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Der „Verfassungsschutz“
In den meisten Staaten gibt es eine Trennung zwischen Auslands- und Inlands-Geheimdienst: Der eine schickt eigene Spione in andere Länder, der andere fängt feindliche Spione ab. So funktionieren auch BND (Bundesnachrichtendienst) und „Verfassungsschutz“ (VS). Der deutsche VS allerdings ist eine spezielle Art von Inlandsgeheimdienst. Er soll nicht nur Spionage verhindern, sondern die Verfassung, gemeint ist dabei nicht allein das Grundgesetz, sondern die bestehenden ökonomischen und politischen Verhältnisse „schützen“, in erster Linie gegen die vermeintlichen oder tatsächlichen „Verfassungsfeinde“ aus der eigenen Bevölkerung.
Die sogenannte „Entnazifierung“ im Nachkriegsdeutschland führte nicht dazu, dass die staatlichen Organe von Nazis gesäubert wurden. Im Gegenteil, die herrschende Klasse in Deutschland nutzte zusammen mit den neuen Verbündeten wie den USA die Fähigkeiten vieler alter Nazis und positionierte diese im Staatsapparat. Diese hatten sich als loyale Verteidiger des kapitalistischen Systems erwiesen, ihre Kompetenzen im Kampf gegen die Linke und die Arbeiterbewegung und für die Restauration des BRD-Kapitalismus wurden gebraucht.
Der Bundesnachrichtendienst (BND), der deutsche Auslandsgeheimdienst, ging aus der „Organisation Gehlen“ hervor. Reinhard Gehlen, ehemaliger Generalmajor der Wehrmacht, hatte die Abteilung „Fremde Heere Ost“ des Wehrmachts-Generalstabs aufgebaut und galt daher als Experte für die Spionage Richtung Sowjetunion. Viele ehemalige Angehörige von Nazi-Organen wie SD (Sicherheitsdienst), SS und Gestapo kamen dort im BND unter, der CIA, der mithalf, die Organisation aufzubauen, schätze den Anteil ehemaliger NSDAP-Mitglieder im deutschen Geheimdienst auf bis zu 28%.
Vorläufer des VS-Bundesamtes war ein Tarneinrichtung der US-Army namens „Amt für Verfassungsschutz“, deren Aufgabe es v.a. war, Informationen über die KPD zu sammeln. Auch beim VS kamen ehemalige Gestapo-Mitglieder unter.
SS-Hauptscharführer Hallmayer war während des Krieges in Paris an einem Gestapo-Kommando beteiligt, was Résistance-Mitglieder aufspürte, die USA führten ihn auf der Liste der Kriegsverbrecher, die französischen Behörden suchten ihn wegen Mordes und Folter. 1951 wurde er einer der ersten baden-württembergischen „Verfassungschützer“, 1955 Beamter auf Lebenszeit und Kriminalobersekretär. Für seine Rente ab 1970 wird ihm seine Tätigkeit ab 1932 angerechnet. Hallmayers Spezialgebiet beim VS war die Tätigkeit linker Gruppen. Sein Werdegang steht stellvertretend für viele alte Nazis, die in Justiz, Geheimdiensten und den Polizeibehörden ihre Tätigkeit fortsetzen, mit einem klaren anti-linken, pro-kapitalistischen Feindbild.
Eine zentrale Funktion des VS ist politisch-propagandistisch. Er dient dazu, eine Gleichartigkeit des „Extremismus von links und rechts“ zu suggerieren und damit staatliche Beobachtung und Repression gegen linke „Verfassungsfeinde“ zu rechtfertigen, ohne dass diesen konkrete Straftaten vorgeworfen werden müssen.
Diese Strategie stammt aus dem KPD-Verbotsverfahren der 50er Jahre. Für die Begründung des KPD-Verbotes wurde die sogenannte „Freiheitlich-demokratische Grundordnung (FDGO)“ konstruiert, die im Grundgesetz nicht erwähnt wird. Während das Grundgesetz nicht explizit eine kapitalistische Wirtschaftsordnung festlegt und als für Veränderungen offen gedacht war, geht die FDGO darüber hinaus und legt fest, dass als grundgesetzkonform nur diejenigen gelten können, welche die bestehenden wirtschaftlichen und politischen Machtverhältnisse akzeptieren. Damit wurde die Idee, den Kapitalismus abzuschaffen und für den Sozialismus einzutreten, per se als verfassungswidrig eingestuft.
Ausdruck dieser ideologischen Funktion des VS sind die jährlichen öffentlichen Berichte des Bundesamtes und der Landesämter, die nicht wirklich auf geheimdienstlicher Tätigkeit basieren, sondern meist öffentlich zugängliche Informationen zusammenfassen. Dabei werden zum Teil bizarr unpassende Zitate aus Veröffentlichungen der beobachteten Organisationen verwendet, um diese zu charakterisieren. Während linke Ankündigungen über „Gewalttaten“, gemeint sind meist Blockaden und anderer ziviler Ungehorsam z.B. gegen rechte Aufmärsche und Atommüll-Transporte, haarklein aufgelistet werden, tauchen die real ausgeübten rechten Gewalttaten nie vollständig in den VS-Berichten auf.
Rassismus der Herrschenden
Kapital, Parteien und Staatsorgane haben auch in Deutschland immer wieder die rassistische Karte gezogen, um von sozialen Fragen abzulenken. Ob „Asylantenflut“ oder „mangelnde Integration von Muslimen“, immer wieder wurden Kampagnen losgetreten, um Gesetzesverschärfungen zu begründen, außenpolitisches Vorgehen zu legitimieren oder von den Ursachen sozialer Probleme abzulenken. Mit dem rassistischen Gift aus dem kapitalistischen Establishment wurde auch der Boden gedüngt, auf dem faschistische Organisationen wachsen.
Während der Kampagne zur Abschaffung des Asylrechts 1991-93 wurden staatlicherseits sogar die Gewalttaten von Nazis – wie z.B. die pogromartigen Krawalle von Hoyerswerda und Rostock – toleriert, weil sie als „Argumente“ dienten, die Flüchtlinge in den Köpfen zu einem Problem zu machen und die sozialen Konflikte im Gefolge des Anschlusses der DDR in den Hintergrund zu drängen.
Laxe Ermittlungen, politische Verharmlosung der Übergriffe und vor allem die offizielle politische Bestätigung, dass es ein „Asylproblem“ gebe, bereiteten den Boden für die Eskalation der Nazi-Gewalt Anfang der 90er Jahre.
Als die rechten Mörder über die Stränge schlugen und im Herbst 1992 in Mölln drei türkische Staatsangehörige und im Frühjahr 1993 in Solingen fünf weitere bei Brandanschlägen ermordeten, trat der Staat auf die Bremse. Inzwischen hatte sich als Reaktion auf den Nazi-Terror eine Gegenbewegung gebildet, eine massive Politisierung unter Jugendlichen eingesetzt. Gleichzeitig gab es erste Ängste bei ausländischen Investoren und Geschäftspartnern deutscher Unternehmen. Der Preis für das Gewährenlassen der Rechten begann, deren Nutzen für das Establishment zu übersteigen.
Rechte Gruppen wie die „Nationalistische Front“ und die „Nationale Offensive“ wurden verboten, der Verfolgungsdruck auf die rechte Szene stieg.
Als es 2000 zu einer neuen Welle rechter Gewalt kam, reagierte die Schröder-Regierung schnell und rief den „Aufstand der Anständigen“ aus, um eine mögliche antifaschistische Bewegung in bürgerliche Bahnen zu leiten und eine politische Radikalisierung zu verhindern. Einzelne Maßnahmen gegen rechte Gruppen wurden ergriffen, die „Skinheads Sächsische Schweiz“ wurden verboten.
Dem staatlichen Handeln war jedoch immer gemein, dass nie Anstrengungen unternommen wurden, die Strukturen der Nazi-Szene zu zerschlagen. Zwar wurde die Beobachtung verschärft, einzelne Gruppen wurden verboten, aber es wurde den Rechten ermöglicht, sich neu zu formieren, der Verfolgungsdruck ließ nach einiger Zeit nach, er unterschied sich ohnehin von Bundesland zu Bundesland.
Tief verwurzelter Rassismus
Der Umgang des bundesdeutschen Staates mit den Nazis wird durch verschiedene Faktoren bestimmt. Während die Spitzen von Kapital, Parteien und Staatsapparat ein Interesse daran haben, die Nazis nicht allzu groß oder auffällig werden zu lassen, wirken auf den unteren und mittleren Ebenen gegensätzliche Faktoren.
Es gibt eine rechte bis rechtsextreme Kontinuität im deutschen Staatsapparat, bei Justiz und den Sicherheitsbehörden. Vor allem die Geheimdienste wurden von ehemaligen Nazis aufgebaut. Diese personelle Kontinuität und der bleibende politische Auftrag, den Kapitalismus zu verteidigen, führte dazu, dass in den Apparaten die Überzeugung gilt: „Der Feind steht links“. Diese Auffassung ist bei Geheimdiensten, Polizei und Justiz an die nächsten Generationen weitergegeben worden.
Gerade in den letzten Jahren haben ausländerfeindliche, vorwiegend islamfeindliche Ideen in den Mittelschichten Fuß gefasst und damit auch im Beamtenapparat. Die Propaganda der etablierten Parteien über die Gefährlichkeit des islamischen Terrorismus und die finanziellen und organisatorischen Umschichtungen hin zur Bekämpfung von Islamisten haben bestehende rechte Ideen in den Behörden gefestigt.
Auf der Grundlage der rechten Kontinuität und der fortgesetzten Verbreitungen rassistischer Ideen hat sich ein Klima bei Polizeibehörden, Geheimdiensten und Justiz entwickelt, dass dazu geeignet ist, Nazi-Gewalt nicht ernst zu nehmen, wegzugucken oder sogar damit zu sympathisieren.
Bundesinnenminister Schily (SPD) behauptete beim Kölner Nagelbombenanschlag 2004 sofort, ein ausländerfeindlicher Hintergrund könne ausgeschlossen werden, ohne dies zu begründen. Seine Motivation ist kein großes Geheimnis: Im Zuge der Debatte über die Gefährlichkeit „des Islams“, die zu dieser Zeit auf einem Höhepunkt war, konnte man politisch keinen rechten Anschlag brauchen.
Interessanter ist die Motivation der polizeilichen Ermittler: Warum protestierten sie nicht gegen den offensichtlichen Unsinn des Ministers? Warum beharrten sie nicht darauf, dass man nach allen Seiten ermittele und nichts ausschließen könne? Köln ist kein Einzelfall. Bei vielen Anschlägen dieser Art waren und sind Politiker oder die Ermittlungsbehörden selbst sehr schnell dabei, einen rechten Hintergrund auszuschließen, obwohl noch nichts geklärt ist.
Das lässt sich nicht mit Dummheit und Schlamperei erklären. Einzelne Beamte mögen rassistische Gewalt bis hin zum Terror gutheißen oder nicht für verfolgungswürdig halten. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass die meisten polizeilichen Ermittler in der jetzigen Phase bewusst Terroristen gewähren lassen. Hinter ihrem „Versagen“ steckt eher die tief verwurzelte Mentalität der meisten Polizeibeamten, dass die Gefahr von Rechts so groß nicht sein könne, dass Migranten hingegen vieles zuzutrauen sei. Diese Denke ist das Ergebnis jahrzehntelanger reaktionärer Prägung der staatlichen Repressionsorgane, von der Kontinuität von Nazi-Beamten in der frühen Bundesrepublik über den Kampf gegen die Linke bis hin zu den ideologischen Kampagnen gegen „Asylmissbrauch“ und den Islam.
Dies scheint so tief zu sitzen, dass in der Polizei nicht einmal ein öffentlich erkennbares Nachdenken beginnt, wenn die eigenen Leute betroffen sind. Alljährlich beschwert sich die „Gewerkschaft der Polizei“ (GdP) über eine „neue Stufe der Gewalt“. Auch dieses Jahre ging es nicht um die Nazi-Mordserie und die brutale Hinrichtung der Beamtin Kiesewetter, sondern um tendenziell folgenlose Würfe von Steinen, Matschklumpen und Böllern auf schwer gepanzerte und behelmte Polizisten im Wendland, deren Kollegen gleichzeitig mit Pferden in Menschenmengen hinein ritten und GleisblockiererInnen die Gesichter blutig schlugen.
Man sollte meinen, dass ein Polizistenmord dazu führt, dass die Interessenvertretungen der Beamten alle Hebel in Bewegung setzen, um die Hintergründe aufzuklären. Doch sowohl Kay Diesner aus Berlin, der 2000 einen Polizisten tötete als auch der dreifache Polizisten-Mörder von Dortmund (Juni 2000), Michael Berger, wurden als „Einzeltäter“ behandelt, obwohl sie aus der rechten Szene stammten.
Spätestens nach dem Bekanntwerden der Umstände des Mordes an Michèle Kiesewetter sollten Polizei-Gewerkschafter mit aller Kraft die Aufklärung vorantreiben und für den Schutz der Beamten vor rechten Killern zu sorgen. Dass sie das nicht tun, sondern ihre Zeit damit verbringen, über den massenhaften zivilen Ungehorsam im Wendland zu klagen, ist ein weiterer Hinweis darauf, wie die staatlichen Repressionsorgane politisch gepolt sind. Man möchte den Polizeigewerkschaftern geradezu zurufen: „Wenn euch die Migranten und die Linken egal sind, kümmert euch doch wenigstens um eure eigenen Leute!“
Nazis in den Behörden
Jedem Geheimdienst wohnen Elemente von Größenwahn und Verschwörertum inne, selbst bei eher lächerlichen Institutionen wie dem thüringischen Landesamt für „Verfassungsschutz“. Eine öffentliche Kontrolle findet nicht statt, Taten müssen nicht legitimiert, Fehler nicht zugegeben werden, Vertuschung ist das oberste Prinzip. Es sind Gelder im Umlauf, für deren Verwendung nur sehr begrenzt Rechenschaft abgelegt werden muss.
Wenn solch ein Apparat und tiefsitzende rechte Auffassungen zusammenkommen, entsteht ein Biotop, in dem auch direkte Unterstützung für die Faschisten gedeiht. Es mag damit beginnen, dass Behörden Geld in Nazi-Gruppen pumpen, um Informationen zu bekommen. Dann entsteht die Idee, dass die Informationen nicht so wichtig sind, aber das es ja nicht schaden kann, eine staatlich geförderte Nazi-Truppe zu unterhalten. Man weiß ja nie, wozu das mal gut sein kann..
Im Verlauf solcher Operationen wird unweigerlich viel Mist gebaut. Die staatlich alimentierten Rechten werden immer dreister oder gewalttätiger. In einigen Fällen führte das zum Rückzug der Geheimdienste. Aber es kam auch eine andere Logik in Gang: Auf die zunehmende Gewaltbereitschaft der Staats-Nazis wurde mit zunehmender Toleranz reagiert. Hauptanliegen der verwickelten Behörden war, andere Behörden von den eigenen Schützlingen fernzuhalten, zur Not, indem ihre Ermittlungsarbeit sabotiert wurde.
Diese ideologischen und organisatorischen Strukturen bringen unweigerlich Beamte hervor, welche die Nazis nicht nur stümperhaft manipulieren wollen, sondern mit deren Ideen symphatisieren und bewusst fördern.
Im Fall der NSU scheinen all diese Faktoren eine Rolle gespielt zu haben. Es gibt Hinweise darauf, dass der ehemalige Chef des Thüringer Verfassungsschutzes, Helmut Roewer, mit faschistischen Ideologien symphatisiert. Unter Anderem veröffentlichte der VS unter seiner Führung ein „Aufklärungsvideo über Extremismus“ für Schulen, welches nichts anderes war als Werbung für rechte Gruppen. Heute veröffentlicht Roewer Bücher in einem rechtslastigen Verlag in Österreich. Möglicherweise hat er selbst die bewusste Förderung des „Thüringer Heimatschutzes“ zu verantworten oder es fühlten sich durch seine politischen Vorgaben Untergebene ermutigt, die Nazi-Gruppen zu fördern und vor Ermittlungen anderer Behörden abzuschirmen.
Roewer selbst behauptet übrigens, er und seine Behörde hätten mit Hochdruck versucht, dem Trio auf die Spur zu kommen, aber es habe in den Polizeibehörden Kräfte gegeben, welche die Nazis geschützt hätten. Der Verfassungsschutz wäre sogar angewiesen worden, gegen thüringische Behörden zu ermitteln. Wie dem auch sei, bei all den gegenseitigen Beschuldigungen kommt heraus, dass es Kräfte im Staatsapparat gab, welche das Abtauchen der Nazis abgesichert haben.xii
Die strategische Linie des deutschen Staatsapparates nimmt die Existenz und die Aktivitäten gewalttätiger rassistischer Gruppen in Kauf bzw. toleriert sie bis zu einem gewissen Grad. Die unteren und mittleren Ebenen des Staates übersetzen diese strategische Linie in Desinteresse, Wegsehen, Verdrängung rechter Gefahren oder auch in „Nutzen“ der rechten Gruppen bis hin zur Unterstützung von deren Ideologie und Taten.
Wer sind die V-Leute?
Jetzt wird darüber diskutiert, ob der Staat die V-Leute „abziehen“ solle. Mit dieser Formulierung wird unterstellt, die V-Leute seien vom Staat „hineingeschickt“ worden und diesem gegenüber irgendwie loyal. Tatsächlich handelt es sich bei sämtlichen bekannt gewordenen Fällen um loyale Nazis, welche von staatlichen Stellen Geld bekommen, um Informationen über ihre Szene zu liefern.
Der Thüringer Holocaust-Leugner Thomas Dienel, ehemaliger V-Mann mit 2.000 Mark monatlicher staatlicher Förderung, brüstete sich damit, dass die Zahlungen seine politische Meinung nicht beeinflusst hätten und meinte, seine Projekte wären ohne die Staatsknete nicht denkbar gewesen. Tino Brandt, Mitbegründer des „Thüringer Heimatschutzes“ und daher bekannt mit Mundlos, Tschäpe und Böhnhardt, soll insgesamt 200.000 Mark erhalten haben und hat das Geld nach eigenen Angaben für den Aufbau des THS ausgegeben.
Allein in der NPD soll es zur Zeit 130 V-Leute geben, man kann also von mehreren Hundert in der gesamten Nazi-Szene ausgehen. Dieses Heer von angeblichen Verrätern an der rechten Sache soll nicht den geringsten Hinweis, nicht einmal ein Gerücht, über die Existenz einer rechten Killertruppe geliefert haben, obwohl nach deren Abtauchen 1998 Geld auf rechten Veranstaltungen gesammelt wurde, obwohl Songs veröffentlicht wurden, auf denen die Morde verherrlicht werden?
Mit einer detaillierten Beobachtung der Nazi-Szene hat das V-Mann-Wesen offensichtlich nichts zu tun. Es ist auch nicht wahrscheinlich, dass sämtliche Behörden jahrelang so dämlich sind, nichtsnutzigen Informanten Geld hinterher zu werfen, ohne Ergebnisse zu verlangen. Man muss davon ausgehen, dass das V-Mann-System ein Weg der Behörden ist, faschistische Gruppen zu subventionieren, ohne Fragen zu stellen, möglicherweise verbunden mit der Vorstellung, die Gruppen, die Geld beziehen, hätte man schon „unter Kontrolle“.
Staatliche Stellen haben durch das V-Mann-System mitgeholfen, die rechten Gruppen aufzubauen. Eine Debatte über einen „Rückzug“ der V-Leute als angebliche Voraussetzung für ein NPD-Verbot ist eine Scheindiskussion. Die V-Leute könnten sofort abgeschaltet werden, indem ihnen keine weiteren Gelder mehr überwiesen werden.
Dass dies nicht geschieht, weist darauf hin, dass die Frage des NPD-Verbotes im Staatsapparat und den bürgerlichen Parteien nach wie vor umstritten ist und nicht alle Hindernisse für einen Verbotsantrag aus dem Weg geräumt werden sollen.
Folgen eines NPD-Verbots
Ein Verbot der NPD wäre für die rechte Szene ein finanzielles und organisatorisches Problem. Damit würde das Bindeglied zwischen den Schlägertruppen und der Wahlebene aus der rechten Kette entfernt. Eine konsequente Durchsetzung des NPD-Verbots müsste eigentlich dazu führen, dass alle Aufmärsche, an denen sich ehemalige NPD-Mitglieder beteiligen und sämtliche Ersatzorganisationen untersagt werden.
Doch es ist unwahrscheinlich, dass das Verbot so umgesetzt würde. Erstens ist offen, ob es überhaupt zu einem Verbot kommt. Zweitens ist es nicht das Hauptanliegen der bürgerlichen Parteien und des Staates, den Nazi-Sumpf konsequent trockenzulegen. Auch ohne ein NPD-Verbot hätte die NSU gestoppt und die gewalttätige Nazi-Szene verfolgt werden können. Das ist bis heute nicht geschehen und es gibt auch keine Anzeichen dafür, dass staatlichen Stellen dies jetzt tun. Die bisherigen Verbote faschistischer Organisationen führten nicht zur Zerschlagung deren Umfeldes, es wurden lediglich Namen verboten, Neugründungen waren relativ einfach möglich. Die Gründe für dieses Agieren haben wir oben ausgeführt.
Die Diskussion um ein NPD-Verbot soll vor allem als Symbol staatlichen Handelns gegen Rechts dienen. Gleichzeitig würden sich die bürgerlichen Parteien einen Konkurrenten auf Wahlebene vom Hals schaffen. Rechtsausleger in den bürgerlichen Parteien, der Wirtschaft und den Medien wiederum mögen spekulieren, dass das Verschwinden der offenen Nazis auf Wahlebene den Weg für eine unbelastete „rechtspopulistische“ Partei freimacht.
Die Argumente für ein Verbot der NPD werden zum Teil an den Haaren herbeigezogen. Ohne Frage dient die NPD als Verbindung zwischen offenen Schlägertruppen und einer parlamentarischen Strategie, ohne Zweifel sitzen Anhänger und Unterstützer der NSU in der NPD. Aber es wird juristisch bizarr, wenn als „Beweis“ für die Verbindungen zwischen NSU und NPD ein Foto von 1996 präsentiert wird, auf dem der jetzige NPD-Chef Apfel einige Meter entfernt von Mundlos und Tschäpe zu sehen ist. Politisch sagt das Einiges aus, aber wer solche „Beweise“ juristisch nutzen will, der nimmt – wissentlich? – in Kauf, dass ein Verbotsverfahren scheitert.
Die SAV ist für ein Verbot faschistischer Organisationen und damit auch der NPD. Aber wir halten es für eine falsche Schwerpunktsetzung, wenn linke Organisationen und Gewerkschaften die Forderung nach einem NPD-Verbot zu einem Dreh- und Angelpunkt ihrer antifaschistischen Strategie machen. Deshalb stellen wir die Forderung nicht auf, denn wir wissen, dass ihre Erfüllung kein Ende der faschistischen Gefahr bedeuten würde. Immerhin richtet man damit eine Verbotsforderung an genau den Staat, welcher bis zum heutigen Tage die Faschisten genutzt hat. Dieser wird das Verbot der NPD nicht konsequent durchziehen. Allein die in die Länge gezogene Debatte über ein NPD-Verbot räumt den Rechten genug Zeit ein für eine gemütliche Umstrukturierung.
Stattdessen sollten Linke und Arbeiterbewegung deutlich machen, dass Nazis und Rassisten nicht durch den Staat, sondern durch die antifaschistische Selbstorganisation entscheidend zurückgeschlagen werden können. Wenn sich der Staat gezwungen sieht, Repression gegen die Faschisten auszuüben, ist uns das natürlich nicht egal. AntifaschistInnen und die Linke sollten ein laufendes oder erfolgtes NPD-Verbotsverfahren daher nutzen, um verstärkt für die Verhinderung rechter Aufmärsche mobil zu machen. Mediale Veröffentlichungen und polizeiliche Maßnahmen gegen rechte Gewalt können genutzt werden, den Spielraum für den antifaschistischen Selbstschutz zu erweitern. Bekannte Nazi-Aktivisten können z.B. durch „Outing“, indem man im Stadtteil informiert, wer dort wohnt, je nach örtlicher Situation gezwungen werden, ihren Wohnort zu wechseln. Rechte Mitläufer würden in einer solchen Situation überlegen, ob sie wirklich in der Szene bleiben wollen.
Eine mögliche zeitweilige Parallelität staatlichen und antifaschistischen Handelns sollte jedoch nicht zur Illusion verleiten, dass dieser Staat in der Lage oder willens wäre, dem rechten Spuk ein Ende zu machen.
Der herrschenden Klasse und ihren Parteien würde es gefallen, die rassistischen Kampagnen immer zielgenau dosieren zu können, um einerseits das Spaltungsinstrument zu nutzen, aber andererseits ausländische Investoren oder benötigte Arbeitskräfte nicht zu sehr zu verschrecken; um die Konkurrenz rechter Parteien nicht zu groß werden zu lassen, um keine größeren antirassistischen Gegenbewegungen zu provozieren. Doch das ist nicht immer möglich. Die häufige Verwendung des rassistischen Giftes führt zu einer Verseuchung der Gesellschaft, das Gegengift können nicht die Herrschenden, sondern nur die Arbeiterbewegung verabreichen.
Der Ausbau staatlicher Repressionsmittel, sei es die zentrale „Nazi-Datei“, erweiterte Kompetenzen für Ermittlungsbehörden und die weitere Aufweichung der Trennung zwischen Polizei und Geheimdiensten, müssen von der Linken und der Arbeiterbewegung abgelehnt werden. All diese Werkzeug wurden und werden in erster Linie gegen Kapitalismus-KritikerInnen angewendet. Polizei und Justiz hätten auch ohne Sondergesetzgebung wie die „Anti-Terror-Gesetze“ genug Möglichkeiten, um gegen rassistische Mörder und Nazi-Terroristen vorzugehen, sie haben es aus politischen Gründen nicht getan.
Verfassungsschutz auflösen!
Zum Zeitpunkt es Erscheinens dieser Publikation waren SPD, CDU und FDP noch immer nicht bereit, den von den Grünen und der Partei DIE LINKE geforderten Bundestags-Untersuchungsausschuss zur NSU zu beschließen. Stattdessen soll eine Bund-Länder-Kommission die Affäre zusammen mit den Behörden und den sogenannten Parlamentarischen Kontrollkommissionen (PKK) der Geheimdienste in Bund und Ländern aufklären.
Damit würde die Untersuchung des Skandals unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden. Die PKK tagen geheim. Eine Bund-Länder-Kommission hätte nicht das Recht Zeugen vorzuladen und Beweismittel zu sichten. Die „Aufklärung“ bliebe im Kern denen überlassen, die seit Jahren vertuschen.
Katharina König aus Jena sitzt für DIE LINKE im thüringischen Landtag und hält eine parlamentarische Kontrolle der Geheimdienste ohnehin nicht für möglich: „Letztendlich entscheidet der VS, was er den Parlamentariern sagt. Diese müssen diese Aussagen dann einordnen können, was meistens nicht geht, weil Informationen fehlen. Und wenn die Parlamentarier es einordnen können und nachfragen, ist überhaupt nicht klar, ob sie eine Antwort bekommen. Das Entscheidende ist aber auch, dass man mit kritischen Informationen nichts anfangen kann, weil es wiederum verboten ist, darüber zu sprechen.“xiii
Selbst ein Bundestags-Untersuchungsausschuss ist nur eine halböffentliche Angelegenheit. Die Parlamentarier dürfen Zeugen befragen und auch – zumindest teilweise – öffentliche Antworten verlangen, aber auch so ist es nicht möglich, Geheimdienste und Polizei wirklich zu durchleuchten, eine Maßnahme, die angesichts der Dimension der Vorfälle jedoch nötig wäre.
Wirkliche Erkenntnisse könnte nur eine unabhängige Untersuchungskommission zu Tage fördern, zusammengesetzt aus VertreterInnen von Migranten-Organisationen und Opfer-Verbänden, den Gewerkschaften als größten gemeinsamen deutsch-migrantischen Organisationen, VertreterInnen der Partei DIE LINKE, Journalisten, Anwälten, Parlamentariern und Recherche-Leuten der antirassistischen Bewegung. Einer solchen Untersuchungskommission müsste der Zugang zu allen Akten und die Veröffentlichung sämtlicher Ergebnisse ermöglicht werden.
Es liegt auf der Hand, dass die Regierenden kein Interesse an einer solchen Kommission haben. Daher stellt sich für die Gewerkschaften, Migranten-Verbände und DIE LINKE die Aufgabe, eine solche Kommission selber zu initiieren und parallel zur apparatinternen „Aufklärung“ zu ermitteln. Allein die Arbeit der bürgerlichen Medien und einzelner linker Parlamentarier hat in wenigen Wochen viele Informationen zu Tage gefördert. Eine Untersuchungskommission von unten würde schnell Ergebnisse liefern und könnte die staatlichen Stellen medial vor sich hertreiben.
Geheimdienste nützen niemals dem Schutz der demokratischen Rechte, dem steht ihre innere Struktur entgegen. Diese ist auf Täuschung und Vertuschung ausgerichtet. Die Nutzung krimineller oder terroristischer Elemente zieht sich durch die Geschichte sämtlicher Geheimdienste kapitalistischer Staaten – und bürokratischer Diktaturen stalinistischer Prägung.
Dazu kommt die rechtslastige Tradition der deutschen Justiz und der bewaffneten Organe. Die Verharmlosung des Faschismus bzw. die Vorstellung, die rechten Gruppen für eigene Zwecke nutzen zu können, zieht sich durch die Geschichte des bundesdeutschen Staates.
Von einem „Rückzug“ der V-Leute zu reden, vernebelt die Realität. Die sind dort gar nicht hinein geschickt worden, die waren schon da, vorher bekamen sie nur keine Steuergelder für das Nazisein. Die Förderung von Nazi-Strukturen durch Zahlungen an V-Leute muss sofort und überall abgestellt werden.
Ausgerechnet die konservative FAZ bringt den Dualismus von Terror und Geheimdiensten auf den Punkt: „Es ist immer die gleiche Geschichte: Verfolgt man die Spur des Terrors nur lange genug, endet man vor einem geheimen Dienstgebäude. Rein kann man nur während einer Revolution.“xiv
Der „Verfassungsschutz“ hat weder die Aktivitäten von Nazi-Terroristen verhindert noch den Sumpf, in dem ihre Ideen gedeihen, ausgetrocknet. Seine veröffentlichten Beobachtungen über die Nazi-Szene sind weniger genau und umfassend als die antifaschistischer AktivistInnen. Alles, was in Deutschland im Kampf gegen die Nazis erreicht wurde, musste von unten erkämpft werden, angefangen bei der Aufklärung über die braune Vergangenheit in Städten und Gemeinden bis zum Widerstand gegen die Neonazi-Aktivitäten.
Es war nie die Aufgabe des „Verfassungsschutzes“, den neuen Faschismus wirksam zu unterdrücken. Dieser sollte lediglich beobachtet und im Interesse des Staates benutzt werden. Unter dem Strich haben der VS und andere Behörden mehr zum Aufbau der Nazi-Gruppen als zu deren Kontrolle beigetragen. Geheimdienstliche Institutionen sind nicht demokratisch kontrollier- oder reformierbar, sie müssen abgeschafft werden.
Die Sondergesetze wie der Paragraph 129a StGB, die „Anti-Terror-Gesetze“ und die Einschränkungen des Demonstrationsrechtes aus den 80er Jahren (z.B. das „Vermummungsverbot“) sind aufzuheben. Sie haben weder den Mord an über 180 Menschen durch rechte Killer noch provokatorische Aufmärsche der Völkermord-Befürworter durch migrantische Viertel verhindert. Sie wurden und werden überwiegend gegen die Linke benutzt.
Die Militarisierung der Polizei, die Ausrüstung mit schwerem Gerät und Kasernierung von Bereitschafts-Polizei-Einheiten ist rückgängig zu machen. Mehr Vollmachten und massive Aufrüstung der Polizei verhindern weder Terror noch Kriminalität, sondern dienen zur Vorbereitung auf soziale Unruhen und zur Eindämmung und Unterdrückung von Massenbewegungen. Speziell ausgerüstete und zudem mit einem rabiatem Korpsgeist ausgestattete Sondereinheiten wie SEK oder BFE (Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit) sind aufzulösen.
Das Übel an der Wurzel packen
Die erste Aufgabe der Linken und der Arbeiterbewegung ist es, den offenen und versteckten Nazis entgegen zu treten, ihr öffentliches Auftreten zu stoppen und so zu verhindern, dass die Faschisten Mut schöpfen, Stadtteile zu kontrollieren und Linke und MigrantInnen zu terrorisieren. Wir können uns dabei nicht auf den bürgerlichen Staat verlassen, sondern müssen die antifaschistische Selbstorganisation voran treiben. Doch gleichzeitig muss eine politische Alternative zu den Faschisten formuliert werden. Purer moralischer Antifaschismus oder eine nur auf Verhinderung von Nazi-Aufmärschen basierende Gegenbewegung sind nicht in der Lage, jetzt oder in der Zukunft, die Wurzeln von Rassismus und Faschismus zu beseitigen.
Die Faschisten profitieren von der sozialen Zerrüttung und den Abstiegsängsten. Sie werden befeuert durch den Rasssismus der Etablierten, der aktuell vor allem die Maske der „Islamkritik“ trägt. Im Zuge der Krise des Kapitalismus, die zu verschärften nationalen Spannungen in der EU und in nicht allzu ferner Zukunft zum Ende des Euro und damit zu ungeahnten wirtschaftlichen Verwerfungen führen wird, wächst die Gefahr nationalistischer und rassistischer Strömungen in Europa.
Die Arbeiterbewegung und die Linke müssen Antworten auf die Krise formulieren. Die Verteidigung des kapitalistisch-demokratischen status quo und ein Bündnis mit den etablierten Kräften gegen die Faschisten hilft nicht bei der Abwehr des Rassismus, denn dieser bestehende Zustand führt perspektivisch zu einem Anstieg von Massenarmut- und arbeitslosigkeit. Die bürgerlichen Kräfte düngen, ob direkt durch staatliches Agieren und rassistische Propaganda oder indirekt durch ihre Sozial- und Wirtschaftspolitik im Interesse der Besitzenden, den Boden, auf dem die Nazis wachsen.
Die antifaschistische Bewegung braucht daher ein soziales Programm gegen die Nazis, basierend auf den gemeinsamen Interessen der arbeitenden Menschen, ob deutsch oder migrantisch, über Ländergrenzen, ethnische und religiöse Unterschiede hinweg. Angesichts der Perspektiven des Kapitalismus kann der Inhalt eines solchen Programms nur sozialistisch sein, es muss sich gleichzeitig gegen die barbarische Perspektive der Nazis wenden als auch gegen die „normalen“ kapitalistischen Zustände, welche etablierte Parteien und der Staatsapparat verteidigen.