Nigeria: Todesstrafe droht weiterhin – verteidigt Daniel Akande

Protest in Lagos, 1.10.24

Beim Prozess in Abuja am Freitag, dem 27. September, wurde Daniel Akande, Mitglied der MSA (Movement for a Socialist Alternative, ISA in Nigeria), als elfter Aktivist wegen Hochverrats angeklagt, was zur Todesstrafe führen könnte. Das unterstreicht, wie ernst die Kampagne zur Unterstützung von Daniel Akande und anderen Aktivist*innen ist. Medien haben auch über Folterung von Inhaftierten berichtet. Sie müssen alle freigelassen werden, die Anklagen müssen fallen gelassen werden!

Beim ersten Prozess am 2. September wurden zehn im August Verhaftete angeklagt. Sie plädierten auf “nicht schuldig” in den Anklagepunkten Verschwörung zum Verrat, Versuch der Destabilisierung Nigerias, Versuch der Absetzung des Präsidenten, Krieg gegen die Regierung und Anstiftung zur Meuterei.

Für die Bevölkerung ist die Situation aufgrund der von der Regierung Tinubu eingeführten Preiserhöhungen für Kraftstoff, Lebensmittel und Transport unerträglich. Die Menschen antworteten darauf mit Streiks und Protesten. Daniel und die anderen zehn Aktivist*innen stehen wegen ihrer Rolle bei den massiven Protesten unter dem Slogan #EndBadGovernance  Anfang August vor Gericht. Auch Gewerkschaften werden seitens der Regierung angegriffen und der “Finanzierung des Terrorismus” beschuldigt. Neue Proteste sind geplant.

Am Rande des Prozesses am 27. September erklärte Daniel Akande laut der Nachrichtenseite Sahara Reporters: „Die Angeklagten plädierten auf nicht schuldig, als ihnen die Anklage in acht Punkten verlesen wurde.“ Nach ihren Plädoyers wurde der Prozess vertagt. Der Antrag auf Kaution wird am 4. Oktober verhandelt und der Hauptprozess soll am 11. November beginnen.

Die Schwäche der Anschuldigungen sind offensichtlich. Die Anwälte der Angeklagten kritisierten, dass die Staatsanwaltschaft es versäumt habe, den Parteien die Beweise zu übermitteln, auf die sich die Angeklagten berufen würden, oder die Liste der Zeug*innen, die sie benennen wollen. Sie fordern, dass „die schriftlichen Aussagen aller Zeugen, einschließlich der Polizei, und alle Dokumente vorgelegt werden müssen. Jedes Verfahren, das dem zuwiderläuft, macht den gesamten Prozess ungültig.“ (Sahara Reporters).

Am 27. September wurden gegen Daniel Akande die gleichen harten Kautionsauflagen wie gegen die zehn bereits zuvor angeklagten Aktivist*innen verhängt. Er muss 10 Millionen Naira (6000 Euro, das sind mehrere Jahresgehälter in Nigeria) zahlen, ein Grundstück in Abuja registrieren lassen und darf keine Interviews geben. Daniel wurde außerdem angewiesen, seinen Reisepass abzugeben. Bisher haben sieben der zehn die Kautionsauflagen erfüllt.

Interview mit einem nigerianischen Sozialisten

Von Socialist Alternative, USA

In den ersten zehn Tagen des Augusts kam es in ganz Nigeria zu einer Revolte der Jugend und der Arbeiter*innenklasse unter dem Motto #EndBadGovernance, bei der Millionen Menschen ihren Unmut über die Politik der Regierung unter Präsident Tinubu in Bezug auf Löhne und Preiserhöhungen zum Ausdruck brachten. Da es keine Führung durch die Gewerkschaften gab, nahmen einfache Arbeiter*innen und Jugendliche den Kampf auf. Dies ist Teil einer Welle junger Menschen in Afrika, die sich gegen unterdrückerische, wirtschaftsfreundliche Regime auflehnen, wie die Massenproteste in Kenia gezeigt haben.

Das Tinubu-Regime reagierte mit Massenverhaftungen von Arbeiter*innen, Jugendlichen, Sozialist*innen, Gewerkschafter*innen und Journalist*innen. Hunderte Menschen wurden verhaftet, weil sie an demokratischen Protesten gegen verheerende Lebensbedingungen und für bessere Löhne teilgenommen hatten.

Im Lauf der Geschichte hat der Imperialismus den afrikanischen Kontinent verwüstet, und die #EndBadGovernance-Proteste sind ein inspirierendes Beispiel für den Kampf der arbeitenden Menschen gegen die Auswirkungen imperialistischer Interessen. Heute, da die USA und China um die Kontrolle der Welt kämpfen, bekommen die Lohnabhängigen in den neokolonialen Ländern die volle Wucht zu spüren. Die nigerianische Regierung ist aufgrund der räuberischen Kredite des IWF an die westlichen Geschäftsinteressen gebunden und gezwungen, Preiserhöhungen und Steuern einzuführen. Der Kapitalismus ist ein internationales System, und das bedeutet, dass die Arbeiter*innen auf der ganzen Welt gemeinsame Feinde haben: die Bosse und die Großunternehmen.

Die International Socialist Alternative, zu der auch die SAV gehört, organisiert eine internationale Solidaritätskampagne, um die sofortige Freilassung der Hunderte von Verhafteten, darunter Daniel Akande, ein Mitglied der Bewegung für eine sozialistische Alternative (ISA in Nigeria), zu erreichen und die falsche Anklage wegen Hochverrats fallen zu lassen! Wir organisieren Mahnwachen, Treffen und Spendenaktionen. Wenn jemand vor Gericht gestellt werden sollte, dann das Tinubu-Regime und seine Sicherheitskräfte wegen des Verbrechens, 24 Demonstranten getötet zu haben. Wenn Sie einen Beitrag zu dieser Kampagne leisten möchten, senden Sie bitte eine PayPal-Spende an ekonomi@socialisterna.org.

Wir haben diese Entwicklungen mit Aj. Dagga Tolar, einem Mitglied der Bewegung für eine sozialistische Alternative (MSA), besprochen.

Frage: Warum hat die Regierung Daniel und andere Demonstrierende festnehmen lassen?

Antwort: Die Regierung hat Daniel Akande und zehn weitere Personen wegen angeblichen “Hochverrats” verhaftet. Hunderte weitere werden seit dem Protest im August noch immer von der Polizei festgehalten. Eine klare Repression, um die arbeitenden Massen zum Schweigen zu bringen, damit sie sich nicht gegen das Tinubu-Regime aussprechen. Die herrschende Klasse in Nigeria verbessert nichts, sondern verschlechtert die Lebensbedingungen der arbeitenden Massen.

Junge Arbeiter*innen, die gegen Hunger und schlechte Regierungsführung protestierten, konnten Millionen von Beschäftigten davon überzeugen, am ersten Tag der Proteste nicht zur Arbeit zu gehen. In den meisten Teilen des Landes gab es den ganzen Tag über nur wenig oder gar keinen Verkehr. Diese Unterstützung wird definitiv wachsen und kann als Referenz dienen, von der die arbeitende Bevölkerung lernen kann. Letztendlich werden wir weiter Richtung Abgrund treiben, wenn die Organisationen der Arbeiter*innenbewegung nicht die Führung und das Programm für die arbeitenden Massen bereitstellen, damit diese mutig versuchen können, den Kapitalismus zu beenden.

Was sagt dies über den Stand der Rede- und Versammlungsfreiheit in Nigeria aus?

Sie ist eindeutig in Gefahr! Es ist notwendig, den notwendigen Widerstand gegen diesen Angriff auf die demokratischen Rechte durch das Tinubu-Regime zu organisieren. Jugendliche aus der Arbeiter*innenklasse haben friedlich protestiert, um die Aufmerksamkeit der Regierung auf Hunger und Armut im Land zu lenken. Jetzt werden sie wegen Hochverrats vor Gericht gestellt, mit der Drohung der Todesstrafe. Das ist unglaublich. Sie waren nicht bewaffnet – das Einzige, was sie bei sich hatten, waren ihre Stimmen und Plakate!

Die derzeitige Regierung hat mehrere neoliberale Maßnahmen umgesetzt, darunter die jüngste Erhöhung der Kraftstoffpreise. Wie wird sich Ihrer Meinung nach diese Politik und die anschließende Unterdrückung von Protesten auf das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Regierung auswirken?

Das Regime hat seine Unterstützung im Land eindeutig verloren. Selbst im Kernland der Yoruba, wo Tinubu herkommt, wächst die Stimmung, dass er ein völliger Versager ist, und immer mehr Menschen werden zu demselben Schluss kommen. Es ist klar, dass sich die arbeitende Bevölkerung politisch organisieren muss, um das Tinubu-Regime zu stürzen. Und dafür werden sie eine politische Partei brauchen, die unabhängig von den derzeit zur Verfügung stehenden ist. Die Nigerian Labour Party (LP) ist dafür kein geeignetes Mittel. Ihr Präsidentschaftskandidat Peter Obi ist Milliardär und ist erst am Vorabend der Wahl zur LP übergelaufen, nachdem er es nicht geschafft hatte, die Nominierung der wichtigsten kapitalistischen Oppositionspartei, der People’s Democratic Party (PDP), zu erhalten.

Der Präsident des nigerianischen Gewerkschaftsbundes, Joe Ajaero, wurde kürzlich verhaftet. Welche Bedeutung hat dies?

Die Regierung möchte die Botschaft vermitteln, dass Gewerkschaften nicht das Recht haben, Jugendliche aus der Arbeiter*innenklasse und Demonstrierende, die nicht Mitglied der Gewerkschaften sind, solidarisch zu unterstützen. Sie versucht verzweifelt, die Gewerkschaftsführung für die Organisation und Finanzierung der Proteste im August verantwortlich zu machen, um eine Grundlage für ihre strafrechtliche Verfolgung zu schaffen. Und sie versucht, die Gewerkschaftsführer*innen davon abzuhalten, angesichts der wachsenden Unzufriedenheit und Wut der arbeitenden Massen über die sich verschlechternden Lebensbedingungen und eine weitere Erhöhung der Kraftstoffpreise die notwendige Führung zu übernehmen.

Die Regierung setzt die Polizei und die Sicherheitskräfte als Instrumente ein, um friedliche Proteste zu unterdrücken. Was ist Ihrer Meinung nach der effektivste Weg, um diese autoritären Taktiken in Frage zu stellen?

Indem man sich weiterhin den Maßnahmen widersetzt. Für den 1. Oktober wurde bereits eine weitere Protestrunde angekündigt. Die Mobilisierung ist im Gange, und wir rufen Arbeiter*innen und Jugendliche überall – auf dem Campus, in den Gemeinden – dazu auf, sich zu organisieren und auf die Straße zu gehen, um ihrem Unmut Ausdruck zu verleihen und gleichzeitig ihr demokratisches Recht auf Protest und Organisation als Klasse geltend zu machen.

Wie können die Menschen in Nigeria angesichts der Eskalation repressiver Maßnahmen wie der Anklage von Demonstrant*innen wegen “Hochverrats” oder “Terrorismus”, sicherstellen, dass legitime Beschwerden gehört werden, ohne Angst vor Verhaftung oder Schikanen haben zu müssen?

Die Menschen stehen bereits mit dem Rücken zur Wand. Die Gesetze des Landes scheinen nur für die wenigen Mitglieder der superreichen Klasse zu gelten, aber wir haben das Recht, uns rechtmäßig und friedlich zu organisieren, ohne Angst vor Verhaftung haben zu müssen! Die herrschende Klasse weiß, dass sie die arbeitenden Massen nicht länger mit der Lüge täuschen kann, dass sich die Dinge durch die neoliberale kapitalistische Agenda verbessern würden. Die Politik der Deregulierung und der Abwertung der Landeswährung, wie sie vom IWF und der Weltbank diktiert wurde, hat die Wirtschaft nicht wieder in Schwung gebracht. Nigeria ist in fast allen wichtigen Bereichen vollständig von Importen abhängig. Trotz riesiger Ressourcen an Öl haben wir keine funktionierenden Raffinerien. Das liegt daran, dass der Import von Kraftstoff den Ölkonzernen noch höhere Gewinne garantiert!

Wie in den USA, wo Republikaner und Demokraten regieren, unterscheiden sich die großen kapitalistischen Parteien hier nicht grundlegend voneinander. Sie ziehen an einem Strang und profitieren gemeinsam davon, das Leben der arbeitenden Massen zu ruinieren, um noch mehr Reichtum anzuhäufen.

Es besteht dringender Bedarf an einer unabhängigen politischen Partei, die mit einem sozialistischen Programm ausgestattet ist und dafür kämpft, den Würgegriff des Kapitalismus und Imperialismus zu brechen und den Reichtum und die Ressourcen des Landes freizugeben, um die Bedürfnisse aller zu befriedigen.

Wie können arbeitende und junge Menschen in den USA und anderswo die Demonstranten in Nigeria und ihren Kampf gegen die Unterdrückung unterstützen?

Wir appellieren an Menschenrechtsorganisationen, Gewerkschaften und Organisationen, die sich für die Interessen der arbeitenden Klasse einsetzen, die Ereignisse in Nigeria nicht zu ignorieren. Weisen Sie die Menschen auf die Ereignisse hier hin und sprechen Sie mit im Ausland lebenden Nigerianer*innen darüber. Wir brauchen hier Unterstützung in unserem Kampf gegen den Kapitalismus und dagegen, dass Nigeria weiter ein abhängiger Staat für die Produktion von Rohstoffen zur Versorgung der USA, Europas und Chinas ist.

Wir müssen auf internationaler Ebene verteidigen, dass es ein demokratisches Recht ist, friedlich zu protestieren und sich zu organisieren, indem wir die Freilassung der Verhafteten und die Einstellung der falschen und haltlosen Anklage wegen Hochverrats fordern. Daniel Akande muss sofort freigelassen werden! Die falschen Anklagen müssen fallen gelassen werden!