Zeit für was Neues: Rot statt Grün

Die Grüne Jugend spaltet sich, ein Teil hat wegen der rechten Politik der Grünen die Partei verlassen. Die Ausgetretenen, die unter dem Label „Zeit für was Neues“ auftreten, wollen einen neuen Jugendverband gründen und zum Aufbau einer „starken linken Partei“ beitragen.

Das zeigt, dass selbst in Zeiten des Rechtsrucks auf parlamentarischer Ebene, Dynamiken nach links möglich sind. Manche werden auf den ersten Blick verwundert sein: In den Statements des neuen Projekts und der Beteiligten, darunter neben dem Bundesvorstand viele Landesvorstandsmitglieder der Grünen Jugend, tauchen zahlreiche Bezüge zu sozialen Fragen und Arbeitskämpfen auf, der Kapitalismus wird kritisiert, es ist von „Klassenpolitik“ die Rede – das klingt überhaupt nicht nach Leuten, die Anfang der Woche noch Grüne waren.

Doch wer in den letzten Jahren Beiträge der Grünen Jugend auf Demos und in Bündnissen wie „Wir fahren zusammen“ gehört hat, ist nicht überrascht über diese Entwicklung. Führende Mitglieder der GJ verwendeten ein sozialistisches Vokabular und nannten als Ziel, mit Bildungsarbeit Klassenbewusstsein zu schaffen – nicht unter grünen Kapitalist*innen oder Kleinbürger*innen, sondern unter Menschen aus der Arbeiter*innenklasse.

Dementsprechend weit wirkte der Jugendverband oft von der Mutterpartei entfernt, die Nähe zu den Grünen schien eher durch finanzielle und strukturelle Abhängigkeit als durch inhaltliche Übereinstimmungen begründet. Bundesvorstandsmitglieder der GJ bekundeten im Gespräch eine politische Nähe zum Linke-Studierenverband SDS, aber verwiesen darauf, dass sie möglichst viele Leute, die in der Grünen Jugend aktiv sind, mitnehmen wollen.

Positives Signal

Es ist gut, wenn hunderte, vielleicht sogar tausende, junge Menschen zu der Erkenntnis kommen, dass sie eine starke linke Partei brauchen. Noch besser, dass sie mit großer medialer Reichweite klar sagen, dass die Grünen für linke Politik verloren sind. Das ist allerdings schon lange offensichtlich. Die Erklärung „Es braucht etwas Neues“ hätte zu großen Teilen schon vor 20 Jahren geschrieben werden können, als die Grünen der Bombardierung Jugoslawiens zustimmten sowie Hartz IV und den Niedriglohnsektor einführen.

Aber auch in Zeiten des krassesten Rechtsrucks und der Anpassung der Grünen an SPD, FDP und bald die CDU gibt es immer noch Menschen, die diese Partei als „kleinstes Übel“ wählen und glauben, die Entwicklung zu mehr Rassismus und Reaktion so zu bremsen. Manchen von ihnen öffnet die medial viel beachtete Abspaltung vielleicht die Augen. In Zeiten, in denen antirassistische Positionen und Kritik an Sozialabbau-Plänen in bürgerlichen Medien kaum noch stattfinden, haben die Statements des bisherigen GJ-Vorstands sie für einen Moment wieder sichtbar gemacht. Die geplante Jugendorganisation kann ein Angebot für junge Menschen schaffen, die aktiv werden und eine neue, dynamische linke Kraft mit aufbauen wollen.


Ab in die Linke?

Auf welchem Weg die ehemaligen Grünen Jugendlichen dahin kommen wollen, ist noch nicht klar. In den letzten Tagen wurde viel über das „Vorbild Österreich“ spekuliert – also einen Übertritt zur Linken, ähnlich dem Wechsel der österreichischen Jungen Grünen zur KPÖ 2017. Vieles spricht dafür. Die Forderungen und Statements von „Zeit für etwas Neues“ könnten genau so aus der Partei Die Linke kommen.  Ein kritisch-solidarischer Wahlaufruf des neuen Projekts für Die Linke, könnte dazu beitragen, die Chancen zu erhöhen, bei zukünftigen Wahlen über die 5%-Hürde zu kommen.Es ist folgerichtig, dass die bisherige GJ-Bundessprecherin Katharina Stolla davon spricht „auszuloten, wie die Möglichkeiten einer Zusammenarbeit mit der Linkspartei sind.“ Sie verweist aber auch auf die Schwäche der Linken und gibt an, zunächst den „Erneuerungsprozess“ der Partei beobachten zu wollen.

Von bürgerlichen Journalist*innen bis zu Marxist*innen halten viele den Namen „Die Linke“ für verbrannt, den Niedergang der Partei für endgültig und unaufhaltsam. Daher kann es auch sein, dass die Aktiven aus der Grünen Jugend die Entwicklung beobachten und in Richtung einer neuen Partei gehen.

In der Praxis ist das aber nicht so einfach. Linke und ökologische Parteigründungsprojekte wie Mera25 und die Klimaliste konnten in den letzten Jahren keine „kritische Masse“ erreichen. Es wäre illusorisch zu hoffen, dass die momentan starke Medienpräsenz der Ex-Grünen bis zur Gründung einer neuen Partei und zu ersten Wahlantritten anhält.

Der Aufbau einer  Massenpartei mit zehntausenden Mitgliedern, die durch eigene Aktivität in der Fläche wahrnehmbar wäre, ist unwahrscheinlich. Es wären umfassende, länger anhaltende  Kämpfe nötig – etwa eine Bewegung gegen Sozialabbau und Aufrüstung oder ein gemeinsamer Abwehrkampf gegen Unterdrückung und Rechtsruck mit klarer Kritik am Bestehenden und weitreichenden Forderungen, um die Grundlage für den Aufbau einer völlig neuen linken Partei zu schaffen. Zuletzt gab es so eine Situation in Deutschland 2004, als aus den anhaltenden Protesten gegen Hartz IV die WASG hervorging, die Vorgängerpartei der Linken in Westdeutschland.

Offene Fragen: Krieg und Kapitalismus

Inhaltlich scheint es zwischen der Linken und „Zeit für was Neues“ auf den ersten Blick kaum Unterschiede zu geben, zumal die Linke als pluralistische Partei letztlich allen offensteht, die sich selbst links von SPD und Grünen verorten, von Kommunist*innen bis zu Bodo Ramelow. Während des Aufstieges der Linken wurde diese Breite von den meisten als Stärke der Partei wahrgenommen. Inzwischen haben die inhaltlichen Unterschiede dazu geführt, dass die Linke weitgehend gelähmt ist. Besonders die gegensätzlichen Haltungen zum deutschen und US-Imperialismus und den Kriegen in der Ukraine und Gaza werden im Vorfeld des Bundesparteitags im Oktober diskutiert.

Dahinter stehen generelle Differenzen darüber, welche Gesellschaft die Partei anstreben soll – eine sozialistische, die den Kapitalismus überwindet oder eine „bessere“ Form der bürgerlichen Demokratie, in der die Linke mit SPD und Grünen regiert und versucht, den kapitalistischen Staat möglichst sozial und menschenfreundlich zu verwalten. Der Ansatz des Regierens und “Mitgestaltens” des Kapitalismus ist gescheitert, nicht zuletzt in Thüringen, wo jetzt AfD und CDU die stärksten Parteien sind. Doch die Vertreter*innen dieses Konzepts halten weiter verzweifelt daran fest, Die Linke an die etablierten Parteien zu ketten, jetzt begründet als notwendige “Einheitsfront” aller Parteien gegen die AfD.

Dass die Aktiven der Grünen Jugend es so lange in dieser Partei ausgehalten haben, lässt vermuten, dass sie keinen hohen Leidensdruck bezüglich der deutschen Unterstützung von Israels genozidalem Krieg in Gaza oder der Rolle der NATO in der Ukraine hatten. In ihrem Statement zum Abschied von den Grünen spielen diese zentralen Fragen keine Rolle, lediglich das 100-Milliarden-Paket zur Aufrüstung wird kritisiert.  

Klarheit in diesen Fragen ist allerdings notwendig, wenn die ehemaligen Mitglieder GJ ihre Klassenperspektive umsetzen wollen. Sonst würde ihr Eintritt in die Linke gerade die Kräfte in der Partei stärken, die das Gegenteil wollen – weitere Anpassung und Verzicht auf Klassenpolitik. 

Es bleibt zu hoffen, dass sie nicht nur mit der Grünen Partei, sondern auch mit Positionen der Grünen Jugend wie der Parteinahme für den israelischen Staat gegen die Palästinenser*innen oder der Fixierung auf vermeintlich „fortschrittliche“ Regierungsmehrheiten mit bürgerlichen Parteien gebrochen haben.

Wenn sie diesen Ballast abwerfen und es ernst damit meinen, „sich gegen ein System zu wehren, das […] die Gleichheit der Menschen systematisch untergräbt und uns mit voller Wucht in die Klimakrise katapultiert“, können sie eine positive Rolle dabei spielen, einen starken linken Jugendverband und eine linke Partei mit aufzubauen.