Sozialistischer, queerinklusiver Feminismus statt Transfeindlichkeit – Reihe
Angesichts der Transfeindlichkeit, etwa der bürgerlichen Feminist*innen von der EMMA und anderer, auch mancher Linker, wollen wir uns hier in einer Reihe von Artikeln damit auseinandersetzen, was mit TERFs nicht stimmt, woher ihre falschen Positionen kommen und wie eine marxistische Perspektive zu einem sozialistischen und queerinklusiven Feminismus führt, der für die Befreiung aller Geschlechter kämpft.
Gender beschreibt die sozialen und kulturellen Attribute, denen die Gesellschaft geschlechtsindizierende Aussagekraft beimisst.
Das wirft die Frage auf, wo die Geschlechterrolle endet und Gender beginnt. Was ist der Unterschied zwischen einer cisgender Person, die die Geschlechterrolle des ihr bei der Geburt zugewiesenen Geschlechts („assigned gender at birth“, kurz „agab“) nicht erfüllt und einer transgender Person, deren Geschlechtsidentität nicht mit ihrem agab übereinstimmt?
Kurz: Was ist transgender?
Rollenbilder und Selbstwahrnehmung
Die Bildung der Geschlechtsidentität beginnt mit der Geburt und entwickelt sich im Laufe des Lebens. Diese Entwicklung lässt sich anhand der Entwicklungsgesetze des dialektischen Materialismus nachvollziehen. Das Gesetz von der Einheit und vom Kampf der Gegensätze zeigt, dass ein Objekt durch verschiedene Eigenschaften gekennzeichnet ist. Befindet sich das Objekt in Bewegung, wirken diese Eigenschaften aufeinander ein, sind widersprüchlich und bilden dennoch eine Einheit.
Bewegt sich eine Person durch die Gesellschaft, wird sie von dieser in der Regel entweder als Frau, oder als Mann wahrgenommen. Damit geht auch die Zuschreibung stereotypischer weiblicher, oder männlicher Eigenschaften, das heißt das Auferlegen einer Geschlechterrolle einher. Entspricht die Person dieser Geschlechterrolle nicht, wird sie sie als Widerspruch zu ihrem Selbstbild erleben. Das ist weder eine Erfahrung, die ausschließlich trans Menschen machen, noch kennzeichnet sie einen Menschen als trans.
Viele cis Menschen machen zum Beispiel die Erfahrung, dass ihre Geschlechtsidentität in Frage gestellt wird, weil sie äußerlich oder durch ihr Verhalten „aus der Rolle fallen“. Wenn einem Jungen im Sportunterricht gesagt wird: „Du wirfst wie ein Mädchen!“, oder wenn eine cis Frau, die offensiv eine Position vertritt, als „Mannsweib“ bezeichnet wird, ist das verletzend gemeint und wird von einer cis Person auch so wahrgenommen. Trans Menschen machen ähnliche Erfahrungen mit umgekehrtem Vorzeichen. Jeden Tag.
Der Unterschied ist, dass bei einer trans Person der Widerspruch nicht zwischen Geschlechterrolle und Selbstbild liegt, sondern zwischen dem Geschlecht, als das die Gesellschaft sie wahrnimmt und der eigenen Geschlechtsidentität. Das ist eine Erfahrung, die trans Menschen typischerweise machen und die sich Gender-Dysphorie nennt.
Transgender – nur ein männliches Gehirn in einem weibliche Körper oder umgekehrt?
Eine Bewegung innerhalb der trans Community mit dem Namen „trans Medizinismus“ versucht, Gender-Dysphorie zu einem rein medizinischen Problem zu stilisieren, das dadurch entsteht, dass sich ein weibliches oder männliches Gehirn in dem „gegenteiligen“ Körper befindet. Es handelt sich um einen verzweifelten Versuch, einen eindeutigen Nachweis für das trans Sein zu schaffen.
Tatsächlich beschreibt Gender-Dysphorie nicht nur den Widerspruch zwischen Geschlechtsidentität und körperlichem Erscheinungsbild. Gender-Dysphorie beschreibt auch den Widerspruch zwischen Geschlechtsidentität einer Person und dem Geschlecht, als das andere sie wahrnehmen und kann somit bereits durch einen Namen oder bestimmte Pronomen hervorgerufen werden. Bei dem Gesetz vom Umschlagen von Quantität in Qualität beschreibt „Qualität“ die Summe der Eigenschaften, die ein Objekt kennzeichnen. „Quantitäten“ sind Messgrößen, wie beispielsweise Anzahl. Veränderungen vollziehen sich hier durch Zu- oder Abnahme von Quantitäten. An einem bestimmten Punkt kommt es dadurch zu der Entstehung einer neuen Qualität.
Nimmt der Widerspruch zwischen gesellschaftlich zugeschriebener Geschlechterrolle und Selbstbild der Person in besonderem Maße zu, führt das in vielen Fällen zu einer Form der Rebellion. Die unpassende Geschlechterrolle wird im Privaten und/oder auf politischer Ebene verneint, mit dem Ziel, den Widerspruch zwischen gesellschaftlich auferlegter Geschlechterrolle und freiem, authentischem Ausleben der Geschlechtsidentität abzubauen.
Nimmt der Widerspruch zwischen der Geschlechtsidentität einer Person und dem Geschlecht, als das sie wahrgenommen wird in besonderem Maße zu, wäre Rebellion nicht ausreichend: Einer trans Frau, die gerne Kleider trägt, wäre nicht ausreichend geholfen, würde sie einfach Kleider tragen und sich dafür einsetzen, dass die geschlechtsspezifische Assoziation des Kleidungsstücks abgebaut wird. Ihr Hauptproblem ist nicht, dass sie komisch angeschaut und angefeindet wird, weil sie als Mann in Frauenkleidung wahrgenommen wird. Ihr Hauptproblem ist, dass sie als Mann in einem Kleid und nicht als Frau in einem Kleid wahrgenommen wird. Das Anliegen der trans Person ist deshalb, dass der Widerspruch zwischen der Geschlechtsidentität und des Geschlechts, das die Gesellschaft wahrnimmt abgebaut wird. Das Mittel dazu ist die Transition.
Auch diesbezüglich muss kritisch auf den trans Medizinismus eingegangen werden. Dieser ist der Ansicht, dass alle trans Personen, sofern sie tatsächlich trans sind, eine vollständige soziale, medizinische und rechtliche Transition vollziehen müssen. Diese Vorstellung basiert auf der Idee, dass es „von Natur aus“ (nur) zwei klar unterscheidbare Geschlechter gibt. Sie verkennt, dass dieses binäre Weltbild nur ein soziales Konstrukt ist. Die Realität sieht anders aus. Je nach den individuellen Bedürfnissen der trans Person, reichen verschiedene Transitionsmaßnahmen aus, um den Widerspruch zwischen genderbezogener Selbst- und Außenwahrnehmung aufzulösen. In einigen Fällen genügt eine soziale Transition, die eine Änderung des Namens und der Pronomen sowie die gesellschaftliche Anerkennung der Geschlechtsidentität umfasst. In diesen Fällen sind die betroffenen Personen deswegen nicht weniger trans.
Das Gesetz der Negation der Negation kann auch als das Gesetz von der Entstehung des Neuen aus dem Alten bezeichnet werden. Entsteht durch das Umschlagen von Quantität in Qualität etwas Neues, wird das Alte dadurch aufgehoben, bzw. „negiert“. Teile davon werden dennoch in die neue Qualität überführt: In diesem Fall ist das Neue die trans Identität der Person.
Eine dialektisch materialistische Analyse erkennt also, dass sowohl Sex als auch Gender soziale Konstrukte sind und kann die Entwicklung einer trans Identität philosophisch nachvollziehen.
Sozialistischer, queerinklusiver Feminismus statt Transfeindlichkeit
Teil 1: Weiblich, männlich oder was
Teil 2: Was ist transgender und warum? – Eine marxistische Definition
Teil 3: Radikalfeminismus – Eine marxistische Kritik
Teil 4: Was ist TERF und warum ist das „schlechter Feminismus“?