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Jugend
Jugendliche sind von der Wirtschaftskrise in besonderem Maße betroffen. Wie in unserer Zeitung dargestellt ist die Arbeitslosigkeit unter ihnen international besonders gestiegen und sind sie mit prekären Arbeitsverhältnissen, Billiglöhnen und Kürzungen im Bildungs- und Freizeitbereich konfrontiert. Auch in Deutschland wird Stellenabbau Jugendliche treffen und weniger Auszubildende werden in ihren Beruf übernommen werden. Damit entwickelt sich ein explosives Potenzial von Unmut, dass zu Protesten und Widerstand von Jugendlichen gegen Arbeitslosigkeit, Entlassungen nach Beendigung der Ausbildung und gegen prekäre Arbeitsverhältnisse führen wird. Insbesondere das Thema Übernahme kann in diesem Jahr von großer Bedeutung sein.
Dabei gibt es einerseits eine hohe Sensibilität für gesellschaftliche Probleme und für den katastrophalen Zustand des Bildungssystems. Dies hat sich in den Bildungsstreiks und Hörsaalbesetzungen an Universitäten ausgedrückt, aber auch an den schon erwähnten Protesten zu Umwelt- und Demokratiefragen.
Die Bildungsmisere ist und bleibt ein Dauerbrenner unter Jugendlichen, der regelmäßig zu Protesten führt und weiterhin führen wird. Dabei hat sich einerseits ein Bewusstsein für den Zusammenhang sozialer Fragen und Fragen des Bildungswesens entwickelt, was sich in der Ablehnung des dreigliedrigen Schulsystems oder von Studiengebühren zeigt. Jugendliche werden sich mehr und mehr über ihre eigene soziale Situation radikalisieren und politisieren.
Der Bildungsstreik und die damit verbundenen Universitätsbesetzungen sind trotz ihrer großen Verbreitung und gesellschaftlichen Resonanz hinter ihren Möglichkeiten zurückgeblieben. Vielerorts solidarisierten sich ProfessorInnen, DozentInnen, Reinigungspersonal, Mensa-MitarbeiterInnen und weitere universitätsspezifische Berufe. Aus dieser Solidarisierung entwickelte sich vielerorts die Frage nach gemeinsamen Protesten. In den meisten Fällen waren Studierende nicht in der Lage darauf zu reagieren. Die Frage nach gemeinsamen Protesten wird sich durch die unveränderte Bildungslage und die sich verschärfende soziale Lage der Arbeiterklasse auch 2010 wieder konkret stellen. Unsere Aufgabe muss dabei sein, der Studierendenbewegung die Wichtigkeit gemeinsamer Proteste und Aktionen klar zu machen und konstruktiv an ihrer Durchführung mit zu wirken.
Andererseits werden die bildungspolitischen Forderungen von einer Mehrheit der Jugendlichen noch nicht mit gesellschaftspolitischen Forderungen bewusst verbunden und gibt es auch Skepsis gegenüber linken “Ideologien” und Gruppierungen, wie sich bei den Hörsaalbesetzungen an einigen Hochschulen zeigte.
Das Interesse für grundlegende Alternativen zum Kapitalismus und für den Marxismus ist unter Jugendlichen aber deutlich gewachsen und wächst weiter.
Die Bildungsstreiks im Jahr 2009 haben einen Eindruck von dem riesigen Unmut unter SchülerInnen und Studierenden gegeben und gezeigt, welches Potenzial für eine große Bildungsrevolte existiert. Bisher konnte sich keine kontinuierliche Bewegung entwickeln, weil es keine demokratische Selbstorganisation der SchülerInnen und Studierenden gibt, die für eine dynamische Bewegung das organisationspolitische Rückgrat bilden könnte. Dementsprechend fehlte eine Strategie zur bewussten Steigerung der Proteste. Dies kann sich in Zukunft jedoch – auch ohne die Herausbildung einer SchülerInnen- oder Studierendengewerkschaft – entwickeln. Die Frage von dauerhaften Streiks, Universitäts- und Schulbesetzungen und anderen radikaleren Kampfschritten wird früher oder später in der Bewegung aufkommen.
Gleichzeitig gibt es auf der betrieblichen und gewerkschaftlichen Ebene oftmals das Phänomen, dass junge ArbeiterInnen keine Kampferfahrung und kein Wissen über die Bedeutung der erkämpften Rechte und Bedingungen haben und eine Art “Gewöhnungseffekt” an schlechte Arbeitsbedingungen zu beobachten ist. Dies wird aber nicht von Dauer sein und kann sich durch Kämpfe prekarisierter Beschäftigter, die eine Ausstrahlungskraft entwickeln, ändern.
Die Jugend wird zu einem Unruheherd werden, deren Proteste und Bewegungen größere Kämpfe der Arbeiterklasse vorweg nehmen und auch anstoßen können. In den kommenden Kämpfen werden es auch gerade junge ArbeiterInnen sein, die zu AktivistInnen und FührerInnen von Kämpfen werden, weil ihnen die kapitalistische Gesellschaft keine Perspektive mehr anbieten kann.
In der jetzigen Phase, in der immer mehr Jugendliche die Misere im Bildungs- und Ausbildungsbereich erkennen und dagegen aktiv werden, ist es für uns unerlässlich, diesen Schichten anhand ihrer täglichen Auseinandersetzungen die Notwendigkeit des Kampfes für Sozialismus aufzuzeigen. Dafür bieten sich in der kommenden Zeit besonders gute Voraussetzungen.
Für uns steht die Forderung nach kostenloser Bildung und kostenlosen Ausbildungs- und Studienplätzen sowie einer garantierten Übernahme in den erlernten Beruf für alle im Mittelpunkt. Wir stellen Forderungen gegen soziale Segregation und Elitebildung und für die Demokratisierung der Bildungseinrichtungen auf – Weg mit dem mehrgliedrigen Schulsystem, demokratische Verwaltung von Schulen und Hochschulen, Arbeiterkontrolle über berufliche Ausbildung. Wir fordern milliardenschwere Investitionsprogramme zur Schaffung von Lehrer- und Professorenstellen und von Ausbildungsplätzen im öffentlichen Dienst, die aus den Profiten der Banken und Konzerne finanziert werden sollen.
Klassenkämpfe und Gewerkschaften
International konnten wir in den letzten zwei Jahren beobachten, wie die Arbeiterklasse in verschiedenen Ländern unterschiedlich auf die Auswirkungen der Krise reagiert hat.
Wirtschaftskrisen führen nicht automatisch und unmittelbar zu Klassenkämpfen. Materiell verschlechtert sich die Ausgangsposition der Arbeiterklasse im Kampf um die Verteilung des Mehrprodukts. Höhere Arbeitslosigkeit, schwache Kapazitätsauslastung und sinkende Profite können auf das Selbstbewusstsein von Beschäftigten drücken und lassen die Möglichkeit durch Streiks Erfolge zu erzielen unwahrscheinlicher erscheinen. Tiefe Krisen können in der Arbeiterklasse eine Schockwirkung auslösen und diese für eine Zeit lähmen. Historisch war es häufig so, dass größere Kämpfe erst zu einem späteren Zeitpunkt des Krisenverlaufs oder am Beginn der wirtschaftlichen Erholung stattfanden, so hat die US-amerikanische Arbeiterbewegung erst nach der Großen Depression in der Mitte der 1930er Jahre einen Aufschwung genommen. Häufig ist es das Auf und Ab der Entwicklung, der Verlust einer Zukunftsperspektive, was zu Radikalisierung und Kämpfen führt. Dementsprechend ist damit zu rechnen, dass das Platzen des aktuell propagierten Aufschwungversprechens ein enorme Wirkung auf das Bewusstsein und den Klassenkampf international haben wird.
In den USA gibt es bisher eher eine gewisse Lähmung und ist es, trotz starkem Anstieg der Erwerbslosigkeit, nicht zu größeren Kämpfen gekommen. Die Entscheidung der Ford-Beschäftigten, keinem weiteren Lohnverzicht zuzustimmen, weist aber darauf hin, dass sich das ändern wird, nicht zuletzt vor dem Hintergrund wieder steigender Profite bei Banken und Konzernen.
In Ländern mit dramatischem wirtschaftlichem Einbruch, wie Island und den baltischen Staaten, ist es zu Massenbewegungen gekommen, die sogar Regierungen zu Fall gebracht haben. In Frankreich haben wir die Welle von ‘Bossnapping’ gesehen und in Großbritannien und Irland eine Reihe von Betriebsbesetzungen und betrieblichen Streiks, was auch auf eine Radikalisierung der Kampfmethoden hinweist.
Unsere Einschätzung vor der Krise war, dass es in der Bundesrepublik zu keiner allgemeinen Lähmung der Arbeiterklasse angesichts der Krisenfolgen kommen wird, weil die Kolleginnen und Kollegen aus einer Periode zunehmender Mobilisierungen, großer Kampfbereitschaft und, zumindest in einigen Bereichen, hohem Selbstbewusstsein in die Krisenperiode eingetreten sind.
Im Jahr 2009 kam es zu einigen wichtigen Streiks, insbesondere bei Tarifauseinandersetzungen, aber noch nicht zu längeren und entschlossen geführten betrieblichen Kämpfen gegen Betriebsschließungen und Entlassungen. Das drückt vor allem aus, dass die gut organisierten und kampferfahrenen Belegschaften bisher nicht von Betriebsschließungen und Massenentlassungen betroffen waren. In anderen Fällen haben Proteste auf betrieblicher Ebene zu gewissen Zugeständnissen im Vergleich zu den ursprünglich geäußerten Unternehmensplänen geführt. Ganze Belegschaften bzw. Teile von Belegschaften wurden in Transfergesellschaften in Richtung Arbeitslosigkeit verschoben, verbunden mit den leeren Versprechungen von Qualifizierung und Überbrückung von Auftragsrückgängen.
In keinem Fall wurde aber bisher schon der Kampf für den Erhalt aller Arbeitsplätze aufgenommen und entschlossen geführt, wobei auch der Kampf um Abfindungen oder einer Begrenzung von Arbeitsplatzabbau zu großen Auseinandersetzungen führen kann (wie zum Beispiel bei Visteon in Großbritannien) oder sich zu einem Kampf für die Verteidigung aller Arbeitsplätze weiter entwickeln kann (wie beim Bosch-Siemens-Hausgerätewerk in Berlin im Jahr 2006).
Das ist zweifellos in einem Mangel an einer politischen Alternative und Gegenargumenten zur von Kapital und Gewerkschaftsführung vorgetragenen Krisenlogik bzw. der Komplizenschaft vieler Betriebsratsfürsten und Gewerkschaftsführer, die versuchen Kämpfe zu verhindern, begründet. Angesichts des über ihnen permanent schwebenden Damoklesschwerts von Entlassungen und Betriebsschließungen existiert deshalb eine Verzichtsbereitschaft unter den Beschäftigten – bei den meisten nicht aus Überzeugung, dass dadurch Arbeitsplätze langfristig zu retten wären, sondern weil kein erfolgversprechender Weg zum Kampf für den Erhalt aller Arbeitsplätze gesehen wird.
Die Streiks der Kita-Beschäftigten und GebäudereinigerInnen haben aber gezeigt, dass keine generelle Verzichtsbereitschaft existiert und es einen Kampfwillen gibt, wenn Angebote zum Kampf gemacht werden. Sie haben auch gezeigt, dass für viele Beschäftigte hinsichtlich Einkommen und Arbeitsbedingungen das Ende der Fahnenstange erreicht ist und sie zu der Haltung gekommen sind, dass sie unter den gegebenen Bedingungen einfach nicht länger weiter arbeiten können. Diese Stimmung ist auch Folge davon, dass zum ersten Mal in der Geschichte die Arbeiterklasse nach Jahren des Reallohnverlusts in eine Wirtschaftskrise eintritt.
Der ‘Mettinger Rebell’ und Betriebsrat Tom Adler hat kürzlich unsere Einschätzung bestätigt, als er die Stimmung in der Arbeiterklasse mit brodelnder Magma unter der Oberfläche eines Vulkans verglich und sagte, diese könne zum Ausbruch kommen, wenn ein betrieblicher Kampf ein Beispiel für andere Belegschaften gebe. Das heißt, dass eine Betriebsbesetzung Auslöser für eine Serie von Betriebsbesetzungen sein kann. Ein entschlossen geführter Kampf in einem Betrieb kann einen regionalen oder sogar bundesweiten Flächenbrand auslösen.
In den Gewerkschaften wird die Krise den Prozess der Polarisierung zwischen der rechten, den Kapitalismus bewusst verteidigenden Bürokratie und linken AktivistInnen bzw. der Basis im Allgemeinen tendenziell verstärken.
Die Führung der DGB-Gewerkschaften reagiert als Komplize der Bourgeoisie auf die Krise und schwört die Arbeiterklasse auf Verzicht, Bescheidenheit und Akzeptanz von Stellenabbau ein. Die IG Metall-Spitze ist der geistige Vater der Abwrackprämie und stimmt die Belegschaften auf den Verzicht auf deutliche Lohnerhöhungen in der anstehenden Tarifrunde ein. Auch die verdi-Führung hat frühzeitig begonnen, die Erwartungen für die laufende Tarifrunde bei Bund und Kommunen herunter zu schrauben.
Gegenüber der neuen Merkel-Westerwelle-Regierung hat Michael Sommer die Bereitschaft zur Kooperation betont, wie die DGB-Spitze auch schon gegenüber der Großen Koalition als Partner agiert hat. Ein Zitat von Spiegel.de drückt die Angepasstheit der DGB-Führung aus: „DGB-Chef Sommer sagte beim Gipfel der “Leipziger Volkszeitung”, man könne “stolz auf diese Regierung bei solchen Gipfel-Anlässen sein”. “Wenn man auf internationaler Bühne als deutscher Gewerkschafter auf Merkel und Steinbrück verweisen kann, sieht man immer sehr gut aus.” Kanzlerin und Finanzminister machten “einen prima Eindruck, stellen konkret die richtigen Fragen, dringen auf praktische Fortschritte und entwickeln Visionen von der Finanzmarkttransaktionsteuer bis zur Charta für nachhaltiges Wirtschaftswachstum”, sagte Sommer.“
Diese Politik des Co-Managements und der Verteidigung des Kapitalismus kommt in der Krise einer offenen Bankrotterklärung gleich.
Trotzdem bedeutet die Tatsache, dass die SPD nicht mehr Teil der Bundesregierung ist und dass sie sich im Versuch in der Opposition den Niedergangs der Partei zu beenden ‘linker’ profilieren wird, dass die Gewerkschaftsführung grundsätzlich eher zu Protesten und Mobilisierungen bereit sein wird, als in den letzten elf Jahren. Im Verlauf der Krise wird sie zwar grundsätzlich die Rolle bürgerlicher Minister einnehmen und ihre Hauptaufgabe in der Stabilisierung des Kapitalismus sehen, aber sie ist gleichzeitig anfällig für den Druck der Basis und agiert im Rahmen des Kapitalismus auch aus einem Selbsterhaltungstrieb als Bürokratie, was vor allem zum Tragen kommen kann, wenn die Bundesregierung an grundlegende Arbeitnehmerrechte, wie das Streikrecht oder die gewerkschaftliche Mitbestimmung heran will. Dann ist es unter dem kombinierten Druck der Kapitalisten und der eigenen Basis möglich, dass auch rechte Gewerkschaftsführer linke und kämpferische Sprüche klopfen. Vor allem aber wird die Gewerkschaftsführung bereit sein, sich an die Spitze von Kämpfen und Bewegungen zu setzen, um die Kontrolle über die Arbeiterklasse nicht zu verlieren und um solche Kämpfe in systemimmanente Bahnen zu lenken. Dies beinhaltet aber eben auch die Möglichkeit vorübergehender Linksverschiebungen und auch der Durchführung von Massenprotesten bis hin zu Generalstreiks durch die heutige Gewerkschaftsbürokratie.
Der gewerkschaftliche Apparat ist gleichzeitig kein monolithischer Block. Es gibt auch in der Bürokratie zur Zeit zwei Tendenzen, die ihre gesellschaftliche Aufgabe – die Arbeiterklasse zu kontrollieren – mit unterschiedlichen Methoden und unterschiedlicher Politik erreichen wollen. Die so genannten Modernisierer betreiben den mehr oder weniger offenen Ausverkauf von Arbeiterinteressen, die so genannten Traditionalisten versuchen diesen mit kämpferischen Worten zu begleiten und ihn auch zu begrenzen. Beide Flügel betreiben bürgerliche Politik und bewegen sich auf der Grundlage der Akzeptanz der kapitalistischen Markt- und Profitlogik.
Zusätzlich gibt es eine Schicht linker, zum Teil antikapitalistischer Gewerkschaftshauptamtlicher, die auf der Suche nach einem Weg, effektiven Widerstand zu organisieren sind. Wo diese Einfluss haben, entwickeln sich Kämpfe besser, wie zum Beispiel im verdi-Bezirk Stuttgart unter Bernd Riexinger und anderen oder beim Gebäudereinigerstreik in Berlin, wo junge, linke IG BAU-Sekretäre den Ton angegeben haben. Im Verlauf der Krise und verschärfter Klassenkämpfe werden diese linken Funktionäre aber schneller getestet und auch in Konflikt mit kämpfenden Belegschaften geraten, wenn sie nicht bereit sind, eine konsequente antikapitalistische und kompromisslose Kampfstrategie anzuwenden. Ein Beispiel hierfür ist der Bruch der Bosch-Siemens-Hausgerätewerk-Belegschaft in ihrem Streik 2006 mit dem dort tätigen linken IGM-Sekretär, der den Kampf in den ersten Wochen eher befördert hatte, als dieser dem Streikabbruch zustimmte. Die aktuelle Diskussion in Teilen der Gewerkschaftslinken über einen Verzicht auf die Forderung nach vollem Lohnausgleich beim Kampf um Arbeitszeitverkürzung ist auch ein Hinweis auf diese Gefahr. Die Haltung dieser Funktionäre krankt oft an ihrem Mangel an Vertrauen in die Arbeiterklasse und der daraus resultierenden im Kern reformistischen Position.
Wir werden in den nächsten Jahren sowohl innergewerkschaftliche Polarisierung und die Herausbildung von oppositionellen Strukturen in den Gewerkschaften und im Kampf um die Mehrheit in der Gewerkschaft sehen, als auch die Entstehung unabhängiger betrieblicher und gewerkschaftlicher Gruppen und Kampforgane, oppositioneller Betriebsratslisten und gewerkschaftliche Spaltungsprozesse beobachten können. Unsere flexible Haltung, die wir in den letzten Jahren – nicht zuletzt während des Lokführerstreiks – eingenommen haben, bleibt richtig: grundlegende Orientierung auf die DGB-Gewerkschaften und Eintreten für eine programmatische und personelle Erneuerung auf sozialistischer Grundlage, für die Einheit im Kampf und flexible Unterstützung unabhängiger Strukturen, wenn diese der Entwicklung von Kämpfen dienen.
Für die Entwicklung des Klassenkampfes ist es aber entscheidend, inwiefern sich eine neue Schicht von Aktivistinnen und Aktivisten in den Betrieben heraus bildet und sich dort kämpferische Gruppen und innergewerkschaftliche Opposition entwickelt. Dieser Prozess steckt noch in den Kinderschuhen, hat aber begonnen. Es gibt auf niedrigem Niveau eine gewisse Belebung von betrieblichen und oppositionellen Strukturen vor allem in der Autoindustrie. Dies kann und wird sich mit der Entwicklung betrieblicher Kämpfe beschleunigen.
In der Krise mehr als in Zeiten wirtschaftlichen Wachstums und hoher Profite ist eine sozialistische Perspektive eine wichtige Voraussetzung für das konsequente Führen auch von betrieblichen Abwehrkämpfen. Ohne zentrale sozialistische Übergangsforderungen wie insbesondere den Forderungen nach drastischer Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich und nach der Verstaatlichung von Konzernen unter demokratischer Arbeiterkontrolle und -verwaltung ist es kaum möglich den Kampf gegen Schließungen von und Massenentlassungen in Automobilwerken konsequent und erfolgreich zu führen. Letztlich werden die Kapitalisten in diesen Fällen nur zu Zugeständnissen bereit sein, wenn sie fürchten einen zu großen politischen Preis für die Zuspitzung von Klassenkämpfen zahlen zu müssen. Wobei ohne die Durchsetzung dieser Forderungen auch keine dauerhafte Zukunft für alle Arbeitsplätze in der Autoindustrie, wie auch in anderen Branchen, zu erreichen ist.
Es ist unmöglich eine exakte Vorhersage für den Verlauf der Klassenkämpfe in den nächsten Monaten und ein, zwei Jahren zu machen. Trotzdem müssen wir uns Rechenschaft darüber ablegen, in welchem Bereich, zu welchen Themen und in welchem Zeitraum Kämpfe möglich sind, um uns darauf vorzubereiten bzw. solche mit anzustoßen, zu beeinflussen oder sogar zu führen. In den nächsten Monaten werden sehr wahrscheinlich betriebliche Auseinandersetzungen gegen Entlassungen und Werksschließungen im Mittelpunkt des Klassenkampfes stehen. Dabei werden Automobilindustrie (hier auch insbesondere die Zulieferindustrie), Grundstoffindustrie und Maschinenbau wahrscheinlich besonders betroffen sein.
Gleichzeitig wird es im öffentlichen Dienst, insbesondere in den Kommunen, erhebliches Konfliktpotenzial geben. Der systemische Angriff der Bundesregierung auf die Kranken- und Pflegeversicherung birgt das Potenzial für eine verallgemeinerte Gegenbewegung in sich, wenn Gewerkschaften und LINKE entsprechend reagieren würden. Je mehr die Folgen dieses Angriffs in der Arbeiterklasse klar werden, desto mehr kann sich dazu aber auch eine Bewegung von unten entwickeln, wie wir das im Jahr 2003 gegen die Agenda 2010 gesehen haben. Dabei kann es auch zur Entwicklung von sozialen Bewegungen kommen. Zum Beispiel gegen kommunale Kürzungen oder zu neuen Bewegungen von Erwerbslosen, die auch zu einer Wiederbelebung der Montagsdemonstrationen führen können.
Dies zu propagieren und mit voran zu treiben ist auch eine unserer Aufgaben in der nächsten Zeit. Wann es aber zu verallgemeinerten Bewegungen kommt, ist nicht vorhersehbar. Sicher ist aber, dass wir in eine Periode eingetreten sind, die früher oder später zu allgemeinen Bewegungen der Arbeiterklasse führen wird, die auch die Frage des, zunächst wahrscheinlich eintägigen, Generalstreiks konkret auf die Tagesordnung setzen wird.
Regierung, bürgerliche Parteien und Faschisten
Anders als bei den Bundestagswahlen 2005 ist es der Bourgeoisie 2009 gelungen, mit der Koalition aus CDU, CSU und FDP ihre Wunschregierung ins Amt zu bringen. Diese Konstellation bietet aus Sicht der Herrschenden die beste Voraussetzung in der Krise ihre Interessen gegen die Arbeiterklasse zur Geltung zu bringen. Zur ‘Rettung’ der SPD als einer zweiten Regierungsoption mit einer stärkeren Verbindung zu den Gewerkschaften war auch aus Sicht der Herrschenden eine ‘Erholungsphase’ in der Opposition nötig.
Das bedeutet jedoch nicht, dass die Koalition eine stabile Regierung sein wird, die einheitlich und souverän ihre Geschäfte führen wird. Schon in den Verhandlungen über den Koalitionsvertrag wurden Unterschiede deutlich, die letztlich die verschiedenen in der herrschenden Klasse existierenden Vorstellungen über eine Strategie gegen die Arbeiterklasse ausdrücken. Der Rücktritt von Arbeitsminister Jung aufgrund des von der Bundeswehr während seiner Amtszeit als Verteidigungsminister zu verantwortenden Massakers an afghanischen ZivilistInnen und der Täuschung der Öffentlichkeit über den wahren Verlauf der Ereignisse ist nicht nur allgemeiner Ausdruck der Instabilität der Regierung, sondern zeigt auch die Bedeutung der Themen Afghanistankrieg und Demokratie.
Der Druck von Streiks und Massenbewegungen kann diese Spaltung vertiefen und könnte auch ein Fragezeichen über die Lebenszeit dieser Regierung aufwerfen.
Gleichzeitig hat die parlamentarische Etablierung der Partei DIE LINKE und der drastische Rückgang der Wahlunterstützung für CDU/CSU und SPD zu einem Fünf-Parteien-System geführt, das die traditionell bekannten Zweier-Koalitionen immer unwahrscheinlicher werden lässt. 1972 betrug der Stimmanteil von CDU/CSU und SPD im Verhältnis zu allen Wahlberechtigten noch 82 Prozent, 2005 waren es nur noch 53,2 Prozent und 2009 bloß 38,1 Prozent. Die Regierung und die beiden großen so genannten Volksparteien repräsentieren nicht einmal mehr bei einer Bundestagswahl die Mehrheit der Bevölkerung.
Daraus ergibt sich für die Bourgeoisie die Notwendigkeit neue Koalitionsoptionen zu entwickeln. Deshalb hat es in den letzten Jahren die erste schwarz-grüne Koalition auf Landesebene in Hamburg und die erste Jamaika-Koalition im Saarland gegeben. Perspektivisch brauchen die Herrschenden die Möglichkeit schwarz-grün-gelber Zusammenarbeit auch auf Bundesebene, was von der Führung der Grünen, wenn auch vorsichtig, mit betrieben wird. Die Grünen sind auch in der Opposition Öko-FDP geblieben, allen Versuchen sich in manchen Fragen ‘links’ zu profilieren zum Trotz.
Der Niedergang der SPD kann den Herrschenden nicht gefallen. Die Partei bleibt aus ihrer Sicht ein wichtiger Kontrollfaktor für Gewerkschaften und Teile der Arbeiterklasse, wenn sie auch ihre historische Basis und vor allem die Loyalität in der Arbeiterklasse verloren hat.
Die SPD ist keine Arbeiterpartei mit bürgerlicher Führung mehr und wird es auch nicht mehr werden. Aber Totgesagte leben länger und die Partei wird auf Wahlebene wieder zulegen können, wenn die Unzufriedenheit mit der Merkel-Westerwelle-Regierung wächst und DIE LINKE sich weiterhin als unfähig erweisen wird, eine klare sozialistische Oppositionspolitik zu formulieren und eine Massenpartei aufzubauen. Wie wir zum Beispiel in Griechenland gesehen haben, kann sich gerade in Zeiten der Krise bei Wahlen die Logik des ‘kleineren Übels’ in großen Teilen der Arbeiterklasse durchsetzen und die ehemaligen Arbeiterparteien Wahlerfolge erzielen, weil sie als die einzige realistische Option für einen Regierungswechsel betrachtet werden.
Die Krise wird die politische Landschaft weitaus mehr durcheinander wirbeln, als heute absehbar erscheint. Was heute mehr oder weniger stabil erscheint, wird sich als hohl erweisen. Höhenflüge, wie der der FDP, können von tiefen Abstürzen gefolgt werden. Das entscheidende Merkmal der Entwicklung auf der politischen Ebene wird eine fortschreitende Polarisierung in drei Richtungen sein: erstens werden Wahlenthaltungen tendenziell weiter zunehmen, solange keine Alternativen in Erscheinung treten, für die es sich aus Sicht der Massen zu stimmen lohnt; zweitens hat DIE LINKE jede Möglichkeit massiv zuzulegen, wenn sie eine radikale und kämpferische Alternative formulieren würde – das wiederum könnte Schichten der heutigen NichtwählerInnen mobilisieren; drittens besteht das Potenzial, dass früher oder später – insbesondere wenn sich keine sozialistische Massenpartei entwickelt – eine rechtspopulistische Partei entsteht, die auch bei Wahlen Massenanhang gewinnen kann. Diese muss sich nicht aus den bestehenden rechtsradikalen Parteien entwickeln, sondern kann ihren Ursprung auch in einer der bürgerlichen Parteien finden.
Die rassistischen Äußerungen von Rüttgers und Sarazzin sind ein Hinweis darauf, dass die Bürgerlichen in Zukunft auch wieder verstärkt auf die rassistische Karte zur Spaltung der Arbeiterklasse setzen werden. Auch eine Zunahme von Antisemitismus ist in diesem Zusammenhang von Bedeutung. Dies kann einher gehen mit wirtschaftlichem Protektionismus und neuen Versuchen, den Zuzug von MigrantInnen weiter zu begrenzen. Solche Maßnahmen können unter dem Eindruck von Massenarbeitslosigkeit und Krise in der Arbeiterklasse (und hier nicht nur der deutschen, sondern auch unter in Deutschland dauerhaft lebenden MigrantInnen) eine gewisse Unterstützung finden. Während wir das Bleiberecht, das Recht auf Asyl und generelle Reisefreiheit verteidigen, lehnen wir unter dem Deckmantel der Freizügigkeit stattfindende Lohndrückerei ab und kämpfen für gleiche Löhne und Arbeitsbedingungen für alle in einem Betrieb arbeitenden KollegInnen.
Die Krise erhöht auch die Gefahr eines weiteren Anwachsens faschistischer Kräfte und rechter Gewalt. Nicht zuletzt aufgrund der Existenz von WASG und LINKE konnten größere faschistische Wahlerfolge in den letzten Jahren verhindert werden. Das hat auch zu einer Krise der NPD und zu tiefen Rissen in der Partei geführt, die zu einer Spaltung führen können. Die NPD hat allerdings in der Vergangenheit bereits zahlreiche Krisen (auch Finanzkrisen) überstanden, da sie sich in einigen Gebieten auf Teile der Bevölkerung stützen kann, treue Geldgeber hat und in der Neonazi-Szene sich hat verankern können. Zuletzt hilft der NPD auch, dass andere Kräfte wie DVU oder Republikaner erst Mal in der Bedeutungslosigkeit verschwunden sind.
Das Scheitern der parlamentarischen Strategie führt aber auch dazu, dass Teile der NPD ihr Saubermann-Image fallen lassen und verstärkt auf faschistische Gewalt setzen. Gleichzeitig geben sich Teile der „autonomen Nationalisten“ unabhängiger von der NPD.
Wenn keine starke sozialistische Arbeiterbewegung aufgebaut wird und es nicht zu gemeinsamen Kämpfen deutscher und nichtdeutscher ArbeiterInnen kommt, wird die Krise des Kapitalismus früher oder später jedoch eine gesellschaftliche Polarisierung hervor bringen, die zu einem Erstarken der Faschisten führt. Wir leisten einen Beitrag dazu, dies zu verhindern.
DIE LINKE
Die grundlegende Einschätzung der letzten SAV-Bundeskonferenz zur Partei DIE LINKE hat sich bestätigt und bedarf zur Zeit keiner Korrektur.
DIE LINKE ist eine reformistische Partei mit Masseneinfluss und einem sehr unterschiedlichen Charakter in Ost- und Westdeutschland. Im Osten ist sie zwar hinsichtlich Zusammensetzung, Charakter und Politik weitgehend eine Fortsetzung der alten PDS und vom rechten, auf Regierungsbeteiligung und Mitverwaltung des Kapitalismus fixierten, Flügels dominiert, aber auch hier hat die Partei durch ihre bundesweite Oppositionsrolle – mehr als wir erwartet hatten – in den Augen von breiteren Teilen der Arbeiterklasse an Attraktivität, zumindest bei Wahlen, gewonnen. Während sie in Thüringen und Brandenburg den Anpassungsprozess in Richtung SPD fortgesetzt hat, trat sie in manchen Städten, wie Rostock oder Leipzig, aber auch oppositioneller und “linker” auf.
In Westdeutschland ist DIE LINKE eine linke, reformistische Partei mit wichtigen Verbindungen in Gewerkschaften und soziale Bewegungen.
Sie ist der zur Zeit einzige ernstzunehmende Ansatz für eine politische Interessenvertretung der Arbeiterklasse.
Wie sich DIE LINKE in den nächsten Jahren entwickeln wird, wird vor allen Dingen davon abhängen, in welcher Form sich größere Klassenkämpfe in ihr niederschlagen. Auch wenn es aus verschiedenen Gründen unwahrscheinlicher geworden ist, dass es zu einem größeren Mitgliederzustrom und einer Linksverschiebung der Gesamtpartei kommen wird, können wir das auch weiterhin nicht ausschließen. In jedem Fall bleibt unsere Einschätzung bestehen, dass DIE LINKE auf absehbare Zeit das einzige parteipolitische Projekt auf der politischen Linken mit einem Bezug zur Arbeiterklasse ist und sich zukünftige Neuformierungen der Arbeiterklasse auf politischer Ebene (auch) über Differenzierungsprozesse in der Partei DIE LINKE entwickeln werden. Unsere Perspektive des Entstehens einer breiten sozialistischen Arbeiterpartei mit Massencharakter wird sich durch Klassenkämpfe und Auseinandersetzungen in der Partei DIE LINKE materialisieren. Deshalb ist es richtig und wichtig, dass Marxistinnen und Marxisten an diesen Debatten und Differenzierungsprozessen als Teil der Partei teilnehmen.
Seit dem Beginn der Weltwirtschaftskrise hat die Partei sich jedoch weiter nach rechts entwickelt und hebt sich weniger vom bürgerlichen Polit-Mainstream ab, als in den Jahren vor der Krise, wo die WASG bzw. dann DIE LINKE in vielerlei Hinsicht die politische Agenda in der Republik bestimmte, Themen wie Mindestlohn, Ablehnung von Hartz IV, Vermögensteuer etc. besetzte und das sich entwickelnde anti-neoliberale und anti-kapitalistische Bewusstsein stärkte. Letztlich hat als Reaktion auf die Krise die Regierung Aspekte der keynesianischen Wirtschaftspolitik der LINKEn übernommen, was dazu führte, dass die Partei ihr Alleinstellungsmerkmal etwas einbüßte und ihrerseits keine radikale sozialistische Antwort auf die kapitalistische Weltkrise formulierte. In entscheidenden Fragen, wie dem Bankenrettungspaket, den Konjunkturprogrammen und der Kurzarbeit hat die Partei auf eine grundlegende Opposition verzichtet. Selbst im hessischen Landtag hat die verhältnismäßig linke Fraktion der LINKEn dem Schutzschirm für Opel zugestimmt.
Vor allem aber spielt die Partei eine viel zu geringe Rolle in sozialen Bewegungen und beim Klassenkampf, wird sie durch Parlamentsfraktionen, auch auf kommunaler Ebene, dominiert und tritt sie zu wenig als organisierendes Zentrum gesellschaftlichen Widerstands in Erscheinung. Ebenso gilt, dass sie in den Gewerkschaften keine klare kämpferische und sozialistische Politik verfolgt und so von dem existierenden Unmut an der Basis gegenüber der Gewerkschaftsbürokratie nicht ausreichend profitiert.
Mit einem verhältnismäßig links profilierten und soziale Themen besetzenden Bundestagswahlkampf konnte die Partei zwar ihr Ergebnis steigern, und auch im Vergleich zu den enttäuschenden Europawahlen zulegen, aber sie hat das bestehende Potenzial nicht ausgeschöpft.
In der Partei gibt es einen gewissen Polarisierungsprozess, in dem der rechte Flügel seine Positionen in den letzten Monaten – mit Ausnahme des wichtigen Landesverbandes in Nordrhein-Westfalen – gestärkt hat.
Die Regierungsbeteiligung in Brandenburg und die Zustimmung zu den geplanten Regierungsbeteiligungen in Thüringen und im Saarland sind ohne größeren Protest oder Widerstand in diesen Landesverbänden durchgegangen und auch der Protest aus anderen Landesverbänden war nicht gerade deutlich vernehmbar. Die Bundestagsfraktion ist in ihrer Zusammensetzung moderater als vorher. Der Rücktritt von Oskar Lafontaine als Fraktionsvorsitzender und seine Entscheidung nicht mehr zum Parteivorsitz zu kandidieren stärken den offen für Regierungsbeteiligungen um jeden Preis eintretenden Flügel. Dabei ist das Herz der rechten Flügels weniger in der Bundestagsfraktion oder dem Parteivorstand zu finden, sondern in den Landesverbänden und Landtagsfraktionen in Ostdeutschland und in vielen Fraktionen der Kommunalparlamente, wo die LINKE-PolitikerInnen sozusagen näher an den Fleischtrögen der Macht sitzen.
Der Inhalt des Koalitionsvertrags in Brandenburg, mit seiner Zustimmung zum Lissabon-Vertrag und dem massiven Abbau von Arbeitsplätzen im öffentlichen Dienst, wirkt auch wie eine innerparteiliche Kriegserklärung des rechten Parteiflügels. Diese völlige Kapitulation gegenüber der SPD geht selbst moderaten Teilen in der Partei zu weit und hat in Nordrhein-Westfalen dazu geführt, dass in der scharfen Polarisierung um das Landeswahlprogramm der linke Flügel um die Antikapitalistische Linke (AKL) erstens standhaft blieb und zweitens, auch aufgrund unserer Intervention, in einigen Fragen sogar noch linkere Positionen beschlossen wurden, als sie im Entwurf festgeschrieben waren. Das ist ein wichtiger Erfolg für den linken Flügel und zeigt, dass die Partei noch nicht leblos oder unter der völligen Kontrolle einer rechten Parteibürokratie ist.
Insgesamt jedoch hat der rechte Flügel seine Position ausgebaut und auch in Nordrhein-Westfalen besteht die Gefahr und Wahrscheinlichkeit, dass die konkrete Politik der Partei vor allem von den kommunalen Abgeordneten bestimmt wird und so der Anpassungsprozess an SPD und Grüne Gestalt annehmen wird.
Die Wahlen in Nordrhein-Westfalen sind der nächste große Test für DIE LINKE. Sollte das Wahlergebnis eine rot-rot-grüne Mehrheit rechnerisch möglich machen, wird auf den Landesverband der Partei ein enormer Druck ausgeübt werden, eine Koalition zu bilden oder rot-grün zu tolerieren. Dieser Druck wird nicht nur aus der Parteiführung und von SPD und Grünen kommen, sondern auch aus der Gewerkschaftsbürokratie, ja sogar von Erwerbslosenverbänden, StudierendenvertreterInnen und auch einfachen ArbeiterInnen, die – wenn auch aus verschiedenen Überlegungen heraus – eine Logik des ‘kleineren Übels’ annehmen werden und darauf hoffen werden, dass eine SPD-geführte Regierung unter Beteiligung der LINKE durch diese ausreichend kontrolliert und in die sozialen Schranken gewiesen werden könnte.
In dieser Situation ist es für uns als relativ kleine revolutionäre Organisation die erste Aufgabe Klarheit über unsere Prinzipien in der Regierungsfrage zu schaffen und davon ausgehend einen Vorschlag zu entwickeln welche Position DIE LINKE einnehmen und wie sie ihn präsentieren sollte.
Unser Grundsatz ist, dass eine sozialistische bzw. eine Arbeiterpartei an keiner Regierung mit bürgerlichen, pro-kapitalistischen Parteien zur Verwaltung des kapitalistischen Systems teilnehmen darf. Die Übernahme einer bürgerlichen Regierung kommt für Marxistinnen und Marxisten nur in Frage, wenn dies durch eine oder mehrere Arbeiterparteien geschieht und der Regierung dadurch und durch eine klare sozialistische Politik, ihr bürgerlicher Inhalt genommen wird, sprich: Regierungsübernahme nur dann, wenn diese zum Kampfmittel für die Abschaffung des Kapitalismus und damit dieser Regierung selbst wird.
Ausgehend von dieser prinzipiellen Überlegung lehnen wir jede Regierungsbeteiligung der Partei DIE LINKE mit SPD und Grünen ab und haben unsere Position in unserer Zeitung und anderem Material deutlich formuliert. Wir unterstützen auch nicht die Politik der Mindestbedingungen, wie sie von einigen Teilen des linken Flügels in der Partei aufgeworfen wird. Auch wenn dies von vielen ein gut gemeinter Versuch ist, die Ablehnung der Regierungsbeteiligung an inhaltlichen Fragen fest zu machen und den ‘schwarzen Peter’ SPD und Grünen zuzuschieben, so vermittelt diese Haltung doch den Eindruck, dass eine Regierungsbeteiligung auf Basis einer Mitverwaltung der kapitalistischen Verhältnisse eine politische Option ist und tatsächlich hat sich ja auch in Hessen herausgestellt, dass selbst die UnterstützerInnen von Marx21 bereit waren, einer faktischen Tolerierung einer SPD/Grünen-Regierung zuzustimmen. Das ist ein gutes Beispiel für die These, dass nicht korrigierte Fehler zu einer politischen Tendenz werden können.
Auf der Basis unserer grundsätzlichen Ablehnung von Beteiligungen an bürgerlichen Regierungen machen wir in der Präsentation unserer Haltung aber deutlich, dass wir nicht für „Opposition aus Prinzip“ sind. Wir befürworten offensiv die Bildung einer Regierung von Arbeiterparteien, die tatsächlich Politik im Interesse der Arbeiterklasse macht, sich auf die Mobilisierung der Arbeiterklasse stützt und bereit ist den Konflikt mit dem Kapital einzugehen und erklären, dass dies auf SPD und Grüne nicht zutreffen kann. In diesem Zusammenhang können wir propagandistisch sehr wohl ‘negative Mindestbedingungen’ aufstellen, die sagen, dass wir an keiner Regierung teilnehmen werden, die in irgendeiner Form zu Sozialabbau, Stellenstreichungen, Bildungsabbau, Privatisierungen Abschiebungen etc. bereit sein wird.
Dabei erklären wir, dass wir im Zweifelsfall dazu bereit sind die Wahl eines CDU-Ministerpräsidenten durch die Stimmabgabe für einen sozialdemokratischen oder grünen Kandidaten zu verhindern, aber im Parlament nur zu Einzelfallentscheidungen und nicht zu dauerhaften Absprachen oder gar Verträgen mit SPD und Grünen bereit sind.
Die Oppositionsrolle im Bund gibt der LINKEn natürlich die Gelegenheit sich nicht die Finger schmutzig zu machen und auf Protestbewegungen mit radikalen Worten zu reagieren. Gleichzeitig wird es aber den Versuch geben auch in der Opposition näher an die SPD heran zu rücken, gemeinsame parlamentarische Initiativen zu starten und die Zusammenarbeit auf kommunaler und Landesebene zu verstärken. Das mag für die allgemeine bundesweite Ausstrahlung der Partei, vor allem wenn es zu verallgemeinerten Klassenkämpfen und Protestbewegungen kommt, nicht das entscheidende Kriterium sein. Aber für die Frage, ob ArbeiterInnen vor Ort in die Partei eintreten und in ihr einen Platz finden, wo sie aktiv werden können und wollen, ist das nicht unwichtig. Zur Zeit wird die Partei immer unattraktiver, je näher man an sie heran kommt. Trotz eines gewissen, wenn auch recht schwachen, Mitgliederzuwachses gibt es keine nennenswerte Steigerung der aktiven Parteimitglieder. Im Gegenteil scheinen sich immer mehr Mitglieder aus der regelmäßigen Aktivität zu verabschieden.
Fazit
“Alles ist anders” und “Egal was kommt, es kommt hammerhart” waren zwei geflügelte Worte, die im letzten Jahr durch die SAV gingen. Sie haben ihre Gültigkeit behalten und treffen die Realität in diesem und den nächsten Jahren besser, als im vergangenen Jahr.
Es wird den Kapitalisten nicht gelingen, die Krise kurz- und mittelfristig zu überwinden und sie werden die Arbeiterklasse massiv zur Kasse bitten. Das wird zu Unmut, Wut, Widerstand, Klassenkämpfen und Politisierung führen, wie wir sie seit Jahrzehnten nicht gesehen haben.