeit im Rowohlt Berlin Verlag und eine bis 2022 bestehende ehrenamtliche Mitgliedschaft im Stiftungsrat der Muhanna-Stiftung angegeben. Auffallend ist, dass keine einzige der 730 gestellten Fragen auf abgeordnetenwatch beantwortet wurde. Durch Transparenz, was die Nebeneinkünfte angeht fiel Herr Lauterbach auch in der Vergangenheit nicht auf: So schreibt abgeordnetenwatch bereits 2011, dass Herr Lauterbach – auf mehrfache schriftliche Nachfrage – keine konkreten Angaben zu seinen Aufsichtsratsbezügen in der Rhön-Klinikum AG machte. Zehn Jahre später erklärte er der Presse gegenüber bezüglich der nicht an die Bundestagsverwaltung gemeldeten Nebeneinkünfte „Dabei ist meinem Team aufgefallen, dass in der gesamten Legislaturperiode noch keine einzige Nebeneinkunft beim Bundestag gemeldet wurde […] Es habe wohl ein Missverständnis bei der Zuständigkeit gegeben.“)

Weiterhin interessant ist eine Beobachtung, die der investigativ tätige youtuber „Der Dunkle Parabelritter“ in seinem sehenswerten Bericht „Karl Lauterbach exposed – Der Wolf im Schafspelz“ wiedergibt: Kritische Quellen über Lauterbach sind regelmäßig nicht mehr an der ursprünglichen veröffentlichenden Internetseite auffindbar. Ein Schelm, wer eine finanzkräftige Lobby und eine gut bezahlte Anwaltskanzlei unterstellt …

Bild: Heinrich-Böll-Stiftung (CC BY-SA 2.0), Montage: sozialismus.org