Die Linke macht sich Mut, spricht von Klassenkampf und beschließt einen Antrag zu Nahost, der eine Vertreterin des rechten, die Solidarität mit Gaza diffamierenden Flügels veranlasst, aus der Partei auszutreten. Drei Befürworter*innen von Waffenlieferungen an die Ukraine scheitern bei der Vorstandswahl. So weit, so gut. Doch reicht das, um die Partei aus ihrem Tief zu retten, für die Bundestagswahl 2025 aufzustellen und mittelfristig eine starke Linke aufzubauen?
Von Claus Ludwig, Köln
Die neuen Vorsitzenden Jan van Aken (63) und Ines Schwerdtner (35) präsentierten sich als Team, welches die Partei zusammenführen und Streits beenden will. Sie wurden mit einem guten Ergebnis gewählt. Van Aken sprach sich für eine “klassenkämpferische Linke” aus, die sich mit den “unanständig Reichen” anlegt. Schwerdtner sagte, sie sei als Sozialistin einer sozialistischen Partei beigetreten.
Die prominent platzierte Gastrednerin Sarah Lee-Heinrich, ehemals Bundessprecherin der Grünen Jugend, betonte die “Klassenfrage” und sprach zu Recht an, dass es keine Voraussetzung für den gemeinsamen Kampf sei, dass die Linke von Menschen, mit denen man gemeinsam kämpft, verlangt, in allen Punkten “politisch korrekt” sein müssen.
Es ist gut, dass Die Linke dem spalterischen rechten Kulturkampf den Klassenkampf entgegenstellen will, der das Potenzial hat, Deutsche und Migrant*innen, Frauen, Männer und Diverse, jung und alt, Ost und West auf sozialer Basis gegen die Herrschenden zu vereinen. Es ist gut, dass diejenigen, die vom Regieren und “Gestalten” reden, zumindest während des Parteitages diskursiv in der Defensive waren.
Für viele Mitglieder scheint das Beschwören der Klassenfrage allerdings auch eine Möglichkeit zu sein, sich den als schwierig empfundenen Debatten über Krieg und Militarismus zu entziehen. Das funktioniert jedoch nicht. Die Aufrüstung hat massive Angriffe auf soziale Leistungen zur Folge. Sie ist untrennbar mit der Positionierung des deutschen Imperialismus im Ukraine-Krieg verbunden. Für die Generation der heutigen Schüler*innen ist das Massaker in Gaza und Libanon politisch prägend. Die Kriegsfrage lugt zu allen Türen und Fenstern hinein.
Nahost-Antrag: Ringen um die Deutung
Das ND bezeichnet den beschlossenen Antrag zu Nahost als “innerparteilichen Friedensvertrag”. Die darin formulierten Kompromisse sollen dazu dienen, dass die Partei an dem Punkt nicht zerbricht. Beim Berliner Landesparteitag eine Woche zuvor hatte der rechte, pro-zionistische Flügel um Klaus Lederer und Elke Breitenbach eine für sie wohl überraschende Niederlage an dieser Frage erlitten. Sie hatten daraufhin die Veranstaltung verlassen, der Austritt von Protagonist*innen dieses Flügels lag in der Luft. Das wollte das designierte Führungsduo verhindern und verhandelte hinter den Kulissen.
Den extremsten Befürworter*innen der israelischen Kriegspartei reicht der Kompromiss jedoch nicht. Die sachsen-anhaltinische Landtagsabgeordnete Henriette Quade, die für den Versuch bekannt wurde, eine Demo gegen den Krieg in Gaza zu blockieren, mit Israel-Flagge in der Hand, verkündete ihren Austritt aus der Partei: “Es zeichnet sich mit dem Bundesparteitag ab, dass ein kompromissloser Kampf gegen jeden Antisemitismus in und mit dieser Partei mir nicht möglich ist (…).”
Im Beschluss finden sich richtige Positionierungen wie “Wir müssen raus aus der Sackgasse von Nationalismus, Eskalation und Militarismus!” und Forderungen nach einem sofortigen Waffenstillstand sowie Ende von Besatzung und Siedlungsbau, aber auch Formulierungen wie “Wir fordern alle Beteiligten auf, keine neuen Kampfhandlungen aufzunehmen und den Konflikt einzudämmen statt auszuweiten.”. Dass “allen” Beteiligten hier die gleiche Verantwortung gegeben wird, ist bizarr, angesichts der Wucht der israelischen Militärmaschinerie, welche die Eskalation an allen Fronten vorantreibt. Die Linke drückt sich in dem Antrag zudem um eine Bewertung der Zerstörung Gazas herum und spricht von einem in der Zukunft zu verhindernden Genozid, ohne den akut stattfindenden Krieg als genozidal zu charakterisieren.
Aufgrund dieser Widersprüche wird die Partei Kritik von mehreren Seiten abbekommen. Vielen Aktivist*innen der Palästina-Solidarität wird der Beschluss nicht ausreichen, um die Entsolidarisierung der vergangenen Monate ungeschehen zu machen. Die Parteien der “Staatsräson” hingegen werden Die Linke weiterhin als “antisemitisch” diffamieren, weil sie es wagt, Kritik an Israels Kriegen und den deutschen Waffenlieferungen zu üben und die Palästinenser*innen als Menschen und nicht als Hamas-Schutzschilde betrachtet.
Doch entscheidend ist, was Die Linke jetzt tut. Belässt sie es bei Worten oder bringt sie sich in den Widerstand gegen Israels Kriege ein? Die Forderung nach einem Ende der Besatzung und die Kritik an der Polizeigewalt gegen die Palästina-Solidarität bieten Ansatzpunkte für Letzteres. Die Forderung nach einem Stopp der Waffenlieferungen kann dazu dienen, den Kampf gegen den Krieg zu fokussieren und der Bewegung damit einen Hebel zur Verbreiterung zu geben.
Aktive an der Basis und die Parteilinke sollten diesen Beschluss nach vorne interpretieren, anstatt sich an den Widersprüchen und Schwächen des Dokumentes abzuarbeiten. Sie sollten Aktivitäten in allen Orten vorschlagen: Schluss mit der Zurückhaltung, hin zu den Demos gegen die Kriege in Gaza und Libanon, Start der Unterschriftensammlung gegen die Waffenlieferungen in allen Kreisverbänden. In diese Richtung argumentiert auch das neu gewählte Vorstandsmitglied Thies Gleiss von der Antikapitalistischen Linken (AKL), der betont, dass der Beschluss in der Praxis Palästina-Solidarität durch Parteigliederungen erleichtert.
Das Schweigen der Rechten
Die Vertreter*innen von Mitregieren und Kapitulation vor dem imperialistischen Mainstream waren auf dem Parteitag auffällig still. Die meisten Redebeiträge kamen von der Parteilinken oder dem Zentrum. Auch der ehemalige Pankower Bezirksbürgermeister Sören Benn begründete seinen Parteiaustritt mit den Ergebnissen des Parteitages. Er schreibt: “Der Leitantrag entwickelt keine einzige Idee zur Sicherung der, jede Verteilungspolitik voraussetzenden, wirtschaftlichen Wertschöpfung in einem nun einmal real stattfindenden kapitalistischen globalen Wettbewerb vor dem Hintergrund der Notwendigkeit einer Transformation vom fossilen zum solaren Wirtschaften.” Im Klartext: der deutsche Imperialismus muss plündern und im Kampf gegen die Konkurrenz bestehen können, um Sozialleistungen und Klimafreundlichkeit zu finanzieren.
Doch das Schweigen der Rechten bedeutet nicht, dass sie auf breiter Front in der Defensive sind oder gar den Kampf um die Partei schon aufgeben. Die Änderungsanträge der Parteilinken zum sehr schwachen Leitantrag wurden zumeist abgelehnt. Der neue Parteivorstand steht nicht weiter links als der vorherige.
Thüringens bald-nicht-mehr-Ministerpräsident Ramelow forderte, “dass nicht jeder Spinner im Namen der Partei redet. Ich habe keine Lust mehr, für jeden Depp, der auf X unterwegs ist, den Kopf hinzuhalten.” und übersieht dabei, dass viele in der Partei manchmal ihn für den X-Deppen halten, für dessen Ausrutscher man den Kopf hinhalten muss. Die selbst ernannte “Silberlocke” Gregor Gysi bot ein vergiftetes Geschenk an: Er, Bodo Ramelow und Dietmar Bartsch würden für Direktmandate kandidieren, fände die Entwicklung der Partei ihr Wohlgefallen. Gysi ist noch immer ein Promi, aber er scheint unter Selbstüberschätzung zu leiden. Gerade die Basis der alten Garde ist Richtung BSW abgedampft. Anti-Charismatiker Bartsch wird gewiss kein Mandat holen. Und selbst wenn Gysis Bekanntheit noch ausreicht: diese drei stehen nicht für das Comeback einer kämpfenden linken Partei, sondern für die Konservierung der Schwächen, die sie in die Krise geführt haben.
Es ist fraglich, ob die sanfte rhetorische Linksverschiebung der Partei reicht, um aus der Krise herauszukommen. Die optimistischen Sprüche, vor allem vom Vorsitzenden van Aken, wirken wie Pfeifen im Walde. Es soll wohl einen Fokus auf die Mietenfrage geben. Doch die ist kein Allheilmittel. Das Mietenproblem ist fraglos riesig, aber es gibt bisher keine Bewegung von Mieter*innen. Ein im luftleeren Raum entwickelter Fokus auf Mieten und die Verteidigung sozialstaatlicher Errungenschaften reicht nicht.
Eine sozialistische Klassenpartei braucht eine grundlegende, antikapitalistische Haltung. Sie braucht eine Methode, um alle aufkommenden Fragen oppositionell zu beantworten, gegen die etablierten Parteien und ihr System. Sie muss eine klare Trennlinie zwischen sich und diesen Parteien ziehen. Sie braucht den Mut, gegen die Propaganda der Herrschenden und der Medien zu kämpfen. Sie braucht die Weitsicht, sich kurzfristig unbeliebt zu machen und Wahlniederlagen zu akzeptieren und gleichzeitig, sich mittel- und langfristig geduldig zu verankern.
Auch der Bundesparteitag von Halle beantwortet nicht die Frage, ob die real existierende Partei Die Linke in diese Richtung gehen kann. Allerdings bleibt sie die einzige Kraft in diesem Land, bei der sich die Frage überhaupt stellt. Nach dem Abgang der Wagenknechte gab es einen Zustrom vor allem junger Menschen, trotz aller Wahlschlappen und öffentlichen Häme. In den Großstädten wächst die Partei.
Sarah Lee-Heinrich machte zwar deutlich, das die aus der Grünen Jugend Ausgetretenen sich erst einmal orientieren und ihr eigenes Ding machen würden, doch allein ihr Auftritt zeigt, dass Die Linke für diese Jugendlichen ein Referenzpunkt ist und es in Richtung Zusammenarbeit oder später Zusammenschluss gehen wird. Was das für die Kräfteverhältnisse in der Linksjugend bedeuten wird, bleibt abzuwarten. Im Jugendverband hat eine Linksverschiebung stattgefunden, die sich auch in kämpferischen Auftritten auf dem Bundesparteitag zeigte.
Platz für eine sozialistische Klassenpartei
Die Linke ist ein in Partei gegossener Kompromiss. Seit ihrer Gründung waren es im Kern zwei Parteien in einer – der Flügel, der sich als Ergänzungspartei zu SPD/Grünen verstand und der antikapitalistische Flügel, orientiert auf Bewegungen, Widerstand, sozialistische Opposition. Die zwischendurch entstandene “dritte Partei”, der “linkskonservative” um Wagenknecht, hat sich glücklicherweise verabschiedet, allerdings einen Großteil der Wähler*innen mitgenommen.
Angesichts von Wahlniederlagen und Mandatsverlusten ist der Regierungsflügel diskursiv in der Defensive, regiert wird nur noch in Mecklenburg-Vorpommern und im kleinen Bremen, wo jede Kürzungssauerei brav abgenickt wird. Doch noch immer sind es zwei Parteien in einer, aktuell ist die wichtigste Trennlinie die Kriegsfrage.
Es ist verständlich, dass viele Mitglieder fürchten, dass der Kampf um klare Mehrheiten die Partei noch weiter runterziehen kann. Doch es ist ein riskantes Spiel, weiter auf das Austarieren in Permanenz zu hoffen. Während des Aufstiegs der Partei war die Funktion als Sammelbecken unterschiedlicher Ideen und Strömungen ein eher attraktiver Faktor. In der heutigen Krise verhindern Wischi-Waschi-Kompromisse, dass die Partei als Alternative wahrgenommen wird.
Der linke Flügel und Leute wie Lederer, Breitenbach usw. können nicht auf Dauer in einer gemeinsamen Partei bleiben. Wenn es gelingt, antikapitalistische Mehrheiten zu schaffen, und die Rechten die Partei verlassen, dann würden die Medien das sicher nutzen, um die Linke noch weiter in den Abgrund zu schreiben. Doch die Chancen auf ein Comeback, vielleicht zu den Bundestagswahlen 2025, vielleicht erst später, würden steigen; möglicherweise zunächst nur mit 3-4% der Wähler*innen, doch zukünftig mit mehr Potenzial.
Die Stimmung in der Jugend ist polarisiert. Die AfD schafft es, diejenigen zu erreichen, die sich rechts orientieren oder offen sind. Die Linke erreicht den linken Teil in geringerem Maße. Doch es gibt diesen Teil, der besser mobilisiert werden kann. In den Kliniken, Kitas und Schulen gibt es viel Sympathien für linke Ideen. Die akute Krise der deutschen Industrie, vor allem im Automobil-Sektor, öffnet Gelegenheiten für eine linke Kraft, die Beschäftigten im Kampf um ihre Arbeitsplätze und Löhne zu unterstützen und gleichzeitig für Umbau und Vergesellschaftung einzutreten.
Es gibt keinen Platz für noch eine linksliberal-bürgerliche Mitregierungs-Partei. Es gibt durchaus einen Platz für eine kämpfende, sozialistische Partei der Arbeiter*innen, die entschieden gegen das Kapital und den Imperialismus eintritt.